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Das ist der Gipfel. Die steile Strecke an der „Naríz del Diablo“ ist der Höhepunkt der Bahnfahrt ins Hochland.

© Ferrocariles Ecuador, dpa

Ecuador: Rückwärts auf die Teufelsnase

Abenteuerlich: Von Ecuadors Pazifikküste mit der Bahn zu den Höhen der Kordilleren.

Leichte Schläge auf den Hinterkopf wirken auf Hühner offenbar beruhigend. Zumindest beendet die Indiofrau so das Gegacker in ihrer Plastiktasche. Sogar hier, in der Hitze des Bahnhofs von Guayaquil, trägt sie die typische Tracht der „Cholitas“: tiefblauer Poncho, roter Rock und der typische, runde, schwarze Filzhut, unter dem das blauschwarze Haar zu einem dicken Zopf geflochten hervorquillt. Drei Hühner transportiert sie in ihrer Einkaufstasche. Außerdem schleppt sie noch einen verblichenen Jutesack unbekannten Inhalts mit, den sie unter ihren Sitz schiebt. Das etwa zweijährige Kind, das Indiofrauen üblicherweise in einem Tuch auf den Rücken gebunden tragen, nuckelt genüsslich an ihrer Brust.

Um fünf Uhr hatte sie das Fährschiff vom Pazifikhafen Guayaquil – mit offiziell 1,8 Millionen, tatsächlich wohl eher drei Millionen Einwohnern die größte Stadt Ecuadors – über das breite Mündungsbecken des Rio Guayas zur Bahnstation nach Durán gebracht. Für ein paar Sucre, etwa drei Euro, hatte sie sich dort ein Erste- Klasse-Bahnticket für die Heimfahrt im „Tren mixto“ (mit Fracht und Passagieren) ins 241 Kilometer entfernte, 2749 Meter hoch gelegene Riobamba gegönnt. 1908 wurde die Bahnlinie Guayaquil–Quito eröffnet, vorher dauerte die Reise von der Küste in die Hauptstadt 14 Tage.

Laut Fahrplan, und heute hält sich das Bahnpersonal von Durán mal daran, fährt der Zug um 6 Uhr 25 ab. In knapp zehn Stunden soll er in Riobamba ankommen. Schon in Milagro, immer noch im Mündungsdelta des Río Guayas und nur 34 Kilometer und eine Stunde nach Abfahrt, umschwärmen Dutzende Indiofrauen und -kinder die Waggons, um ihre Waren an die Fahrgäste zu bringen.

Speiseeis, Eier, Zigaretten, Popcorn, Papayas, Bananen, Mandarinen oder Ananas bieten sie lautstark an. Auch die Cholita möchte etwas zum Naschen. Um eine Tüte Mandarinen sowie zwei Stangen Zuckerrohr hat sie erfolgreich gefeilscht.

Jeden Augenblick erwartet man Clint Eastwood

Nach Zwischenstopps in Naranjito und Barraganeta erreicht der Zug gegen 10 Uhr Bucay am Fuße der Anden. Mitten über die Hauptstraße führen die Bahngleise. Hier ist ein längerer Aufenthalt vorgesehen. Aufgeregt verlassen die Passagiere den Zug. Auch die Cholita lässt Hühner mitsamt Sack stehen und liegen und zwängt sich durch den Gang. Regenzeit, es gießt in Strömen. Die Szenerie könnte einem Italo-Western als Kulisse dienen. Jeden Augenblick erwartet man Clint Eastwood oder Django, unrasiert und mit Zigarillo zwischen den Zähnen, auf dieser völlig verschlammten, nur von ein paar Straßenkötern bevölkerten Mainstreet. Vor einem Kolonialwarenladen sitzen im Schutz der Veranda schweigsam ein paar Indios und schauen ungerührt den in ein „Restaurant“ eilenden Fahrgästen zu.

Unter einem Wellblechdach haben zwei Frauen einen Ofen und einen Stand aufgebaut, wo sie ein einfaches Essen zubereiten, das aus gebackenen Bananen mit Reis und in der Hauptsache aus Schwarten, Borsten und Knochen besteht. Daneben lockt eine Kneipe vor allem die jüngeren Reisenden. Dort klimpert nicht mehr das mechanische Klavier, das in Filmen die ständig von Kugeln gefährdeten Pianisten wegrationalisierte, sondern dröhnt Jennifer López aus einer Musikbox. Vor dem größten Gebäude des Ortes lungern zwei Polizisten mit tief auf den Hüften hängenden Pistolen und beobachten das Treiben gelangweilt.

Endlich, beinahe zwei Stunden später, geht die Fahrt weiter. Während des Aufenthalts wurden die Lokomotiven ausgewechselt. Eine stärkere Dampflok soll den Zug auf die Anden ziehen, auf mehr als 3000 Meter Höhe. Und sie zeigt auch gleich, was in ihr steckt: Pfeifend, zischend und dampfend verabschiedet sie sich von Bucay. Vorbei geht die Fahrt an den verschiedensten Grüntönen. Reihe auf Reihe ziehen Kaffeesträucher, dann Kakaobäume, gelegentlich unterbrochen von Mangobäumen vorbei. Der Zug rattert entlang dem Río Chanchán bis ins 30 Kilometer entfernte Huigra. Unterwegs gab es noch einen unvorhergesehenen Halt – ein anderer Zug war entgleist.

Eine Meisterleistung der Ingenieure

Laut Fahrplan sollte der „Tren mixto“ in einer halben Stunde in Riobamba einfahren, doch er hat bisher gerade mal die Hälfte der Strecke zurückgelegt. Aufenthalt fürs Mittagessen. Trotz der Verspätung werden die geplanten 20 Minuten strikt eingehalten. Durch die Fenster reichen wieder Scharen von Indiofrauen vorbereitete Gerichte. Ein Teller Brühe mit gekochtem Fleisch und Kartoffeln oder zwei Scheiben gebackene Bananen auf Reis, Kartoffeln und Spaghetti, gekrönt von einem Spiegelei. Macht zwei Euro.

Neue Passagiere steigen zu, unter ihnen eine meckernde Ziege und ein grunzendes Schwein. Weiter geht’s Richtung Chanchán. Tunnel an Tunnel, Brücke nach Brücke. Kurz hinter Sibambe erreicht der Zug die „Naríz del Diablo“, die Teufelsnase. Auf einer Strecke von knapp zwei Kilometern klettert der Zug in der Schlucht des Río Chanchán mehr als 300 Meter höher. „Eine Meisterleistung der Ingenieure“, rühmen Bahnangestellte den Trick. Mit einer Steigung von 5,5 Prozent bewältigt der Zug die erste Etappe. In entgegengesetzter Richtung schiebt die Lok die Waggons dann rückwärts auf 2000 Metern Länge weitere 100 Meter höher. Auf einer letzten Etappe zieht sie ihre Last wieder vorwärts in die Höhe. So erreicht der Zug im Zickzack das 2600 Meter hoch gelegene Alausi an der Panamericana, während Sibambe beinahe senkrecht in der Tiefe kleiner und kleiner wird.

Gegen 18 Uhr ist Palmira erreicht, 3350 Meter hoch in den westlichen Kordilleren gelegen. Zwei Drittel der 240 Kilometer bis Riobamba sind inzwischen zurückgelegt. Dieser „Garten zwischen nackten Felsen“, wie der Reiseführer den Ort beschreibt, öffnet den Blick auf bis zu 6000 Meter hohe, schneebedeckte Gipfel.

Jetzt führt die Fahrt auf und ab durch das Cajabamba-Tal nach Riobamba, der 90 000 Einwohner zählenden Provinzhauptstadt. Nur an Wochenenden entsteht hier hektisches Treiben. Dann ist Markt. Deshalb steigt die Cholita aus. Es ist elf Uhr nachts und höllisch kalt. Sieben Stunden Verspätung hat der Zug. Niemand regt sich darüber auf.

Armin Wertz

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