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Buddeln am Bunker birgt seine Gefahren. Jetzt räumen die Dänen auf. Auch zum Schutz der Touristen.

© imago/Westend 61

Jütland: Bagger gegen Bunker

Dänemark beseitigt an Jütlands Stränden die Reste des „Atlantikwalls“. Die dänische Küstenschutzbehörde hat dafür historische Aufzeichnungen, Karten und Luftfotos ausgewertet und mehr als 600 deutsche Bunker registriert.

Sie tauchen auf wie aus dem Nichts. Und weil sie dann eine mögliche Gefahr darstellen, rückt der Küstenschutz an und macht den Ungeheuern den Garaus. Das passiert häufig an Dänemarks Weststränden. Da die Küstenlinie sich aufgrund von Wind und Wellen dynamisch verändert, kommen immer wieder alte Bunker zum Vorschein. Errichtet 1942 von den Deutschen als Teil des „Atlantikwalls“.

Seit fast zwei Jahren müht sich nun der dänische Küstenschutz, die Monster zu beseitigen. Jørgen Overgaard gehört zu den Mannen, die diese Schwerstarbeit verrichten. Er allein schafft einen Bunker am Tag. Wenn alles gut geht, kein Sturm ist und die Maschine läuft. Denn die salzige Seeluft greift die Relais seines Baggers enorm an, und dadurch fällt schon mal der Strom aus. Ansonsten aber ist es ein beneidenswerter Arbeitsplatz, den der Däne hat: Sonne, Licht, Luft und Meer. Niemand stört ihn, denn hier ist fast nie jemand.

Ein einsamer breiter Sandstrand, nicht ungewöhnlich für Dänemark. Overgaard ist Abrissprofi, eigentlich für alte Häuser. Jetzt sind der Arbeiter und sein hydraulischer Helfer am Strand vor Thyborøn, wo die Nordsee in den riesigen Limfjord fließt und Jütland in Nord und Süd teilt. Normalerweise verlieren sich hier nur wenige Urlauber. Den Krach der Räummaschine hört also selten jemand. Die Nordsee stürmt und wumpft ohnehin meist so laut, dass der kolossale Maschinenlärm weit und breit nicht stört.

Sie versinnbildlichen die deutsche Besatzung

Aus dem Sand ragen wieder graue Bunker und die säuberlich sortierten Reste von dem, was einmal welche waren. Jørgen Overgaard sitzt entspannt in seiner Kabine, während der riesige Bohrhammer am Beton aufsetzt und ihn zerhackt. Dänisch-akkurat sind bereits die meisten Bunker zerlegt, die großen von den kleinen Betonbrocken getrennt und die Stahlarmierungen aussortiert, weil alles abgeholt und für den Straßenbau wiederverwendet wird. Dänemark ist ein ordentliches und organisiertes Land.

Die grauen Bunker lagen entlang der dänischen Westküste seit mehr als 70 Jahren im Sand. Nach 1942 als Teil des sogenannten Atlantikwalls im Zweiten Weltkrieg errichtet, sind sie in Dänemark Sinnbild der deutschen Besatzung. Eine Hinterlassenschaft, von den Nazis mit Hilfe einiger dänischer Firmen gebaut, und immer schon ein Ärgernis für die Einheimischen und später auch für Touristen. Die Monster finden sich an fast jedem Küstenort von Blåvand im Süden bis Vigsø im Norden, und sie sind nicht wenigen deutschen Gästen heute zumindest etwas peinlich.

Die dänische Küstenschutzbehörde hat die Bunker gezählt, akribisch recherchiert und registriert und dafür historische Aufzeichnungen, Karten und Luftfotos ausgewertet. Mehr als 600 deutsche Bunker in Jütland, sichtbar oder unsichtbar im Wasser oder im Sand. Graue Riesenklopse am Strand oder im Meer, die nicht nur nicht schön, sondern mittlerweile auch so angefressen sind, dass sie eine böse Verletzungsgefahr für Badende und Spaziergänger bergen.

3,3 Millionen Euro kostet das Abriss-Programm

„Die Küste ist ein dynamisches Naturgebiet. Und die Bunker bewegen sich mit. Das Wasser spült den Sand unter den Bunkern weg, die dadurch von den Dünen ins Meer fallen“, sagt Thorsten Piontkowitz vom dänischen Küstenschutz. Der Braunschweiger Hydroingenieur arbeitet seit 15 Jahren im Norden und kennt die wandernde Küstenlinie im Westen Dänemarks, wo er mit seiner Familie lebt. „Die großen Wellen, die Energien des Wassers wirken wie grobes Sandpapier und machen den Bunkerbeton mit der Zeit so porös, dass die Stahlarmierungen zum Vorschein kommen und hervorstechen und außerdem scharfe Betonkanten entstehen.“

Kommunen und Küstenschutz haben die rostigen Gitter über Jahre immer wieder abgesägt, sagt er, aber das allein reiche nicht mehr. Viele der Bunker wurden ein ernstes Risiko, die meisten Problemfälle lagen in der Kommune Lemvig, allein 46 zwischen Nordsee und Limfjord, mitten in einer der aufregendsten Landschaften Dänemarks. Seit August 2013 wird die Westküste aufgeräumt. „Übrig bleiben allerdings immer noch reichlich Bunker, aber deren Zustand sehen wir weniger kritisch, nicht direkt gefährdend.“

„Wir entfernen die Bunker“ – unter diesem Motto steht in Dänemark das Programm. Etwa 25 Millionen Dänische Kronen (etwa 3,3 Millionen Euro) kostet es. Das Land ist glücklich über jeden Bunker, der verschwindet, was schon niemand mehr zu hoffen gewagt hatte. Zu viele, zu schwer, zu teuer. Für die meisten Dänen sind sie auch nicht nötig, um sich an Krieg und Besatzung zu erinnern, sie hängen nicht an den „bunkers“. Sie gehen lieber ins Kino, wo dänische Filme über Widerstand und Besatzungszeit – mit oder ohne Superstars wie Mads Mikkelsen – seit Jahren die Besucherrekorde brechen.

Soll Deutschland dafür bezahlen?

Buddeln am Bunker birgt seine Gefahren. Jetzt räumen die Dänen auf. Auch zum Schutz der Touristen.
Buddeln am Bunker birgt seine Gefahren. Jetzt räumen die Dänen auf. Auch zum Schutz der Touristen.

© imago/Westend 61

Allein die Frage der nicht unerheblichen Kosten für den Abriss hatte die Dänen etwas nachdenklich werden lassen, einige wollten, dass Deutschland für seinen Beton bezahlt. „Nein, wir stellen keine Rechnung“, sagt Ole Navntoft von der dänischen Küstenschutzbehörde. Das habe man auch nicht bei der großen Minenräumaktion in Skallingen getan, wo mehr als 72 000 Minen aus dem Zweiten Weltkrieg gelegen haben sollen. Von 2005 bis 2011 fand hier ganz unaufgeregt eines der ambitioniertesten und teuersten Minenräumprojekte weltweit statt.

Die Halbinsel im Süden Jütlands wurde umgegraben, ist heute komplett von Minen geräumt und ein frei zugängliches Naturreservat an der Nordsee. Die roten Warnschilder „Achtung Minen!“ sind für immer verschwunden. Vom Budget, das damals übrig blieb, konnten jetzt erstmals Bunker entfernt werden.

Am teuersten ist der Schutz vor der rauen Nordsee

Das Meer ist in Dänemark immer der Nachbar. Die bunte Küste im Königreich besteht aus hunderten großen und kleinen Inseln, Wattenmeer, inneren Küsten, Fjorden, Sand-, Steil- und Felsküsten, und der Aufwand, all das zu schützen, ist hoch, aber eine Selbstverständlichkeit. Schließlich will das Land mit seinen reichlich 7300 Kilometern Küste nicht eines Tages vom Meer aufgefressen werden.

Am teuersten ist der Schutz vor der rauen Nordsee. Den dänischen Westen zu sichern, kostet allein 95 Millionen Dänische Kronen (etwa 13 Millionen Euro) im Jahr. Die Kräfte, die hier wirken, sind gigantisch – und sichtbar. An der Nordsee begann deshalb auch der historische Küstenschutz, ab 1874 startete hier der maschinelle Buhnenbau. „Das brachte damals Arbeit für viele Menschen“, sagt Thorsten Piontkowitz. „13 000 Wellenbrecher und Buhnen haben wir in Dänemark heute insgesamt.“

In jeder Buhne stecken durchschnittlich 40 Tonnen Beton und 14 Tonnen norwegischer Basaltstein. Die erste dänische Buhne überhaupt entstand 1876. In Ferring, ganz in der Nähe von Thyborøn, wo Jørgen Overgaard gerade die – vorerst – letzten deutschen Bunker zerlegt.

Ulrike Schulz

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