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heiter und verspielt wirkt der gepflasterter Innenhof des Klosters. Luftige Arkaden sowie verschieden hohe Bögen aus Stein und Holz gliedern die Fassaden.

© Thomas Veser

Kloster Rila: Das nationale Juwel im Gebirge

Kloster Rila repräsentiert heute das Kulturerbe Bulgariens. Mit der Aufnahme auf die Welterbeliste hat die Unesco 1983 dem Gebirgskloster universellen Wert bescheinigt.

„Wer das Kloster Rila nicht besucht hat, war nicht in Bulgarien.“ Diese alte Redewendung beherzigend, begeben wir uns frühmorgens in den Reisebus, der von Sofia aus das Rila-Gebirge ansteuert. Dank Brüsseler Zuschüsse ist die Hauptverkehrsstraße gut ausgebaut. Es geht zügig voran, wenigstens zu Beginn der Fahrt. Bald zeichnen sich die oft mehr als 2000 Meter hohen, noch schneebedeckten Gipfel des südwestlich liegenden Gebirgsmassivs nahe der Grenze zu Makedonien ab.

Der Bus verlässt schließlich die Ausbaustrecke und schaukelt über eine schmale Landstraße gemächlich durch Dörfer, die seltsam menschenleer wirken. Über Serpentinen geht es dann immer höher in die wild-archaisch anmutende Waldlandschaft des Rila-Gebirges.

Der Weg zum glänzendsten unter den vielen Klöstern Bulgariens wird zum Schluss doch noch etwas mühsam und verlangt in der Hochsaison den Besuchern auf den letzten Kilometern Geduld ab: Es ist höllisch viel Betrieb. Doch endlich zeichnet sich die Silhouette des höchstgelegenen Klosters in Südosteuropa ab. Ursprünglich im 10. Jahrhundert in einem langen und tief eingeschnittenen Tal auf fast 1200 Metern von dem Eremiten Iwan Rilski (heiliger Johannes vom Rila-Gebirge) gegründet, gilt das legendäre „Rilski Manastir“ als Bulgariens wichtigste Schatzkammer der Malerei und Holzschnitzkunst.

1833 lag Rila in Schutt und Asche

Von außen lässt sich bestenfalls erahnen, was sich hinter kleinen Fenstern, die eher an Schießscharten erinnern, verbirgt. Rila sieht aus wie eine Gebirgsfestung – düster, wehrhaft und uneinnehmbar. Genau diese Wirkung wollten ihre Erbauer erzielen. Die Osmanen hatten während der fast 500 Jahre dauernden Besetzung das abgelegene Kloster zwar nie angetastet; dennoch musste die Klostergemeinschaft, die zu ihren Glanzzeiten aus 300 Mönchen bestand, etliche Überfälle und Naturkatastrophen erdulden.

Nachdem ein Großbrand Rila 1833 in Schutt und Asche gelegt hatte, wurde es umfassend neu und größer als zuvor erbaut – als orthodoxes und nationales Bollwerk gegen die muslimische Fremdherrschaft, auf deren Ende die Bulgaren damals noch etliche Jahrzehnte warten mussten.

Vor den beiden Eingangstoren das Übliche: Verkäufer von Devotionalien lauern der Kundschaft auf, sie bieten vornehmlich Kreuze, Ikonen und religiöse Literatur an. Ein paar Meter weiter riecht es verführerisch nach frischen Mekitzi, Teigkrapfen, die kurz in Öl gebacken und dann mit Puderzucker, Honig oder Konfitüre überzogen werden.

Dieser süßen Versuchung zwischendurch können auch Maria Stankowa und Slawka Katrandzhiewa, die an diesem Tag von Sofia aus einen Ausflug ins Rila-Gebirge unternehmen, nicht widerstehen. So gestärkt lassen sie jedoch den Trubel vor den Klostermauern rasch hinter sich und gelangen hinter dem Eingangstor in eine völlig andere Welt.

Hunderte von Gemälden wurden damals geschaffen

Nicht nur frühmorgens oder am späten Nachmittag, wenn sich hier nur wenige Besucher aufhalten, herrscht Stille. „Der Ort besitzt eine eigene Atmosphäre, eine bestimmte Energie, die dafür verantwortlich ist, dass man einfach zur Ruhe kommt und die Zeit vergisst“, bekräftigt Maria, die als Übersetzerin in der Hauptstadt arbeitet.

So wenig einladend sich Kloster Rila von außen gibt, so heiter und verspielt wirkt dagegen der gepflasterte Innenhof, gerahmt von mehrstöckigen, mit Erkern und Balkonen verzierten Wohnflügeln. Luftige Arkaden sowie verschieden hohe Bögen aus Stein und Holz gliedern die Fassaden. Je nach Tageszeit bieten bemalte Ziegel sowie weiße und schwarze Fassadenteile, Ornamente und Wandmalereien dem Auge ein abwechslungsreiches Spiel von Licht und Schatten.

Bei jedem Besuch betrachtet Maria fasziniert die Darstellungen auf den Wandmalereien und Fresken in und an der kuppelgekrönten Mariä-Geburtskirche. Hunderte von Gemälden waren damals geschaffen worden, sie zeigen biblische Szenen, Heilige, aber auch Persönlichkeiten des Zeitgeschehens wurden in kräftigen, lebhaften Farben verewigt. Selbst Szenen aus dem alltäglichen Leben der alten Bulgaren fanden dort Eingang.

Nicht weniger beeindruckend wirken auch heute noch die Darstellungen von Fegefeuer und Hölle, bevölkert von furchterregenden Bestien und Feuer speienden Fabelwesen. Dieses Panoptikum des Schreckens sollte vor Augen führen, welche Folgen ein zügelloser Lebenswandel nach dem Tod im Jenseits heraufbeschwören kann. Wohlgerüche aus der Klosterküche vermitteln den Betrachtern zur Mittagsstunde das beruhigende Gefühl, noch im Diesseits zu weilen.

"Weshalb schämst du dich, dich Bulgare zu nennen?"

Wandmalereien und Fresken zieren die Mariä-Geburtskirche.
Wandmalereien und Fresken zieren die Mariä-Geburtskirche.

© Thomas Veser

Die Kunstwerke symbolisieren die bulgarische „Wiedergeburt“ im 19. Jahrhundert ebenso wie die umfangreichen Bestände der Klosterbibliothek, in der auch die Werke des bekannten Mönchs und Chronisten Paisij Hilendarski aus dem 18. Jahrhundert aufbewahrt werden. „Oh, du Uneinsichtiger und Schwachsinniger, weshalb schämst du dich, dich Bulgare zu nennen?“, zitiert Maria den Mönch, der seinen zaudernden und von Selbstzweifeln verfolgten Zeitgenossen damals gehörig die Leviten las. Das Kulturerbe, das Kloster Rila repräsentiert, „steht für die guten Abschnitte unserer Geschichte, ich verbinde das mit den positiven Seiten des bulgarischen Charakters“, bekräftigt sie.

Die Mehrheit ihrer Landsleute sieht das wohl ähnlich. Keine kulturelle Stätte Bulgariens verkörpert heute für die Einheimischen stärker die bulgarische Identität als Rila, das während der kommunistischen Zeit als „nationaler Kulturkomplex“ firmierte.

Zu Beginn der 1960er Jahre hatten die „roten Zaren“ das Kloster verstaatlicht und die Mönche auf andere Klöster verteilt. Gottesdienste waren untersagt. Mit der Aufnahme auf die Welterbeliste hat die Unesco 1983 dem Gebirgskloster universellen Wert bescheinigt und sechs Jahre darauf erstattete der Staat der orthodoxen Kirche Rila vollständig zurück.

Seither hat sich das Kloster wieder spürbar in einen Ort der Spiritualität zurückverwandelt, allerdings nahm, wie auch in anderen Klöstern, die Zahl der Mönche dramatisch ab. „Man sieht jedoch, wie sie aktiv auf die Besucher zugehen, das Gespräch suchen“, schildert die Englischlehrerin Slawka. Viele Bulgaren haben ihrer Erfahrung nach zur Religiosität zurückgefunden. „In Rila finden sie mit ihren Anliegen und Problemen Beistand oder wenigstens Trost“, fügt sie hinzu. Bei vorheriger Anmeldung kann man auch im nicht geschlossenen Bereich des Klosters übernachten.

Iwan Rilski lebte hier alleine in einer Grotte

Als Studentin der Universität in der benachbarten Stadt Blagoevgrad zog es Slawka bei ihrem ersten Besuch im Kloster geradezu magisch zur Grotte, in der Iwan Rilski gelebt haben soll. „Dort jahrelang völlig alleine zu leben, diese Entscheidung hat er völlig selbstständig getroffen, niemand hat ihn dazu gezwungen, das finde ich bewundernswert.“

Wenn man durch einen schmalen Durchlass in sein Wohnquartier gelangt, „sieht man zwar nichts, was auf eine Wohnstätte schließen lässt, kann sich aber gut vorstellen, wie abgeschieden und spartanisch der Heilige gelebt hat“, meint sie. Ein Spaziergang zur Klause mitten in einem nach Harz und Pilzen duftenden Wald gehört für die meisten Klosterbesucher zum Pflichtprogramm. Dann schöpfen sie klares Gebirgswasser aus einem Brunnen, an dem der Überlieferung nach schon der Heilige seinen Durst gestillt hatte.

Wer kein Picknick mitbringt, findet am Kloster eine große Auswahl einfacher Restaurants. In keinem fehlen die beliebten Salate und Grillspezialitäten, die mit Gewürzen raffiniert verfeinert werden. Und selbst sommerliche Regengüsse, die in diesen Höhenlagen nicht selten sind, können der Stimmung der Besucher meist keinen Abbruch tun. In feine Wolkenschleier gehüllt wirkt Rila dann wie ein zwischen Himmel und Erde schwebendes Trugbild.

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