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Dolomiten: Tausend Zacken schön

Die Dolomiten locken immer mehr Gäste an. Ein gutes Geschäft. Doch nun, sagen Einheimische, haben wir genug neue Hotels

Der Stadtplaner Le Corbusier hielt sie für die „schönste Architektur der Welt“, und Reinhold Messner, mit so vielen Gebirgen vertraut, befand: „Sie sind nicht die höchsten Berge, aber die schönsten.“ Inzwischen hat sie die Unesco für den Titel „Weltnaturerbe“ nominiert: die Dolomiten. Wie viele verschiedene Gipfelzacken hat die Natur da hervorgebracht, bizarr-zerklüftete Felsen ragen auf, immer wieder andere Formationen, man kann sich nicht sattsehen daran. Vielleicht haben sie deshalb weniger Probleme mit Pistenrasern als anderswo. „Die meisten unserer Gäste wollen hier nicht einfach herunterheizen“, sagt Stefano Illing, Präsident des Liftbetreiberkonsortiums Arabba-Marmolada. „Die Leute wollen Ski fahren und dabei die Szenerie genießen.“

Deshalb wohl nehmen sich Skifahrer oben auf der Marmolada, dem 3270 Meter hohen Gletscher im nördlichen Venetien, besonders viel Zeit vor der Abfahrt. Satte zwölf Kilometer führt die Piste „La Bellunese“ hinunter ins Tal, nach Malga Ciapela. Dort wartet ein Kunstwerk der Natur: die Serai- Schlucht. Rund zwei Kilometer lang ist die Klamm, an deren Felswänden jetzt im Februar dicke Eisschichten gewachsen sind. Nur gut acht Meter breit ist die geheimnisvoll-düstere Schlucht.

Ein Ort wie geschaffen für Mythen und Sagen. Eine Hexe, so heißt es, habe einst die schöne Tochter des Schattenkönigs in einen Stein verwandelt. Dieser könnte es sein oder jener dort? Trotzdem, bloß nicht zu viel träumen während der leicht abschüssigen Fahrt. Denn zwischendurch wird es bedrohlich eng entlang dem Wildbach. Überholmanöver sind nicht drin, der gute, alte Schneepflug muss her. An einer breiteren Stelle schmiegt sich, in schlichtem Weiß, die St.-Anton-Kapelle an den Fels. Seit den 1880er Jahren steht sie schon da und wurde besonders nach dem Ersten Weltkrieg, der in den Dolomiten so viele Opfer gefordert hat, zum Ort des stillen Gebets.

Am Ende der Schlucht gleitet man nach Sottoguda. Die neue Zeit hat einen Bogen um das Dorf gemacht. Die dunkelbraunen Holzbalkons der alten Bauernhäuser tragen ein luftiges Schnitzwerk aus Herzen, Blüten und Ranken. Neben den Gebäuden türmen sich sorgfältig gestapelte Holzscheite. Die Winter sind lang in dieser Region. Es gibt nur zwei, drei kleine Hotels, die keinen Platz hatten zum Wachsen. Wozu auch? Die Nachfrage hält sich in Grenzen, Liftanlagen und Skizirkus sind einfach zu weit weg.

So wie Sottoguda mag auch das 1600 Meter hoch gelegene Arabba im Buchensteiner Tal lange ausgesehen haben. In der Mitte zwischen den Pässen Pordoi und Campolongo lag der Ort noch im Dornröschenschlaf, als das wenige Kilometer entfernte Corvara schon glänzte. Seit Arabba ans Pistennetz von Dolomiti Superski angeschlossen wurde, ist es aufgewacht. 2200 Gästebetten bietet die kleine Gemeinde mittlerweile.

Als Felix Grones 1928 hier geboren wurde, war Arabba ein Bauerndorf. 15 Familien lebten dort, und die hatten zwei, höchstens drei Kühe im Stall. „Es war alles sehr arm bei uns“, sagt er. Die Sonne macht sich rar im Tal, und oft wurde die Gerste im Sommer nicht reif. Wer nicht Bauer war, hatte Mühe, sein Brot zu verdienen. „Es gab nur vier Berufe“, erzählt Grones. Tischler, Holzschnitzer, Vergolder oder Maler von Madonnengesichtern. Grones half mal hier, mal dort. Die Zeiten waren schwierig für eine gute Ausbildung, das Geld im Elternhaus knapp, der Weg zur höheren Schule weit.

Dann kamen die ersten Wintergäste. Mitte der dreißiger Jahre wurde ein Lift zum knapp 2000 Meter hohen Berg Bunz gebaut. Ein einfacher Schlepplift mit einem Seil, an dem sich die Skifahrer festhalten mussten. Naturburschen, zunächst hauptsächlich aus England und Deutschland waren es. „Sie hatten alle Felle dabei, die sie für ihre Skitouren unterschnallten“, erinnert sich Grones. Man nahm den Schnee, wie er kam. Pistenpflege gab es noch nicht. 1956 wurde die schlichte Seilkonstruktion durch einen Einersessellift ersetzt. Damals arbeitete Felix Grones als Skilehrer, und er brachte seinen Gästen das Wesentliche bei: „Nieder, nieder, stemmen, aufrichten, fertig: Mit dem Stemmbogen konnte dann jeder im Gelände zurechtkommen.“ Nun ist Arabba Teil der wegen ihrer tollen Aussichten beliebten „Sella Ronda“. In fünf, sechs Stunden können Skifahrer bei dieser Tour den gleichnamigen Felsstock umrunden. Und es kommen immer mehr. „Alle Dorfbewohner leben nun vom Tourismus“, sagt Grones. Auch seine Familie, die oberhalb des Ortskerns das Drei- Sterne-Hotel Olympia besitzt. Bis 1990 seien hauptsächlich Deutsche gekommen, erzählt er. „Jetzt haben wir Italiener, Tschechen, Polen, Rumänen, die Leute kommen von überall her.“ Manchmal seien mehr als zehn verschiedene Nationalitäten in seinem Hotel.

International ist Arabba geworden, aber kein bisschen mondän. Im Supermarkt, gleich neben der Kirche, gibt es Spezialitäten der Region und ein paar Souvenirs. In einer Krimskrams-Boutique liegt italienische Damenwäsche neben hässlichen Steingutfiguren aus chinesischer Produktion. In den zwei, drei Skiläden stapelt sich ein überschaubares Angebot, hübsch dekoriert ist es nicht. Schicke Après-Ski-Lokale oder Bars fehlen, keine Disco weit und breit. Die Nacht senkt sich früh übers Tal.

Noch mehr für den Tourismus tun? Felix Grones schüttelt den Kopf. So wie es jetzt ist, könne es doch bleiben, findet er. Und mit neuen Hotelbauten sollte jetzt Schluss sein. Ivo, der Wirt des Belvedere-Restaurants im benachbarten Skigebiet Civetta, dürfte ihm beipflichten. Viele Jahre lang stand er immer selbst hinter seiner legendären Grappabar (sechzig Sorten!) vor seiner Hütte am 2100 Meter hohen Fertazza. Die Gäste in der gemütlichen Jausenstation umsorgte Ivos fünfköpfige Familie. Vor einigen Jahren wurde der Lift modernisiert und bringt nun viel mehr Menschen herauf. So viele, dass die Hütte zum großen, zweistöckigen Bergrestaurant ausgebaut wurde. Nun beschäftigt Ivo sieben Angestellte in der Saison, und die haben alle Hände voll zu tun.

Natürlich beklagt sich Ivo nicht über den Gästeboom aus aller Welt. Und kommt doch ins Grübeln, manchmal. „Früher war es schön“, sagt er und blickt gedankenverloren hinauf zum gut 3000 Meter hohen Eulenberg, der Civetta. Azurblau ist der Himmel über dem rötlichgelben, gezackten Koloss. Es ist ja kein Wunder, dass ihn Jahr für Jahr mehr Menschen bewundern wollen.

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