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Der an den Cherusker-Fürst Arminius angelehnten Gestalt „Hermann der Cherusker“ wurde im 19. Jahrhundert das Denkmal gesetzt.

© Landesverband Lippe, Franz-Josef Mertens

Teutoburger Wald: Mystik in Holz

Naturschutz contra Forstwirtschaft: Eine Wanderung durch den Teutoburger Wald führt zu alten Felsen und neuen Debatten. Durch einen Nationalpark würde die Waldwirtschaft erheblich eingeschränkt. Es geht ums Ganze.

Wie eine Krone haben sich dicke Wurzeln auf die mannshohe Kante gelegt, die zum Wanderweg A 2 abfällt. Unter dem Wurzelgeflecht sind Felssteine zu erkennen, einige gleichförmig, als könnten sie behauen worden sein. Was von der Wüstung Blankenrode übrig geblieben ist, braucht alle Fantasie des Wanderers, um sich vorzustellen, dass hier, am Südrand des westfälischen Eggegebirges, im frühen Mittelalter ein blühendes Gemeinwesen war, stets umkämpft zwischen den Paderborner Fürstbischöfen und den waldeckischen Grafen.

Es wurde 1390 verwüstet und fällt seither der Natur anheim. Ähnlich wie den Resten von Blankenrode könnte es bald großen Teilen des umliegenden Eggegebirges und des angrenzenden Teutoburger Waldes ergehen, wenn es nach den Plänen des grün geführten nordrhein-westfälischen Umweltministeriums geht. Knapp 9000 Hektar zwischen Altenbeken im Süden und Detmold im Norden sollen als Nationalpark ausgewiesen und sich selbst überlassen werden, jedenfalls in den sogenannten Kernzonen. Das ist jedoch umstritten.

Kommt es zum Nationalpark, sollen Ranger die Spaziergänger durch den Wald begleiten, zahlreiche Forstwirtschafts- und Wanderwege würden komplett gesperrt. Ziel soll es unter anderem sein, künftig einen naturnahen Buchenwald zu schaffen und den vorhandenen Fichtenbestand zu reduzieren. Ansonsten soll das Werden und Vergehen des Waldes sich selbst überlassen bleiben.

Wald- und Holzwirtschaft, wie sie heute in der Egge und im Teutoburger Wald üblich sind, würden durch einen Nationalpark erheblich eingeschränkt, befürchten Gegner des Konzepts. Zu ihnen gehören Landwirte, Sägewerker, Jagdpächter und Waldbauern. Einflussreichster Widerständler ist Stephan Prinz zur Lippe, dessen Familie seit 900 Jahren rund 20 Prozent der Waldfläche gehören, die als Nationalpark projektiert werden. „Die Waldflächen werden nicht zur Verfügung gestellt“, lässt der Prinz, von Beruf Anwalt, verlauten. Seine Vorfahren regierten einst über das Fürstentum Lippe. Die republikanisch-grüne Antwort kam prompt: „Wir leben nicht mehr in der Monarchie – der Nationalpark Teutoburger Wald kommt auch ohne Prinzen aus.“

Der Teuto ist übrigens überall: Ähnliche Zielkonflikte ergeben sich zurzeit im Nordschwarzwald und im Pfälzerwald, auch dort sollen Nationalparks geschaffen werden; Touristiker, Waldbesitzer, Urgrüne und Anwohner gehen in Stellung. Im Lipperland jedenfalls erhoffen sich die Touristiker neue Impulse für eine Region, die sich aufs Altenteil verlegt hat, fremdenverkehrsmäßig gesehen. Von noch mehr „Best Agern“ raunen die Marketingkonzepte, die seit Jahr und Tag Übernachtungsrückgänge konstatieren müssen.

Und so kommt es, dass etwa Dalheim an ganz normalen Wochentagen mehr Bedienstete als Besucher verzeichnet – dabei ist die restaurierte Klosteranlage südöstlich von Paderborn eine so seltene wie überraschende Attraktion für alle kultur- und kirchengeschichtlich Interessierten.

Fast abweisend wirkt die Anlage zunächst, ganz gegen die christlichen Regeln der Gastfreundschaft. Wanderer, die aus dem benachbarten Nonnenholz kommen, müssen sich einen ersten Blick über die dicken Felssteinmauern erkämpfen, die die Anlage umgürten. Dahinter sind restaurierte Wirtschaftsgebäude zu erkennen, eine Kirche und die schlossähnliche Abtei, wo Ende des 12. Jahrhunderts zunächst ein Frauenkonvent gegründet worden war, später Augustiner beteten und arbeiteten. Heute ist dort ein ansehnliches Museum für Klosterkultur zu bestaunen. Klösterliches und Monastisches dominiert die Wechselausstellungen.

Es ist Winter. Von der Jagdsaison ist nichts mehr zu spüren, vorsichtshalber lässt sich das Wild jedoch nicht blicken. Der Wald wäre schwarz und schwiege, wenn nicht Kreissägen aufheulten und Baumstämme auf den Boden fielen. Weiträumig ist der Fernwanderweg E 2 gesperrt, Fußgänger müssen die Holzfällereien auf drei, vier Kilometern umgehen. Holz, heißt es, sei derzeit gut zu verkaufen – man hört’s und sieht’s auch drunten im Tale, wo es aus den Schloten einer Holzwerkstoffproduktionsfirma mächtig dampft.

Humpelnd geht es weiter

Naturschönheiten so weit das Auge reicht. Wäre doch schade, hier etwas zu ändern.
Naturschönheiten so weit das Auge reicht. Wäre doch schade, hier etwas zu ändern.

© Landesverband Lippe, Franz-Josef Mertens

Aus dem Sandstein, der unterhalb des 468 Meter hohen Velmerstot gebrochen wurde, entstand unter anderem das Reichstagsgebäude in Berlin. Im Nebel ist dieser steinerne Untergrund doppelt tückisch; selbst bestbeschuhte Bergfexe rutschen da schon mal orientierungslos weg und landen humpelnd unten im Gasthof Silbermühle, wo sie gegen dergleichen Missgeschicke Pflaster, Steinhäger und ein warmes Kaminfeuer parat haben.

Bad Meinberg ist einer dieser Kurorte zwischen Lippe und Weser, die sich nach diversen Gesundheitsreformen neu erfinden mussten. Meinberg fand zu neuer Identität – ein großes Yoga-Zentrum hat sich etabliert. Wo noch vor Jahren Knappschaftsrentner im Moor gewendet wurden, hallen heute die „Omms“ wider und Yogis biegen sich zum Sonnengruß.

Meinbergs Radikalesoteriker, leider auch Alt- und Neofaschisten, zieht es bisweilen an die nahen Externsteine, denen seit Jahrhunderten allerlei mystische Energien nachgesagt werden. Auch für christliche Zeremonien geben die Externsteine den Hintergrund ab; mit ersichtlich großer Anstrengung wurden Symbole in den Fels gehackt. Die Lakonie der Geologen will von Spiritualität aber nichts wissen: „Im Zuge der Gebirgsbildung vor etwa 70 Millionen Jahren wurde der ursprünglich flach lagernde Unterkreide-Sandstein im Bereich der Gebirgskette an den Externsteinen senkrecht aufgepresst.“ Punktum.

Aber auch jenseits von Spökenkiekerei und Mystizismus ziehen die Externsteine jährlich hunderttausende Besucher, Bewunderer und Schaulustige an. Von der Aussichtsplattform des Turmfelsens reicht der Blick, über Buchenkronen, braungrau meliert vom Reifgefrorenen, östlich bis zum Weserbergland, westlich zur Senne, einer Heidelandschaft, die auch als Teil eines Nationalparks in Rede stünde, wären da nicht Bundeswehr und die Rheinarmee präsent.

Zwölf, dreizehn Spazierkilometer weiter nordwestlich von den Externsteinen kann, wer will, eine ähnliche Fernsicht noch einmal genießen – auf dem Besucherumlauf des Hermannsdenkmals. Das grünliche Trumm erinnert an ein römisch-germanisches Scharmützel im Teutoburgerwald, das in Wahrheit wohl weiter oben in Kalkriese bei Bramsche stattgefunden hat. Der Anziehungskraft des kupfernen Arminius hat der archäologische Fortschritt keinen Abbruch getan – kaum ein Westfalenkind, das nicht irgendwann einmal die 79 Stufen abgezählt hätte, die man über die enge Wendeltreppe hinauf braucht, um Detmold von oben zu sehen, jenes viel besungene „Lippe-Detmold, eine wunderschöne Stadt“.

Der Weg vom Hermann ins Innere Detmolds ist wie ein Spaziergang durch wilhelministische Bürgerarchitektur. Gut möglich, dass auch Johannes Brahms hier im Nobelkiez wohnte, als er in den 1850er Jahren in Detmold unterrichtete, dirigierte, komponierte. Er soll von hier aus lange Märsche in den Teutoburger Wald unternommen haben, heißt es. Der kleine Detmolder Schlosspark zwischen Schloss und Theater wäre wohl zu übersichtlich gewesen, um sich das Klavierkonzert op.15 in d-Moll auszudenken.

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