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Lustgarten des Soldatenkönigs. Schloss Kossenblatt, die Lithografie entstand um 1860, ist eine von fast 1000 Ansichten preußischer Landsitze und Schlösser, die der Verleger Alexander Duncker herausgegeben hat.

© Zentral-und Landesbibliothek Berlin/Historische Sammlungen

Brandenburg: Barock im Abseits

„Ein imposantes Nichts“ nannte Fontane Schloss Kossenblatt. Da stand es schon 120 Jahre leer. Bis heute will es keiner haben.

„Abseits“, nannte der Schriftsteller Günter de Bruyn seine „Liebeserklärung an eine Landschaft“ vor beinahe zehn Jahren. Und er meinte ein Stückchen Waldeinsamkeit in der Mark Brandenburg, südlich des Scharmützelsees, im Dreieck zwischen Beeskow, Lübben und Storkow gelegen. Die amtliche Bezeichnung: Landkreis Oder-Spree. „Die Vorzüge der hier zu beschreibenden Gegend bestehen vor allem in dem, was ihr fehlt“, schrieb der Schriftsteller damals.

Nun hat Günter de Bruyn, nach ähnlichem Muster, „Kossenblatt“ folgen lassen, „Das vergessene Königsschloss“. Ein unglückseliges, verfluchtes, graues Gebäude, das in seinen dreihundert Jahren nie zerstört wurde, aber häufig leer stand – wie seit 2009 erneut. Von Berlin aus ist man in rund anderthalb Stunden mit dem Auto vor Ort. Mit dem Auto? Tja, die Bahnverbindungen sind schon seit langem stillgelegt.

„Von meiner Behausung aus“, in Görsdorf nämlich, könne man „Kossenblatt auf Waldwegen in einer Stunde zu Fuß erreichen“, verspricht Günter de Bruyn in seinem Buch. Görsdorf bei Beeskow, hat man im Sinn zu behalten, denn es gibt in der Region noch zwei andere Görsdorfs.

Wir lassen uns nicht beirren

Am Ortsausgang stellen wir den Wagen ab. „Straße des Friedens“, lautet die Einfahrt in den Ort. Friedlich geht es über einen Waldweg hinaus. Drei Kilometer bis Kossenblatt, heißt es auf einem Schild. Von Sand und Sumpf spricht Günter de Bruyn in seiner Erzählung, von trockenen Kiefernforsten, feuchten Erlenwäldchen, und dem Weiß der Birkenstämme. „Abgesehen von den flachen Wiesen der Niederungen, die in den kalten Monaten des Jahres noch merken lassen, dass sie einst unbegehbare Sümpfe waren, ist das Land wellig bis hügelig...“

Wir schreiten dahin und lauschen in die Stille. Wunderliche Namen hat uns der Schriftsteller versprochen, die „Pretschener Spree“ verläuft hier ebenso wie der „Blabbergraben“. Nach einer Weile lichtet sich der Wald, und wir gehen über einen offenen Feldweg. In der Ferne glitzert unten der Große Kossenblatter See. Auf dem leuchtenden Nass plitschert ein Schwarm schnatternder Wildgänse beim mittäglichen Plausch. Auch Reiher sind zu sehen, Kraniche, Schwäne. An einem Rastplatz mit roh gezimmerten Bänken und einem Tisch zeigt das Wanderschild drei Komma zwei Kilometer bis Kossenblatt an. Geht das so weiter, entfernen wir uns allmählich vom Ziel. Wir lassen uns nicht beirren.

Links und rechts des Wegs sind diverse Hochsitze zu sehen. Wild hält sich am Tag versteckt. Ein Vogelbeobachtungsposten ragt in den blauen Himmel, das Gestell ist Richtung See ausgerichtet. Am Ufer versucht ein Angler sein Glück. Im Hintergrund wedeln Trittin-Palmen. Sprachen wir nicht von der Energiewende? Aber ja!

Etwas Zivilisation muss sein

Eine schmale Brücke mit ein paar Stufen führt über ein Wehr. Am Himmel korrigiert eine V-Formation von Langstreckenflüglern lautstark schnatternd ihre windschnittige Anordnung. Auf einer Anhöhe entdecken wir vereinzelte Häuser. Sollte das Kossenblatt sein? Es ist Kossenblatt. Auf einem ausgemusterten Fabrikschornstein sind zwei Handyantennen angebracht. Von wegen: abseits! Etwas Zivilisation muss sein.

Der Gutshof in der Mitte des Dorfs strahlt frisch und gelb und fachwerkern. Ein Fußweg zum Schloss ist ausgeschildert. Dann stehen wir vor einem grünen Zaun. Zum Schloss geht es nicht weiter. Das Gebäude wirkt verwunschen, so grau und trumpig wie zu Fontanes Zeiten. 1862 bemerkte der Literat auf seinen Wanderungen wenig Rühmliches. Die Landschaft erschien ihm „geradezu trostlos“ und „jedes kommende Dorf noch ärmer als das voraufgegangene“.

Der Ort? „Eher schaurig als schön.“ Das Schloss aber? „Es ist ein imposantes Nichts, eine würdevolle Leere – die Dimensionen eines Schlosses und die Nüchternheit einer Kaserne. Aber erst in den Zimmern der Beletage erreicht die Trübseligkeit ihren höchsten Grad...“ Fontanes negativer Eindruck rührte auch daher, dass das Schloss seinerzeit „seit mehr als 120 Jahren nicht bewohnt und nicht gepflegt worden war“, erklärt Günter de Bruyn in seinem Buch.

Verwildert und versumpft

Rückwärtige Ansicht der dreiflügligen Anlage. Eine Aufnahme von vorn ist aufgrund von Zäunen, Bäumen und Gestrüpp derzeit nicht möglich.
Rückwärtige Ansicht der dreiflügligen Anlage. Eine Aufnahme von vorn ist aufgrund von Zäunen, Bäumen und Gestrüpp derzeit nicht möglich.

© Patrick Pleul/dpa

Dabei war es einmal eine Perle des Barock. Dreiflügelig in den Jahren 1702 bis 1712 errichtet, erwarb es der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. und lebte dort zeitweilig seit 1735. Dann stand es wieder lange Zeit leer. In der DDR war jahrelang die Zentralstelle für Reprografie der Staatlichen Archivverwaltung dort untergebracht. 1991 mietete ein Berliner Unternehmer das Schloss und führte den Betrieb als „Mikrofilmcenter“ weiter. Bis auch diese Nutzung vor zehn Jahren ein Ende fand.

Vandalismusschäden sind nicht zu entdecken. Kein Fenster ist eingeschlagen, die Fensterrahmen wirken intakt. Aber sonst? Was zeigt doch das Titelbild auf Günter de Bruyns Buch für ein freundliches, sonniges, verspieltes Anwesen. Ein Lustgarten zum Flanieren! Rosenstöcke, einen Pfau, und Frauen in rauschenden Gewändern. Eine farbige Lithografie von 1870, lang ist’s her.

Will man das Schloss heute besichtigen, darf das nur aus der Ferne geschehen. Wir schlendern am Zaun rund um das Anwesen herum und können die Gestalt des versteckten Schlosses hinter Bäumen, Buschwerk und Gestrüpp nur erahnen. Der ehemalige Schlossgarten ist längst zugewuchert, verwildert und versumpft, mit vielen Bäumen weiter verdüstert.

„Kossenblatt grüßt seine Gäste!“

Auch der Ort mit seinen rund 500 Einwohnern liegt im Dornröschenschlaf. 1208 erstmals urkundlich erwähnt, gibt er nur bei genauerer Betrachtung etwas von seiner Geschichte preis. Es existiert keine Kneipe mehr, nur ein Getränkemarkt. Die schnurgerade Dorfstraße, gesäumt von Linden und Weiden, liegt verlassen da. Drei Jugendliche vertreiben sich die Langeweile mit Rauchen, Daddeln und Herumlungern. Der Gutshof wurde 1994 von jenem (?) Berliner Unternehmer gekauft und aufwendig restauriert. Diese Gebäude, darunter das alte Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert, erscheinen als die Perlen des Orts.

Das Gasthaus am Dorfanger ist seit anderthalb Jahren geschlossen. „Kossenblatter Dorfkrug“ steht einladend in altdeutschen Lettern an der Fassade, das Gebäude wirkt picobello. Im Internet heißt es „Herzlich willkommen“. Doch am Telefon bedauert der Inhaber, er habe keinen Nachfolger für sein Lokal gefunden.

Vor sechs Jahren wurde zur 800-Jahrfeier ein großes Schild auf dem Dorfanger errichtet. „Kossenblatt grüßt seine Gäste!“ steht darauf. Auf der Rückseite lädt eine Karte zur Ortswanderung ein. Der Gutshof ist markiert, die Kirche mit Grundmauern aus dem 13. Jahrhundert, die Zollbrücke, an der bis 1815 die Grenze zwischen Preußen und dem Königreich Sachsen verlief, ein Eiskeller im früheren Landschaftspark, das Schloss.

Die Unglücksgeschichte setzt sich fort

Auch das Schloss Kossenblatt ist verwunschen, „von allen missachtet“, wie Günter de Bruyn schreibt. Seit drei Jahren ist das Gebäude in Privatbesitz. Doch die „Schloss Kossenblatt GmbH“ möchte das Anwesen wieder loswerden. „Die Unglücksgeschichte scheint sich also fortzusetzen“, klagt Günter de Bruyn. Mit der Gemeinde trifft man sich seit geraumer Zeit in unregelmäßigen Abständen vor Gericht.

Der nächste Termin vor dem Landgericht Frankfurt/Oder ist für den 17. Juli angesetzt. Es geht – vorgeblich – um die Zufahrt zum Schloss. In Wirklichkeit aber wohl um die Nutzung und Restaurierung, die nicht mehr gestemmt werden mag. Günter de Bruyn, mittlerweile 87 Jahre alt, begräbt am Ende seiner melancholischen Erzählung seine „Hoffnung auf eine baldige Wiederbelebung des Schlosses“. So ist sein Buch auch so etwas wie der Abschied von einem Mythos – „aber das Verabschieden, auch von Wichtigerem, hat mich das Alter ja schon mehrfach gelehrt“, schreibt de Bruyn am Schluss.

Doch es gibt weiterhin Wanderwege im abseitigen Landstrich, die Natur bleibt heiter, und die Stille ist betörend. Die natürlichen Kreisläufe lassen sich vom Treiben der Menschen nicht stören.

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