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Wirklich einmalig: Die sogenannten Wunderbaren Brücken im Rhodopen-Gebirge sind ein Felsenphänomen.

© Franz Lerchenmüller

Bulgarien: Wo Orpheus seine Lieder sang

Wer in den Bergen Bulgariens wandert, stößt nicht nur auf beeindruckende Landschaften, sondern auch auf erstaunliche Geschichten.

Mit seinen Liedern konnte er Tiere besänftigen, Götter beglücken und sogar Steine erweichen. Hier in den Rhodopen im heutigen Bulgarien war er zu Hause, der thrakische Sänger Orpheus. Und der Trigrad- Fluss, der in einer Höhle 42 Meter in die Tiefe fällt und dann in einem unterirdischen Labyrinth verschwindet, steht an Geheimnissen dem Styx, dem „Wasser des Grauens“ aus der griechischen Mythologie, in nichts nach.

Äste, Wurzeln, Fledermauskadaver – was immer ins Wasser fällt, bleibt für immer verschwunden. Auch zwei junge Taucher, die in den 1970er Jahren den Wasserlauf in einer groß angelegten Expedition erforschen sollten, kamen nie wieder ans Tageslicht. Mysteriös genug ist das alles, Stoff für eine ganze Sagenwelt.

Dass Orpheus ausgerechnet in den Rhodopen zum unwiderstehlichen Barden wurde, ist kein Wunder. Wer über die sanften, bewaldeten Hügeln streift, über dieses Mosaik aus Bodenwellen, blühenden Wiesen, verwetterten Fichten und ab und an einem eingezäunten Kartoffeläckerchen, muss einfach ins Singen kommen.

Margariten, Rotklee, Habichtskraut, Sonnenröschen – schon auf einem Quadratmeter bunter Wiese findet sich das halbe botanische Bestimmungsbuch. Dazwischen blühen Orchideen und glühen die orangefarbenen Funken des Nagelkrauts, das die Bulgaren „Zauberblume“ getauft haben, weiße Wolken ziehen über den blauen Himmel – an manchen Stellen ist das Land eine einzige Sommersonntagskulisse.

In den Buchenwäldern verschanzten sich die Aufständischen der Arbeiterpartei

Die Rhodopen sind das zweite Gebirge, das bei dieser Wanderreise auf dem Programm steht. Vier Bergregionen werden besucht, und jede hat ihre Besonderheiten. So sind im nur leicht gewellten Sredna Gora die realen Helden zu Hause. Im Städtchen Koprivstitza begann 1876 der letzte Aufstand gegen die Türken, der in einem blutigen Gemetzel der Besatzer endete.

1923 verschanzten sich in den Buchenwäldern die Aufständischen der Arbeiterpartei und wurden erschossen. Am 7. August 1944 wurden die Kommunisten Velko Stoev und Christo Jontscheff von den Soldaten der faschistischen Regierung aneinandergebunden und lebendig verbrannt. Ein, zwei Generationen ist das her, und doch sind die beiden immer noch präsent. Unvermutet tauchen sie zwischen den graugrünen Buchenstämmen auf, kantige Kerle aus Granit, unerschütterlich Erinnerung einfordernd. Anders als viele Denkmäler in den Städten wurden diese Zeugnisse realsozialistischer Kunst hier nicht geschleift.

Eine gelungene Mischung aus Stadt und Land, Natur und Kultur

In den westlicher gelegenen Pirin- und Rila-Gebirgen wiederum geht es höher hinauf. Wacholder und Latschenkiefer lösen die Wälder ab, bis zu 2900 Meter ragen die Gipfel auf, zwischen deren kahlem, grauen Fels sich klare Bergseen verstecken. Aber bei dieser Reise dreht sich nicht alles nur ums Wandern. Das Programm besteht aus einer gelungenen Mischung aus Stadt und Land, Natur und Kultur.

Plowdiw etwa, das 2019 Europäische Kulturhauptstadt sein wird, bezaubert mit seiner Altstadt. Prächtige, mit Girlanden und Medaillons verzierte Häuser ließen sich die reichen Händler in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der Periode der „Bulgarischen Wiedergeburt“ bauen.

Unter der Fußgängerzone liegt ein römisches Stadion

Hier können Familien Teppiche reinigen: In Bansko treibt der Bach eine hölzerne Waschmaschine an.
Hier können Familien Teppiche reinigen: In Bansko treibt der Bach eine hölzerne Waschmaschine an.

© Franz Lerchenmüller

Auch die Kirche von Konstantin und Elena berichtet mit ihrem vergoldeten Schnitzwerk, den schimmernden Ikonen und den geschmiedeten Tauben, an denen die Lüster hängen, vom Reichtum vergangener Tage. An vielen Stellen aber geht es noch tiefer in die Vergangenheit. Mitten in der Fußgängerzone klafft ein Abgrund. Als man eine Unterführung bauen wollte, kamen Säulentrümmer und Steinplatten zum Vorschein – das römische Stadion. Einst hatten 30 000 Zuschauer darin Platz gefunden.

Und so steigt man aus der Zeit von Zara, McDonald’s und Armani nur ein paar Stufen hinunter in die Epoche der Wagenrennen und der Gladiatorenkämpfe – ein 3-D-Kino hilft, wenn nötig, der Fantasie auf die Sprünge.

Die Vergnügungen von heute sind anderer Art. Auf dem Zentralplatz haben sich ein paar Hundert Zuschauer versammelt. Thrakische Hünen in schwarzen Trikots, mit Bandagen und Glatze, stemmen immer schwerere Gewichte und aalen sich im frenetischen Beifall des Publikums. Abends erscheinen im Folklorerestaurant keineswegs überwiegend Touristen. Bulgarische Frauen und Männer, zum großen Teil jüngere, feiern Geburtstag oder ein Wiedersehen, und am Ende tanzen Dutzende von Menschen zu alten Melodien durch den Saal.

Plato und Aristoteles leisten Jesus Gesellschaft

Die Suche im Supermarkt nach Gewürzen und Mawrut-Wein wird ebenso zum Ereignis wie der Besuch bekannter Kulturstätten. Im Bachkowo-Kloster ist es vor allem das Refektorium, der Speisesaal der Mönche, der erstaunt. Mitte des 17. Jahrhunderts hatte es ein Maler gewagt, in den Stammbaum Jesu, der das ganze Deckengewölbe füllt, auch die Porträts von Plato, Aristoteles und anderen griechischen Philosophen aufzunehmen.

Und im Rila-Kloster erfreut noch mehr als die maurisch anmutenden Torbögen ein Zwei-Meter- Mönch, der zu spät zur Messe kommt, hastig durch das Kirchenschiff stolpert, seinen Platz endlich findet und dann so atemlos wie falsch zu singen beginnt. Auch die Männer in Schwarz sind nur Menschen.

Eine Roma-Kapelle spielt auf

Freilich, nicht alles bereitet Reisenden hier Freude. Bansko etwa, der wild gewucherte Wintersportort, ist im Sommer ein ästhetisches Debakel: Leerstehende Apartments, verrammelte Supermärkte, abgeklebte Scheiben in den Bars. Doch sieh an, zwischen Kempinski und Hotel Sport treibt, wie schon seit Jahrhunderten, ein Bach eine hölzerne Waschmaschine an, und ein älteres Paar ist soeben dabei, seinen Stapel Teppiche und Überdecken gründlich zu reinigen. Was vor 20 Jahren noch alltäglich war, spiegelt heute fast verschwundenen Lokalkolorit.

Abends schenkt Pensionswirt Boris selbstgebrannten Trester aus, und am nächsten Tag spielt im Restaurant eine großartige Roma-Kapelle zum Hühnerschaschlik, und so versöhnen wieder einmal die Menschen am Ort die Fremden mit dem inzwischen wenig einladenden Bild des Dorfs.

Träne, Auge und Niere glitzern stahlblau

Wirklich einmalig: Die sogenannten Wunderbaren Brücken im Rhodopen-Gebirge sind ein Felsenphänomen.
Wirklich einmalig: Die sogenannten Wunderbaren Brücken im Rhodopen-Gebirge sind ein Felsenphänomen.

© Franz Lerchenmüller

Zu guter Letzt zieht es uns richtig hoch hinauf. Die „Pyramiden von Stob“, eine bizarre, stark verwitterte Sandsteinformation, künden das Rila-Gebirge an. Rila heißt „wasserreich“ – 280 Bergseen gaben dem Gebirge seinen Namen. Mit der Seilbahn geht es eine halbe Stunde hinauf zur Rilski Ezera-Hütte und von der zu Fuß weiter bergan.

Das Wetter zeigt sich wankelmütig. Mal glitzern Träne, Auge und Niere, wie die Gewässer heißen, stahlblau unter einem blanken Himmel, im nächsten Moment jagen schon wieder Nebelschwaden herein und tauchen Dreiblatt, Fischsee und die wunderschöne lila Rila-Primel in feuchten Dunst.

Rila verfluchte einst Pirin

Das Wetter ist also genauso unberechenbar wie jene Schönheit namens Rila, die einst den jungen Pirin heiratete. Als sich aber herausstellte, dass der lieber zur Jagd ging, als ihr zu Diensten zu sein, verfluchte sie ihn – und sich selbst gleich dazu. Und nun liegen sie hier, die eine zu Füßen der Wanderer, der andere nur ein paar Kilometer entfernt und finden nicht mehr zueinander, ihr ganzes steinernes Leben lang.

Tipps für Bulgarien: Wer individuell reisen will, sollte einen Leihwagen nehmen

ANREISE

Bulgaria Air fliegt bis zum 23. Oktober täglich von Tegel nonstop nach Sofia ab etwa 260 Euro. Wer individuell reist, sollte einen Leihwagen nehmen (ab 134 Euro pro Woche). Für die Einreise genügt der Personalausweis.

VERANSTALTER

Es gibt eine Reihe von Anbietern, die Wanderreisen in Bulgarien im Programm haben, darunter bekannte wie Wikinger Reisen oder Hauser.

Die hier beschriebene Reise eines österreichischen Veranstalters dauert elf Tage, findet in kleinen Gruppen statt und kostet ab 1390 Euro inklusive Flug, Transfers, zehn Übernachtungen, Vollverpflegung und Reiseleitung.

Die Wanderungen unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade dauern zwischen zwei und fünf Stunden. Auskunft: Weltweitwandern, Graz; Telefon: 00 43 316 583 50 40, Internet: weltweitwandern.com

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