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Aushängeschild. Der Christkindlesmarkt ist auch außerhalb Deutschlands bekannt. Genau wie die Lebkuchen, die gern in Dürerdosen verschenkt werden.

© picture alliance / dpa

Lebkuchen aus Nürnberg: Ein paar Mandeln extra

Produziert wird das ganze Jahr: In Nürnberg werden die besten Lebkuchen von Hand gemacht.

So stellt man sich die Weihnachtsbäckerei bei den Wichtelmännern vor. In die verwinkelten Räume dringt kein Strahl Sonnenlicht, Männer und Frauen mit weißen Hosen und weißen T-Shirts wieseln hin und her, ab und zu brummt eine altertümliche Knetmaschine. Und natürlich duftet es herrlich nach Keksen und Schokolade, nach Zimt und Nelken und ein paar anderen, vermutlich weit geheimnisvolleren Gewürzen.

In dem geschäftigen Durcheinander sitzt als ruhender Pol ein Mann von Ende 40 mit gutmütiger Miene und dem wachen Blick für alles. Lebküchner Holger Düll behält das ineinandergreifende Räderwerk aus 15 Konditoren und Bäckern fest im Auge. Er dirigiert, beantwortet Fragen und lässt dabei keinen Augenblick von seiner Arbeit ab. Stück für Stück legt er eine Oblate von zehn Zentimetern Durchmesser auf seinen Drehteller, sticht mit einem Handspachtel eine Portion von der klebrigen, braunen Masse ab, die sich auf dem Tisch türmt, und formt sie mit raschen Handgriffen zu einem Hügelchen: „Der hält den Lebkuchen saftig.“ Am Ende glättet er ein wenig nach und hebt den Rohling auf ein Blech. Wieder und wieder und wieder.

Holger Düll betreibt eine ganz normale Bäckerei im Nürnberger Stadtteil Schoppershof, dazu zwei Geschäfte in der Innenstadt. Neben Brot, Brezeln und Blätterteiggebäck sind auch Lebkuchen das ganze Jahr über im Angebot. Touristen erwarten, dass die wichtigsten Nürnberger Souvenirs auch im Juli zu haben sind.

Mindestens 25 Prozent „Edel-Ölsamen“

Aber im September, wenn sich die ersten Blätter verfärben, zieht in der Backstube das Tempo ordentlich an: Die Saison beginnt. Zum Advent hin verlassen täglich 5000 bis 6000 Lebkuchen die enge Backstube. Das klingt viel, ist aber bescheiden, wenn man es mit dem Ausstoß des Marktführers vergleicht: Bei Lebkuchen Schmidt schieben sich in Spitzenzeiten bis zu drei Millionen Stück über die blitzblanken Backstraßen – pro Tag. Der Unterschied ist: Bei Düll wird jedes süß-würzige Stück von Hand gemacht.

Die köstlichen Rundstücke gibt es mit Guss aus Zucker, Rotweinpunsch und sieben Sorten von Schokolade.
Die köstlichen Rundstücke gibt es mit Guss aus Zucker, Rotweinpunsch und sieben Sorten von Schokolade.

© Lerchenmüller

Ein „Nürnberger Elisenlebkuchen“ muss innerhalb der Stadtgrenzen von Nürnberg gebacken worden sein. Er darf höchstens zehn Prozent Mehl und muss mindestens 25 Prozent „Edel-Ölsamen“ enthalten: Haselnüsse, Walnüsse oder Mandeln. Dazu kommen Eiweiß, Honig, Zucker, Marzipan, Aprikosenmarmelade, Zitronat und Orangeat. Und natürlich die Gewürze. „Zimt, Muskatnuss, Kardamom – und den Rest sag I net“, erklärt Holger Düll, lausbübisch grinsend. Wie alle Inhaber von Traditionsbetrieben hat er auf diese Frage natürlich nur gewartet.

Ja, es gibt das berühmte Familiengeheimnis, das schon seit drei Generationen weitergegeben wird. Und es ist immer die gleiche Masse, die Holger Düll während der Saison anrührt. Dass das Endprodukt trotzdem unterschiedlich schmeckt, liegt am Überzug: Ein Guss aus Zucker oder Rotweinpunsch oder eine von sieben Sorten Schokolade.

16 Bleche im Blick

Azubi Thomas Cikarski sorgt für die süße Glasur.
Azubi Thomas Cikarski sorgt für die süße Glasur.

© Lerchenmüller

Auch wenn der Lebkuchen inzwischen untrennbar mit der Stadt Nürnberg verbunden ist – erfunden wurde er hier nicht. Gebäck mit Honig und Gewürzen gab es schon im alten Ägypten. Im Mittelalter waren es Klöster, die Honig- und Pfefferkuchen herstellten. Dass die Lebkuchenbäckerei gerade in Nürnberg einen solchen Aufschwung nahm, verdankt sich vor allem der Lage der Stadt. Die Wälder rundum waren reich an Honig – „des Kaisers und des Reiches Bienenkorb“ nannte man die Region. Und über die Handelsstraße von Venedig kamen Gewürze aus dem Orient. Aus dem einstigen Handwerk wurde schließlich eine florierende Industrie.

In der Backstube hat jeder Geselle und jeder Azubi seinen Aufgabenbereich. Einer legt Mandeln auf Lebkuchen, Stück für Stück für Stück. Ein anderer pinselt Rohlinge mit rosa Zuckerguss ein. Konditormeister Klaus Ohr, zwei Tische weiter, hat den Traumberuf aller Leckermäuler: Mit beiden Händen taucht er Lebkuchen in eine Schüssel mit schwarzer Kuvertüre – eine knifflige Arbeit, denn schon ein kleiner Temperaturunterschied kann dazu führen, dass die Schokolade Streifen bildet. Es erfordert eine ausgeklügelte Logistik, um auf so engem Raum alle Arbeitsschritte zu koordinieren. Frisch bestrichene Oblaten trocknen 24 Stunden.

An den Öfen, die schon seit 75 Jahren an der gleichen Stelle stehen, wacht seit 20 Jahren Herbert Hüttinger, Bäcker seit 1964. Er hat die 16 Bleche im Blick – Spekulatius, Zimtsterne, Lebkuchen – und weiß fast instinktiv, wann sich nach zwölf, dreizehn Minuten die Ränder dunkler färben.

Jetzt kann es Weihnachten werden

Lebkuchen, die Zuckerguss erhalten, werden bepinselt, solange sie heiß sind. Künftige Schokolebkuchen dagegen müssen erst erkalten, ehe man sie eintaucht. Und dann werden sie verpackt, in jene silbernen und goldfarbenen Dosen mit Dürer-, Schnee- und Burg-Motiven, die Nürnberger Lebkuchen in ganz Europa berühmt gemacht haben.

Drei große Firmen decken heute einen Großteil des Marktes ab: Lebkuchen Schmidt, Lebkuchen Weiss und Lebkuchen Schumann. Daneben gibt es 30 bis 40 kleinere Bäcker, die Lebkuchen von Hand herstellen. Und jeder tüftelt immer an irgendeiner neuen Mischung.

Holger Düll bleibt Traditionalist. Immerhin: Auf Überzüge aus Cappuccino-, Erdbeer- und Bienenhonigschokolade hat er sich schon eingelassen. Es gibt „Mini-Elisen“ von vier und den Einpfünder „Königselise“ von 19 Zentimetern Durchmesser. Doch welche Variante man auch wählt, schon beim ersten Biss in die saftig-feuchte Masse erschließt sich das ganze weihnachtliche Geschmacksuniversum: Aus dem körnigen Fundament der Haselnüsse steigen die Aromen von Nelken und Zimt, angereichert um das fruchtige der Aprikosen. Die widerspenstige Bitterkeit des Zitronats wetteifert mit der gefälligeren der schwarzen Schokolade, beide aber werden aufs wunderbarste ausbalanciert durch die warme, dunkle Süße von Honig: Jetzt kann es wirklich Weihnachten werden.

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