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Land der Wunder. Schwieriger als der „indische Seiltrick“ ist offenbar die Visaerteilung.

© picture alliance / Mary Evans Pi

Einreisegenehmigung: Ein Reich mit sieben Siegeln

Wer nach Indien reisen möchte, braucht ein Visum. Und muss dafür erstaunliche Fragen beantworten.

„Unglaubliches Indien“. So bewirbt der Subkontinent seine touristischen Schätze weltweit, vorzugsweise in seiner Amtssprache Englisch, also als „Incredible !ndia“ (mit einem Ausrufezeichen statt des großen I’s). Diesen Ausruf mit positiver Konnotation wird womöglich mancher nachvollziehen können, der einmal das Land bereist, auch nur einen Reisebericht gesehen oder gelesen hat. Ein wahres Wunderland. Das allerdings auch für Irritationen sorgt.

Zunächst: Das Riesenreich, das einst in etwa 600 Fürstentümer unter der Herrschaft von Maharadschas aufgeteilt war, ist genau das, was sich Tourismuswerber und Touristen gleichermaßen erträumen. Wie in einer Wundertüte findet sich hier alles: hohe, sehr hohe Berge, riesige Wüsten, etwa 7000 Kilometer Küste, eine außergewöhnliche Flora und Fauna, prachtvolle Kulturdenkmäler, eine akzeptable Infrastruktur mit zum Teil guten Verkehrswegen und ausgezeichneten Hotels; von unendlichen Varianten der indischen Küche ganz zu schweigen.

Man möchte also meinen, jegliche touristische Werbung für das Land sei rausgeschmissenes Geld. Weil nahezu jeder, der sich für ferne Länder mit einem für unsere Begriffe kräftigen Schuss Exotik interessiert, nach Indien will. Das ist nicht ganz so. Während das Land nach Touristen geradezu lechzt, hält sich der Besucherstrom aus westlich geprägten Ländern in engen Grenzen.

Viele Menschen hierzulande kennen jemanden, der bereits einmal Indien bereist hat. Und, einmal abgesehen von den aus spirituellen Gründen völlig in das Land Vernarrten, äußern Indienreisende auch oft Kritik. Manche sagen gar: Einmal und nie wieder. Denn neben aller Faszination gibt es eben auch Irritationen. Etwa das Kastensystem mit seinen in unseren Augen furchtbaren Auswirkungen für Millionen von Indern. Vom gesellschaftlichen Stellenwert der Frau ganz zu schweigen. Doch das Verstörtsein beginnt oft schon vor einer Reise. Etwa bei der Beantragung einer Einreisegenehmigung.

Der Visumsantrag kann seit Mitte 2011 nur noch online gestellt werden, bearbeitet wird er beispielsweise in Berlin von einer Agentur. Für ein Sechs-Monats-Visum werden neben zwei Fotos und der Konsulatsgebühr von 50 Euro zusätzlich ein „Konsulatszuschlag“ in Höhe von 2 Euro und ein Serviceentgelt für die Agentur von 11,78 Euro fällig, macht unter dem Strich 63,78 Euro. Nun, schon dieses „Eintrittsgeld“ verstimmt Touristen.

Aber es kommt noch dicker: Neben den üblichen im Pass des Reisenden vermerkten Angaben wird weiter abgehorcht. Und da fragt sich der potenzielle Gast: Wen geht das was an? Und warum möchte der indische Staat, oft als „große Demokratie“ gepriesen, das überhaupt wissen von jemandem, der den Taj Mahal besuchen, durch die Wüste Thar oder in die Berge des Himalaya ziehen möchte? Da soll der Antragsteller beispielsweise gleich auf der ersten Seite des Antrags den Status von Religion und Ausbildung angeben. Warum? Man will nur eine Reise unternehmen, nicht einwandern. Doch es kommt noch „besser“.

„Die Bearbeitung kann länger dauern“

Auf der zweiten Seite werden Angaben zu Vater, Mutter und Ehegatten gefordert. Name, Staatsangehörigkeit, „vorherige Nationalität“, Geburtsort und -land.

Es geht auf Seite drei des Onlineformulars munter weiter mit der Inquisition: Beruf, Arbeitgeber inklusive Telefonnummer, Adresse und Branche, vorheriger Beruf. Zugegeben, nicht abgefragt werden Gehalt oder das Verhältnis zu Kollegen. Doch wissen möchte das Ministry of Home Affairs auch, ob man gedient hat. Zudem, ob der Bittsteller schon einmal in Indien zu Besuch war. Nun gut, geschenkt, es könnte ja noch ein nicht bezahltes Parkknöllchen anhängig sein. Da haben wir Verständnis, denn wir fänden es ja auch schön, wenn die aufgelaufenen Strafmandate des diplomatischen Corps in Berlin bezahlt würden.

Wir sind schon auf Seite vier des Antrags, aber noch nicht fertig. Unter „weitere Informationen“ ist anzugeben, welche Länder man in den vergangenen zehn Jahren besucht hat. Für manche Berufsgruppen kann es hier eng werden – allein vom Platz her. Etwa für Journalisten, die von Berufs wegen viel rumkommen. Halt, das ist ja eine ganz andere Kategorie!

Journalisten nämlich wird, unabhängig vom Zweck ihrer Reise – ob rein touristischer oder beruflicher Natur –, nur ein Journalistenvisum ausgestellt. „Die Bearbeitung kann länger dauern“, heißt es. In den Augen des indischen Staats sind Journalisten nie Privatmenschen, die einfach mal Urlaub machen. Immer im Dienst, den Block gezückt, den Stift gespitzt, die Kamera im Anschlag, auch darauf aus, die Verfehlungen staatlicher Institutionen zu dokumentieren. Auch in Indien. Sie sind also qua Beruf verdächtig. Die Vorstellung, dass ein – sagen wir mal – Tagesspiegel-Kollege ganz privat auf Tigersafari gehen und sich auch sonst noch einige Blicke auf Sehenswürdigkeiten im Land gönnen möchte, erscheint den indischen Behörden offenbar als völlig absurd.

Nun, die erhöhte Visumsgebühr von 110,50 Euro, die von bekennenden Journalisten abgegriffen wird, ist letztlich nicht die größte Hürde. Denn natürlich haben die Behörden recht. Ein Journalist, präziser: ein Tagesspiegel-Redakteur hat seinen Block auch im Urlaub immer zur Hand, seinen Stift griffbereit, seine Kamera mit geladenen Akkus im Rucksack. Nicht auszudenken, wenn etwa auf der Tigersafari – Gott möge es verhüten – ein Tourist angefallen, gar mit Haut und Haar gefressen wird. Sich dann als urlaubende Schnarchnase zu verhalten, wäre undenkbar. Der Tagesspiegel-Leser würde umgehend davon in Wort und Bild erfahren. Au weia, wenn dann der „richtige“ Sichtvermerk im Pass fehlt…! Gewiss, der Fall ist konstruiert, denn auf den angepriesenen Safaris sind Tigersichtungen so selten wie ein Lottogewinn.

Aber wäre es nicht denkbar, dass ein urlaubender Reporter hellauf begeistert ist von dem, was er im Land sieht und erlebt? Dann dürfte der Kollege kein Sterbenswörtchen darüber berichten, kein Foto dürfte veröffentlicht werden. Denn ohne das entsprechende Visum wäre das streng verboten – und irgendwie doch schade.

Also in diesem Punkt können wir den Slogan „Unglaubliches Indien“ dann auch voll unterschreiben.

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