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Würzburger Residenz mit Frankonia-Brunnen, das fränkische Versailles der Fürstbischöfe.

© Reinhard Dirscherl, picture-alliance

Entdeckungen für Stadtstreicher: Wo Stuck tanzen kann

Würzburg bietet restaurierte Pracht und lehrt fränkische Lebensart.

Würzburger sehen aus wie alle anderen Menschen auch. Bis auf Dirk Nowitzki natürlich. Aber sie sprechen irgendwie anders, so wie der Mann in der Nachtwächteruniform. Hellebarde samt Laterne stellt der eben ab und nun die „Fraach“ in die Besucherrunde, die ihn durch die abendliche Stadt begleitet. „Das Word mit hardem Gonsonanden am Anfang?“ „Karraasch“, rufen sie, und die Rs rollen nur so durch die Luft. Die Würzburger und ihr „Fränggisch“, das ist was. So was wie Karraasch, Garage. Ansonsten weich wie Günther Popp – „Gündher mit de-ha“, buchstabiert er sich „un Bobb dreima hard“ – außer bei Senft, aber das hat ihn ja hinten. So wie Schdugg halt, davon gibt es reichlich in Würzburg. Seit damals, als die Stadt im Rokoko eine der schönsten wurde.

Den Nachtwächter trifft man am Vierröhrenbrunnen. Vor dem Rathaus plätschert Wasser aus den Mäulern von vier Delfinen. „Schbedse“ nennt man so was hier, spucken, und Spetzplatz den Ort. Nicht der Delfine wegen. Es waren Tagelöhner, die am Brunnen auf Arbeit wartend Kautabak schbedsden. Heute sitzen da die Würzburger bei Wind und Wetter, bei Kaffee, Bier, Schorle, beim Schobbe und schwätzen. Der Lebenslauf ihrer Stadt ist lang, der Platz erzählt davon das Wesentliche und gibt so etwas wie Geborgenheit.

Vielleicht liegt es am Brunnen oder an der Alten Mainbrücke, vielleicht am Grafeneckart, dem alten Rathaus mit dem Wenzelsaal. Die drei nämlich haben den jüngsten Krieg überdauert. Blickt man auf der Alten Mainbrücke stadteinwärts, sieht man fast die Silhouette des alten Würzburg, überragt vom Grafeneckart und dem schlanken salischen Dom.

Von hier tauchen wir um den Franziskanerplatz in eine beige-braune Kulisse der Nachkriegszeit ein. In einem Wirtshaus öffnet sich eine Tür, im schummerigen Licht „hocke Leut’ beieinand“ an blank gescheuerten Tischen, essen und trinken. Mal ein Laden, ein Rasenstück oder ein Balkon säumen unseren Weg, mal Karraaschs. Im abendlichen Dunst kommen Bilder einer Zeit in den Sinn, als die weite Welt per Quelle-Katalog in die Würzburger Wohnstuben kommt, der Rauch von Kohleöfen in Gassen hängt und GIs mit fränkischen Frolleins knutschen. Die Enge eines mainfränkischen Städtchens ist das und eine erstaunliche Leistung aus dem Nichts der Kriegstrümmer. „Würzburg ist nicht mehr“, hatte sich Oberbürgermeister Pinkenburg nach dem Bombenangriff am 16. März 1945 bewegt an seine Mitbürger gewandt.

Mehr als biedere Nachkriegsarchitektur

Das Falkenhaus. Rokokofassade vor Fachwerkbau.
Das Falkenhaus. Rokokofassade vor Fachwerkbau.

© Uwe Gerig, picture-alliance

Seelenlose Gemäuer in verbrannter Erde, der Tod war überall, eine Handvoll unzerstörter Häuser alles, was blieb von der Altstadt – in der Franziskanergasse in diesem Viertel ist es eine Mauer vom Haus des Tilman Riemenschneider. Skulpturen von graziöser Melancholie blieben zurück, wie nur er sie aus Sandstein und Lindenholz zaubern konnte. Gegenüber das Portal, hinter dem Balthasar Neumann lebte, vielleicht der größte Baumeister des deutschen Barock.

Von seinem Haus blieb fast nichts. In der Dämmerung vermag man einen Dachbalkon zu erkennen, früher sein „Belvedere“. Selbst von dort soll der Kirchen-, Schloss- und Stadtbaumeister die Arbeit an seiner fürstbischöflichen Residenz verfolgt haben.

Dort befindet sich ein ganz anderes Würzburg, das der Fürstbischöfe, ihr fränkisches Versailles. Da fuhr man sechsspännig vor, um unter Tiepolos Götterhimmel emporzuschreiten, der im kühnen Gewölbe des Balthasar Neumann schwebt. Zum Licht, zum Schlossherrn, dahin, wo Bossis sprühender Stuck über die Wände tänzelt wie zu Händels Feuerwerksmusik. In eine Welt von Gold und Glanz tauchen wir ein, gefüllt mit Lüstern, pompösen Deckengemälden und festlichen Wandteppichen.

Gebannt in gläserne Wände schauen Antlitze zu Hunderten auf uns, aus Dutzenden Spiegeln, hinter Glas gemalt, geritzt in Gold, lackiert, gefasst als Rocaille, in zierlichstem Goldstuck. Nur narzisstisches Spiel, sich tausendfach selbst schauend ist hier eine Schöpfung, die sich selbst genügt. Übrig von ihr war eine Scherbe nach der Bombennacht.

Das Treppenhausgewölbe indes überstand sie, obwohl der brennende Dachstuhl in den Götterhimmel stürzte. 1981 wurde die Residenz als einzigartige „Synthese des europäischen Barock“ Welterbe der Menschheit.

Zur Rokoko-Schönheit Würzburgs hatte auch die Gastwirtswitwe Barbara Meißner beigetragen. Zur selben Zeit, als Tiepolo in der Residenz die Antike in seinen Götterhimmel zaubert, lässt sie vor ihre drei Fachwerkhäuser am Markt eine Steinfassade setzen. Neumann nämlich will Steinhäuser als passenden Rahmen des Schlosses und geizt nicht mit einem Steuernachlass dafür. Fort also mit den Fachwerkbuden. Viel ausgeben will die Witwe dafür aber nicht. Also lässt sie nur Dach und Fassade machen. Oberbayerische Wanderstuckateure schmücken sie mit prächtigem Stuck.

Die charmante Hochstapelei wurde nach dem Krieg rekonstruiert. Das Falkenhaus gilt als „schönstes Rokokohaus der Stadt“. Würzburg, das ist nicht nur biedere Nachkriegsarchitektur, nicht nur Pracht und Kunst, Würzburg, das ist auch etwas sehr Bodenständiges.

„Kein anderer will mir schmecken“

Stimmungsvoll. Innenhof vom Weinhaus Zum Stachel.
Stimmungsvoll. Innenhof vom Weinhaus Zum Stachel.

© R.Schmid, picture-alliance

So richtig gemütlich wird’s, wenn im Herbst draußen der Wind pfeift und der neue Wein in den riesigen Kellern unter der Stadt reift. Unter der Residenz beispielsweise oder in Gewölben des Juliusspitals. Größer noch als die der berühmten Hospices de Beaune ist diese wohltätige Stiftung des Fürstbischofs Julius Echter. In Sachen Wein macht den Würzburgern schon lange keiner was vor. Oben in der Stadt, an Pfaffenberg und Stein, Frankens Spitzenlagen, gedeihen jene Tropfen, von denen Goethe schrieb, „kein anderer will mir schmecken“.

Soeben erlebt da eine als Auslaufmodell gehandelte Traube mit dem unglamourösen Namen Scheurebe eine Renaissance – Tropfen von alten Rebstöcken sind das hier, die tief im Gestein wurzeln. Geschaut, gerochen, gekaut und verkostet werden sie und die hoch gerühmten Silvaner und Müller-Thurgaus an Ort und Stelle im „Wein Werk“ – einem lichten Kubus mit Blick über den Main und die Stadt im Halbrund der Weinberge.

Inmitten von Weingärten serviert nebenan eine flotte Truppe junger Leute beim Reiser Kulinarisches in kleinen Portionen, Fränkisches auch, leicht und neu mit mediterranen Anklängen. Ziegelwände und die großen Fenster wie in einer vorindustriellen Manufaktur sind ein stimmiger Rahmen: Hier wird für Genuss gewerkelt – in Weinberg, Keller, Küche.

Unten in der Stadt auch. Wie im Stachel, der ältesten Weinstube der Stadt. Seit 1413 wird hier ausgeschenkt. Auch der Mann mit der Laterne steht heute Abend vor dem Haus. Seinen Besuchern erzählt er, wie das so war anno 1525. Letztmals wagten da die Bürger mithilfe aufständischer Bauern, den Bischof aus der Festung zu vertreiben. Ihre Anführer saßen, wo wir nun sitzen.

Die Wände sind kirschholzfarben getäfelt, Boden und Decke von warmem Holz. Feine fränkische Küche servieren die Huths, und beste Weine vom Stein. Das Renaissancehaus mit seinem anmutigen Erker und dem stimmungsvollen Innenhof sah nach dem Krieg arg lädiert aus. Längst ist es ansehnlich geworden. Eine schöne Erinnerung an ein Würzburg, das war.

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