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Ein Spreewaldkahn kann das ganze Jahr über gebucht werden. Nur wenn die Fließe zugefroren sind, muss der Fährmann Pause machen. Noch hatte er keine.

©  Andreas Heimann

Brandenburg: Staken durch die Zeit

Im Sommer sitzen Spreewald-Ausflügler dicht an dicht im Kahn. Im Winter haben sie Platz und freie Sicht auf die stille Natur.

Es ist ein ziemlich frostiger Vormittag. In der Niederlausitz liegt Schnee in der Luft. In Lübbenau sind in der Nacht ein paar Flocken gefallen. Durch die Poststraße, die zum Hafen führt, weht ein eisiger Wind. Der Biergarten neben dem Minigolfplatz ist verwaist. Die Bahnen sind mit Planen abgedeckt, auf denen sich Feuchtigkeit sammelt. Die „Metropole des Spreewalds“, wie Theodor Fontane die Kleinstadt mal etwas überschwänglich genannt hat, ruht im Winterschlaf. Tote Hose bei eisigem Wetter – wozu soll man sich das antun? Nun, weil sich der Spreewald sonst nie so entspannt entdecken lässt und eine Kahnfahrt im Winter ihre ganz eigenen Reize hat.

Harald Wilke kann die Kälte nicht schocken. Er ist langjähriger Fährmann und frischen Wind gewöhnt. Und wenn das Thermometer mal auf Temperaturen deutlich unter null sinkt, heißt das noch lange nicht, dass er zu Hause an der Heizung sitzen bleibt: „Wir fahren das ganze Jahr“, sagt er, „solange es hier nicht zufriert.“ Im vergangenen Winter waren die Fließe meistens frei, nur drei Wochen lang war Pause.

Wilkes Kahn ist im Großen Hafen festgemacht, Spreewaldtouren starten hier jeden Tag um 11 und 13 Uhr. Gruppen sollten sich vorher anmelden, einzelne Lübbenau-Besucher einfach nur pünktlich da sein. In so einen Spreewaldkahn passen gut zwei Dutzend Passagiere. Im Sommer sind die schnell beisammen, im Winter wird es selten eng.

Richtig viele Gäste gibt es winters nur beim Lübbenauer Weihnachtsmarkt. Dann steigen Hunderte von Gästen in die Kähne. Jetzt geht es eher verhalten zu. „Macht nichts“, sagt Wilke. „Ich würde auch fahren, wenn nur einer mit will.“ Die Wolkendecke reißt etwas auf, sogar die Sonne ist zu sehen, auch wenn die Temperaturen um den Gefrierpunkt liegen. Im Hafenbecken liegt eine hauchdünne Eisschicht auf dem Wasser. Wilkes Passagiere haben jeder eine Bank und zwei Wolldecken für sich. Braucht man die überhaupt? Der Fährmann steigt in den ganz flach auf dem Wasser liegenden Kahn, in dem es sich seine Passagiere schon gemütlich gemacht haben.

Auf den Tischchen vor den gepolsterten Bänken liegen Deckchen. Und auf den Deckchen stehen Töpfe mit Stoffblumen und Körbchen mit Hochprozentigem: Kirschlikör und Weizenkorn. Wilke hat zum Glück noch mehr im Angebot: „Tee oder Glühwein?“, fragt er und schenkt aus Thermoskannen ein.

Nach dem Ablegen stakt er den Kahn mit einem langen Stab vorwärts. „Staken“ ist die richtige Vokabel im Spreewald, nicht „Stochern“ wie auf dem Neckar. Das Prinzip ist aber das gleiche. Fast geräuschlos gleitet der Kahn dahin, nur am Heck hört man ein Plätschern, wenn Wilke seine Stange aus dem Wasser zieht. Die Wasserläufe im Spreewald, den die Unesco zum Biosphärenreservat erklärt hat, sind Hunderte von Kilometern lang. Jetzt im Winter sind die Birken am Ufer kahl, die Weiden zeigen noch ein bisschen Grün. Eschen, Eiben und Silberpappeln stehen dicht am Wasser.

Stille ringsumher: es hat etwas Meditatives

Fährmann Harald Wilke kann die Kälte nicht schocken.
Fährmann Harald Wilke kann die Kälte nicht schocken.

© Andreas Heimann

Ein paar Stockenten fliegen vor Schreck über die winterlichen Kahnfahrer nervös auf. Die beiden Passagiere haben sich inzwischen doch in beide Wolldecken eingewickelt, von den Füßen bis zur Brust. Und sicherheitshalber auch Glühwein nachgeschenkt. Wilke könnte die Strecke auch mit verbundenen Augen fahren, so gut kennt er sein Revier. „Ich bin in Lübbenau geboren und fahr’ schon seit meinem dritten Lebensjahr Kahn“, erzählt er. „Und seit 40 Jahren auch mit Gästen.“ Die Fährgenossenschaft, bei der er Mitglied ist, zählt etwa 120 Fährleute.

Am Ufer ist ein alter, dunkler Holzschuppen zu sehen, an dem Efeu rankt, und nicht weit entfernt ein riesiger Tulpenbaum, der alles Grün natürlich längst verloren hat. Gleich dahinter steht ein Haus. „Hier wohnen tatsächlich zwei Menschen“, sagt der bärtige Fährmann. „Sonst gibt es ja auch viele Wochenendhäuser.“ Auf vielen Grundstücken liegt ein Kahn, jetzt meistens kieloben. Mit dem Kahn zu fahren, ist noch immer Alltag, auch wenn man längst fast überall auch auf dem Landweg hinkommt.

Das war vor wenigen Jahrzehnten noch anders, als die Kähne im Spreewald das einzige Verkehrsmittel waren, mit dem sich viele Häuser ansteuern ließen. Die Post kommt noch immer per Wasserfahrzeug, jedenfalls zwischen April und Oktober. „Da vorne, das war ein Kahnbauer“, erzählt Wilke. Ein Stapel Kiefernholz lagert vor dem Hof. Aber Holzkähne baut heute kaum noch einer. Auch Wilkes Kahn hat Wände aus Aluminium, das macht das flache Wasserfahrzeug deutlich leichter. „Dafür muss der alle drei Jahre zum Tüv“, sagt er.

„Wir haben noch viele Fische hier“, plaudert Wilke weiter. „Zander, Karpfen, Aal und Schlei.“ Fischgerichte gibt es auch in den Spreewaldrestaurants. Jetzt sind die meisten davon geschlossen, jedenfalls alle, an denen Wilke mit seinem Kahn vorbeistakt. Ab Mitte Oktober ist für sie die Saison zu Ende. Auch an den Stellen, an denen im Sommer Spreewaldgurken verkauft werden, herrscht nun gähnende Leere. An den Holzstegen sind um Weihnachten, zu Silvester und Neujahr Glühweinstände aufgebaut – aber davon ist jetzt nichts mehr zu sehen.

Die Stockenten schwimmen inzwischen gelassen vor dem Kahn her, der einsam und allein durch den Spreewald gleitet. Rechts ist just ein kleiner Bauernhof zu sehen. Der Hofhund steht am Ufer und schaut etwas ratlos. „Vier Kühe haben die im Stall“, erzählt Wilke. „Die müssen sie mit dem Kahn auf die Weide bringen.“ Das Spreewalddorf heißt Lehde und zählt rund 100 Einwohner – „fast alle zweisprachig“. Der Spreewald gehört zu der Region, in der Sorbisch verbreitet ist. „Ich hatte das in der Schule auch“, erinnert sich Wilke, „als freiwilliges Unterrichtsfach.“

Mit dem Kahn durch die Spreewaldlandschaft zu fahren, hat etwas geradezu Meditatives. Selbst die Kälte ist so gut wie vergessen, wenn man hin und wieder die zweite Wolldecke wieder hochzieht. Wem doch zu frisch geworden ist, kann sich an Land wieder aufwärmen: Direkt am Großen Hafen steht das 1879 eröffnete Traditionsrestaurant „Am Grünen Strand der Spree“. Sülze und Kesselgulasch wird dort serviert oder Grützwurst mit Spreewälder Sauerkraut. Die Gäste blicken auf etliche Bilder an den Wänden mit Motiven von Lübbenau im Winter.

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