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Meerblick für alle. Wer Naturkino mag, kann sich auf Rügen in den Strandkorb setzen. Noch ist das luftige Mobiliar eingemottet. Foto: promo

© honorarfrei

Rügen: Film ab im Spiegelsaal

Auf Rügen läuft das Kino im Cliff Hotel wieder wie zu Honeckers Zeiten. 200 Zuschauer haben Platz – und nicht nur Gäste des Hauses finden sich ein.

Christian Schmidt verschwindet im Cliff Hotel in einem kleinen Nebenraum des historischen Spiegelsaals. Jeden zweiten Sonntag. Er öffnet die großen flachen Dosen mit den Filmrollen, setzt die alten Projektoren in Gang und bereitet alles für den nächsten Kinoabend vor. Bevor der Gong ertönt, stellt er sich vor die Zuschauer, die es sich bereits in den grünen Sesseln bequem gemacht haben. Schmidt sagt einige Sätze zu Handlung und Besetzung, und während es im Spiegelsaal langsam dunkel wird, schieben sich die holzvertäfelten Wände zur Seite und geben die Leinwand frei. Film ab.

Der Kinogong ertönte bereits zu Honeckers Zeiten. Das Cliff Hotel, im Seebad Sellin an der Ostküste Rügens gelegen, wurde 1978 als Erholungsheim Baabe errichtet. Das Hotel war eine der luxuriösesten Ferienunterkünfte der DDR und nur hohen SED-Kadern oder Staatsgästen vorbehalten. Dort residierten Staats- und Parteichef Erich Honecker, SED-Größen wie Günther Schabowski, Gewerkschaftsboss Harry Tisch und DDR-Wirtschaftsplaner Günter Mittag. Sie schwebten per Fahrstuhl zum Strand, speisten in gediegenem Ambiente und ließen sich abends durch einen Film unterhalten.

Nicht nur der Fahrstuhl zum Strand ist heute noch funktionstüchtig, auch die alte Kinoanlage hat überlebt. „Man wusste schon, dass es im Cliff zu DDR-Zeiten ein Kino für die obersten Funktionäre gab“, berichtet Schmidt. Aber dass die gesamte Technik noch einsatzfähig ist, damit hatte jetzt niemand gerechnet.

Der kleine Raum neben dem Spiegelsaal wurde rund 25 Jahre lang als Lager zweckentfremdet. Hinter Möbelstapeln und unter Staubschichten versteckt, gerieten die Geräte in Vergessenheit. Eher zufällig entdeckten Hoteldirektor Peter Schwarz und seine Mitarbeiter unlängst das erstaunliche Erbe. Da stand eine komplette Kinoanlage mit Tonstudio und zwei großen Filmprojektoren vor ihnen.

Schwarz rief den fachkundigen Christian Schmidt dazu, der zu DDR-Zeiten das Handwerk des Filmvorführers erlernte und als ehrenamtlicher Vorsitzender des Vereins „Lichtspiele Sassnitz“ ein Programmkino führt. Der Cineast erkannte die Doppelanlage der tschechischen Firma Meopta sofort, die in den 1970er Jahren die meisten osteuropäischen Kinos mit Technik versorgte. Er konnte kaum glauben, auf welchen Schatz er hier gestoßen ist. „Ich hatte tatsächlich immer wieder einen Traum, nämlich ein altes Kino zu betreten und unter einer Staubschicht alles so vorzufinden, wie es war, als es Jahrzehnte zuvor dicht gemacht wurde“, erzählt der 48-Jährige. So ähnlich ging es ihm, als er die rund 250 Kilo schweren 35 Millimeter-Projektoren vorfand, die in den 1970er Jahren in Serie gefertigt und 1978 im damaligen Erholungsheim Baabe installiert wurden.

Bis im Hotel wieder Filme laufen konnten, waren nur einige Handgriffe notwendig. Schmidt prüfte mit dem Haustechniker die Sicherungen, verkabelte die Verstärker, ölte die Maschine und brachte die Hochdrucklampen an den Projektoren in Schuss. Ein befreundeter Bastler baute noch ein Gerät, mit dem das alte Stück moderne Tonspuren lesen kann. Es konnte losgehen.

Hoteldirektor Peter Schwarz legte Wert darauf, dass das Kino etwa wieder so aussieht wie damals. So fanden die im Keller aufbewahrten Kinosessel aus grünem Veloursamt im Saal wieder ihren Platz, ebenso die kleinen Clubtische, auf denen heute wie früher Getränke serviert werden. Mitarbeiterin Elke Gloser, die seit der Eröffnung im Hotel beschäftigt ist, erinnert sich noch an die frühere Kinozeit. Der US-amerikanische Produktion „Dirty Dancing" war der letzte Film der 1987 über die 18 Quadratmeter große Leinwand lief. Danach wurde der Spiegelsaal nur noch für Bankette genutzt.

Heute ist das Kino mit etwa 200 Plätzen für alle zugänglich. Willkommen sind Hotelgäste, Inselbesucher wie Rügener. Für das Programm ist der Verein Lichtspiele Sassnitz zuständig. Dessen Vorsitzender Schmidt macht sich für anspruchsvolle Filme stark. Gezeigt wurde beispielsweise „Das weiße Band“, eine deutsche Kindergeschichte vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Der Kinobesuch im Cliff Hotel kostet fünf Euro und kommt dem Verein zugute. Rund 70 Interessierte kommen pro Vorstellung. „Wir machen Kulturkino und wollen damit unser Haus öffnen“, sagt Direktor Schwarz. Außerdem erzähle das Kino ein Stück Hotelgeschichte.

Ein Mitarbeiter der ersten Stunde ist auch Küchenchef Roland Ehrich. Er verwöhnte in den 80er Jahren die DDR-Größen mit „Filettopf Feuertanz“ oder „Broilerbrust mit Früchten“. Da nichts auf der Karte westlich klingen sollte, hießen Königsbergerklopse damals Kochklopse.

Als die Mauer fiel, suchte der frühere Hotelleiter das Weite, dann herrschte Chaos. Wütende Einheimische und Plünderer bevölkerten das Hotel, erinnert sich Ehrich. Im Dezember 1989 konnten sich alle bei den ersten organisierten Führungen davon überzeugen, dass es komfortabel zuging, aber keine goldenen Wasserhähne gab. Ehrich wollte das Hotel mit den damals 160 Betten und 120 Arbeitsplätzen retten. Mit vier Kollegen gründete er die Cliff Hotel GmbH, die der Treuhand unterstellt war. Nach kurzer Schließung, führten sie vom 2. Januar 1990 an das Haus weiter. Der Gästeansturm war groß.

Die Treuhand verkaufte das Hotel 1993 an die Abacus Liegenschaften GmbH. Seit 2007 gehört es zur Hotelgruppe Lohbeck. Im Zuge zahlreicher Umbauten wurden die Zimmer vergrößert, ein großer Wellnessbereich mit einem 25 Meter langen Schwimmbecken, Tennis- und Kinderspielplatz sowie verschiedenen Restaurants eingerichtet.

Christian Schmidt freut sich, wenn er sonntags zum Kinovorführer wird. Bereits als kleiner Junge träumte er von Filmen, wenn er in der Wolgaster Dorfgaststätte DEFA-Indianerstreifen sehen konnte. Jeden zweiten Sonntag ertönt im Cliff Hotel erneut der Gong. Fast wie zu Honeckers Zeiten.

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