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Eine Biege um Bad Ems. Die Lahn ist fast am Ziel. Rund 13 Kilomter hinter dem Kurort, bei Lahnstein, mündet der Fluss in den Rhein. Das Lahntal - ein Genuss für Wanderer.

© Hella Kaiser

Wandern im Lahntal: In den Kellern der Kelten

Der Wanderweg im Lahntal schlängelt sich durch Hessen und Rheinland-Pfalz. Bei jeder Pause plumpst man tief in die Geschichte.

Fernwanderwege haben ja ihre Tücken. Denn kaum jemand schafft es doch, sie vom Beginn bis zum Ende unter die Stiefel zu nehmen. Der Lahntalwanderweg ist da keine Ausnahme. 290 Kilometer sind es vom Rothaargebirge, wo die Lahn entspringt, bis zum Lahnstein, wo der Fluss in den Rhein mündet. Natürlich wollen wir den schönsten Abschnitt entdecken. Aber wo ist der? „Das werden wir in unserer Geschäftsstelle oft gefragt von Urlaubern“, sagt Susanne Groos vom Tourismusverband Lahntal lächelnd. Aber sie könnten sich da nie einigen. „Fragen Sie drei Mitarbeiter, und Sie werden drei verschiedene Antworten bekommen.“

Offenbar hat der Lahntalwanderweg überall seine Reize. Beginnen wir also einfach in der Mitte. In Gießen, wo man bequem mit der Bahn hinkommt. Von dort mit dem Bus nach Rodheim-Bieber, und schon ist das schwungvolle rote Logo auf weißem Grund dann gar nicht zu übersehen. Stets ist der Lahntalwanderweg, das merken wir in den kommenden Tagen, gut ausgeschildert. Mal führt er entlang der Fluss- aue, durch Felder oder Wälder, sanft hügelauf und hügelab. Schöne Aussichten sind garantiert. Man schaut über hessische Dörfer, deren Kirchturm noch ordentlich in der Mitte steht. Überhaupt ist dies eine akkurate Region. Fensterscheiben sind blitzblank geputzt, Wäsche hängt nach Größen und Farben sortiert an der Leine.

Rechts und links des Lahnwanderwegs ist Erstaunliches zu entdecken. Der Dünsberg etwa, mit 499 Metern die höchste Erhebung in Mittelhessen. Ein Ort der Kelten. Drei Ringwälle von insgesamt neun Kilometern Länge umschließen den Berg. Der untere soll die keltische Stadt Mitte des ersten und zweiten Jahrhunderts vor Christus gesichert haben. Warum die Kelten ihre Siedlung aufgaben, ist nicht bekannt. Dabei wird hier so lange schon eifrig gebuddelt.

Eine Lanze gibt viele Rätsel auf

Etliches, was gefunden wurde, ist im sogenannten Keltenkeller, dem kleinen Museum in Rodheim-Biebertal zu betrachten. In den Vitrinen liegen Zaumzeug, Riemenzerteiler, Truhenbeschläge, Lanzenspitzen, Äxte. Stolz zeigt Arnold Czarski, Museumsleiter und Geschäftsführer des Vereins, die Schätze. Seit einigen Jahren – „seit meiner Frühverrentung“ – beschäftigt sich der 62-Jährige mit dem Dünsberg – und ist peu à peu zum Experten geworden. Sein Lieblingsstück in der Ausstellung? Czarski überlegt kurz – und zeigt dann auf eine Lanzenspitze. „Sehen Sie die tiefe Kerbe darin?“ Gut zu erkennen. „Wahrscheinlich wurde sie mit aller Wucht mit dem Schwert ausgeführt“, glaubt er. Aber daneben, man muss die Waffe ganz genau anschauen, finden sich noch drei Einkerbungen, nicht so tief und offensichtlich gefeilt. Was wollte der Lanzenträger damit ausdrücken? Wollte er vielleicht zeigen, wie viele Menschen er schon getötet hat? „So etwas gibt uns viele Rätsel auf“, sagt Czarski und lächelt glücklich.

Rund 10 000 Menschen könnten auf dem Dünsberg gesiedelt haben, glauben Wissenschaftler. Czarski weiß, dass vor allem in den 1970er, 1980er Jahren zahlreiche Raubgräber dort ihr Unwesen trieben. Trotzdem sei am Ort wohl noch sehr, sehr viel verborgen. „Bislang sind dem Dünsberg nur Nadelstiche versetzt wurden“, sagt Czarski. In einer Freilichtanlage sind ein nachgebautes Keltengehöft und ein 2001 rekonstruiertes „Tangentialtor“ zu besichtigen. Man braucht gehörig Fantasie, um sich vorzustellen, wie Kelten dort gewohnt haben sollen.

Keltischer Friedhof im Lahntal

Viel interessanter sind die Gräberfelder im nahen Wald. Ohne Czarskis kundige Führung hätten wir sie natürlich nie gefunden. Der Experte erklärt „verschiedene Strukturen“, deutet auf Dellen und Kreise. Ein keltischer Friedhof. Die Gräber, nur zehn Zentimeter unter dem Waldboden, sind für Archäologen auch ein Problem. Denn sie befinden sich im „Hessenforst“, ein Wirtschaftswald. „Alle fünf Jahre wird hier durchgeforstet“, erzählt Czarksi, und die schweren Maschinen machten viel kaputt. Knochen habe man bisher finden und danach Alter und Geschlecht der Verstorbenen bestimmen können.

Pferdekopf „von Weltrang“

Lotte wirbt für Wetzlar
Lotte wirbt für Wetzlar

© Hella Kaiser

Die Kelten noch im Sinn, landen wir wenig später bei den Römern in Waldgirmes. „Wir legen Wert darauf, dass hier kein Militärlager war, sondern eine römische Stadt“, sagt Wilfried Paeschke, Vorsitzender des Fördervereins Römisches Forum e. V. Erst seit den 1980er Jahren weiß man davon. Damals wurden, eher zufällig, Keramiken aus der Zeit um Christi Geburt gefunden. Die ersten Grabungen begannen. Und 2009 dann die Sensation: In einem zwölf Meter tiefen Brunnen entdeckten Archäologen einen bronzenen Pferdekopf. Ein Fund „von Weltrang“, wie es hieß. Das Zaumzeug des Rosses ist mit sechs Zierscheiben geschmückt, auf denen die römische Siegesgöttin Victoria zu sehen ist. Auf dem Nasenrücken fanden Forscher ein Abbild des römischen Siegesgottes Mars. Stolz präsentiert Paeschke Bilder des Objekts.

Leider kann das Original nicht präsentiert werden. Der Pferdekopf, inzwischen akribisch im Landesamt für Denkmalpflege in Wiesbaden restauriert, lagert im dortigen Archiv. Er darf nicht ausgestellt werden. Der Grund: ein Rechtsstreit zwischen dem Brunnenbesitzer und dem Land Hessen. Nach dem früher geltenden Regalrecht hätte dem Besitzer und dem Land Hessen jeweils die Hälfte des Wertes zugestanden. Doch das Gesetz wurde geändert, und das Land Hessen reklamiert den kompletten Wert des Objekts für sich. Ein Haufen Geld. Auf rund 750 000 bis eine Million Euro schätzt Hartmut Krämer, Mitglied des Fördervereins, den ideellen Wert. Bis die Sache nicht vor Gericht geklärt ist, muss der Pferdekopf unter Verschluss bleiben.

So trösten sie sich auf dem abgesteckten Areal des Römerforums in Waldgirmes mit einem Standbild, das Marc Aurel hoch zu Ross zeigt. Geschaffen wurde das Denkmal vom Künstler Heinrich Janke. Es orientiert sich eher vage am in Rom stehenden Original. Der Künstler, so heißt es auf der Erklärungstafel, habe den Kaiser „bewusst zivil und schlicht“ gehalten. Das soll die „überwiegend friedliche Nutzung der Stadt“ unterstreichen. Die Forscher bleiben neugierig. „Wir sind auf der Suche nach dem römischen Hafen an der Lahn“ erzählt Krämer und berichtet von Tauchgängen.

Hier schrieb Goethe seien ersten Bestseller

Auf dem Lahntalwanderweg durchquert man die Zeiten. In Wetzlar stoppen wir im 18. Jahrhundert. Hier schrieb Goethe seien ersten Bestseller: „Die Leiden des jungen Werther“. Einen Sommer nur, im Jahr 1772, weilte er hier, als Praktikant im Reichskammergericht. Und litt unter seiner glücklosen Romanze zu Charlotte („Lotte“) Buff. Das hübsche Mädchen wohnte im Deutschordenshof, heute das sogenannte Lottehaus. Man kann sich gut vorstellen, wie der junge Goethe an die schwere, blaue Tür klopfte und um Einlass bat. Wetzlar ist ohnehin eine Entdeckung. Die Altstadt schmücken schöne Fachwerkhäuser, es gibt viele kleine Geschäfte, Restaurants, Cafés. In dem 52 000-Einwohner-Städtchen wird gut verdient. Nicht nur Leica produziert hier, sondern etliche andere, international tätige Unternehmen.

Das Mittelalter kann man in der Burg Runkel inspizieren, die so groß und verwinkelt ist, dass viele Gespenster darin Platz haben dürften. Am Fuß des trutzigen Baus fließt die Lahn munter vorüber und macht sich einige Kilometer weiter ganz breit. Fast majestätisch strömt sie später an Bad Ems vorüber, jener Kurort, in dem auch König Wilhelm I. früher oft weilte. Die berühmte „Römerquelle“ sprudelt noch. Sie ist öffentlich zugänglich – und jeder darf das Wasser probieren. „Eine Abfüllung und Mitnahme ist nicht erwünscht“, steht allerdings streng auf einem Schild. Schade. Auch wenn der Lahntalwanderweg keine großen konditionellen Anforderungen stellt: Ein gesunder Schluck aus der Pulle ist doch immer willkommen.

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