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Angela Schanelec.

© Louis Schanelec

Angela Schanelec: "VIP-Lounges sind eine fatale Tendenz"

Zwei Stunden am Flughafen: Begegnungen, Trennungen, Gespräche. Angela Schanelec über ihren Film "Orly", Flughäfen und über die Tendenz zu mehr VIP-Lounges an Flughäfen.

Der Architekt Norman Foster glaubt, dass Flughäfen heute zu den meist gehassten Orten der Welt gehören und eigentlich neu erfunden werden müssen. In Ihrem Film wirkt Orly geradezu romantisch, richtig schön.

Es ist sicher kein Zufall, dass mir die Idee zu meinem Film nicht etwa in München oder auf einem der anderen neuen Flughäfen kam, die ja vordergründig für die Passagiere gebaut werden, so dass sie sich wohler fühlen und ja nicht langweilen - sondern an einem Flughafen, der seit Jahrzehnten existiert (Orly Süd wurde 1961 eröffnet) - und offensichtlich aus einem ganz anderen Gedanken heraus gebaut worden ist: Da herrschen Großzügigkeit, Transparenz und Einfachheit. Dadurch wird die Aufmerksamkeit auf die Leute gezogen. Als ich dort wartete, habe ich Lust gekriegt, ihnen zuzuschauen, das ist sehr schön, wie sie sich durch den Raum bewegen. Ich habe damals in dem Café gesessen, das jetzt auch im Film vorkommt. Das ist ganz ungewöhnlich: dass in dieser riesigen Halle die Tische einfach entlang der Fensterfront stehen und die Leute in diesem Durchgangsraum an einem vorüberziehen.

Fast wie auf dem Laufsteg.

Ja, das kommt durch die Ausmaße dieser offenen, unverbauten Halle. Durch die Größe entsteht gar nicht so eine Unbehaustheit, die diese ganzen Nischenrestaurants in heutigen Flughäfen vermeiden sollen, sondern eher das Gegenteil: Entspannung. Man hält sich gern dort auf. Dieses Bühnenhafte, das sich einem in Orly fast aufdrängt – auch in Amsterdam und Zürich am Flughafen habe ich das gefunden, diese Blicke und Bewegungen. Das hat etwas mit dem Licht zu tun, damit, wie der Raum aufgebaut ist.

Keine der Figuren im Film scheint in Eile zu sein, sie lassen sich alle nieder.

Eile am Flughafen ist ja eher ein Versehen. Die entsteht, wenn man zu spät gekommen ist.

Das Fliegen selbst geht schnell – aber am Flughafen verplempert man seine Zeit mit Schlangestehen und Rumhängen und Warten.

Nur wenn man es als Unglück empfindet, sich dort aufhalten zu müssen, nimmt man das als geraubte Zeit wahr. Das hat natürlich auch mit dem Raum zu tun. Wenn ich in Tegel vom neuen Air Berlin-Terminal abfliege, bin ich total fertig, weil ich das Gefühl habe, ich sitze in einer Baracke fest. Aber meistens empfinde ich das Warten als geschenkte Zeit: Ich habe am Flughafen keine Verpflichtungen, keiner kann mir einen Vorwurf machen, wenn ich dort einfach nur sitze und nichts tue. Und in Orly habe ich das tatsächlich häufig beobachtet, dass Leute ziemlich friedlich dasitzen. Alle Vorbereitungen sind ja getroffen, man hat das Ticket, hat gepackt und die Anfahrt hinter sich – es ist schon alles passiert. Jetzt muss man halt ein bisschen warten.

Und da kommt einem die Idee zu einem Film…

Ich mag öffentliche Orte, ich stehe auch gern an Straßenkreuzungen, es ist schön, Leuten zuzuschauen, die sich bewegen, einen Moment warten oder rumstehen. Das ist viel spannender als im Restaurant zum Beispiel, wo die Leute meist paarweise sitzen oder, noch schlimmer, in großen Gruppen. Vielleicht kann man da mehr in die Person reinfantasieren, mehr von sich selber in ihr lesen. Das sind ja immer die eigenen Fantasien _ man weiß nichts über die Leute, die sie auslösen.

In Ihrem Film begegnen sich zwei Fremde, ein Mann und eine Frau. Erleben Sie das tatsächlich so, dass man am Flughafen ins Gespräch kommt?

Nein. Ich konnte mir das anfangs gar nicht vorstellen, ich kenne auch niemanden, der mal jemanden kennen gelernt hat am Flughafen. Ich habe dann aber gemerkt, dass ich mir die Illusion leisten wollte, dass ich Lust hatte, darüber nachzudenken, wie die Begegnung funktionieren, wie das sein könnte, wenn sie sich begegnen. Auch wenn es nicht sehr wahrscheinlich ist.

Eigentlich komisch: Wo sonst begegnet man so vielen Menschen? Und auf Reisen ist man doch potenziell offener als wenn man zu Hause bleibt, dass man nicht ins Gespräch kommt.

Ich glaube nicht, dass man dort offener ist. Mir hat eher dieses Für-Sich-Sein gefallen an den Figuren.

Aber aus dem Zug gibt es so viele Geschichten von Begegnungen, im Abteil, im Speisewagen...

Gut, aber das ist eine andere Situation, da ist es leichter ins Gespräch zu kommen. Und das ist eine interessante Situation, die in endlos vielen Filmen gezeigt und inszeniert wird, die aber immer was höchst Kompliziertes enthält: Wie lasse ich zwei Menschen einander begegnen, dass man nicht nur das Märchen darin sieht, sondern ein vorstellbares Geschehen. Das finde ich nicht einfach. Wie begegnen sich überhaupt Menschen, außerhalb von Arbeitsgemeinschaften zum Beispiel? Einfach so, ohne einen gemeinsamen Zusammenhang - das ist bemerkenswert.

Wenn Sie von Märchen reden: Ist das denn eine Wunschvorstellung, diese Begegnung?

Aber ja, absolut! Das ist doch ein ständiger Wunsch: Jemanden – den Menschen zu treffen. Denjenigen, in dem man etwas findet von sich, für den man sich interessiert, mit dem man reden will. Nur artikuliert man es nicht so. Ich weiß nicht, wie viel Millionen damit gemacht werden: den Leuten Hoffnung zu geben, sich zu begegnen.

Am Flughafen, überhaupt beim Unterwegssein strahlen die meisten Leute eher was aus von: Rührmichnichtan, Lassmichinruhe. Man setzt sich auch möglichst nicht nebeneinander, sondern lässt eine Lücke.

Klar, es geht ja auch nicht um die Begegnung an sich, mit irgendwem, sondern darum, im tieferen Sinne nicht alleine zu sein. Und da die Gefahr, dass das nicht funktioniert, dass die Begegnung blöde wird, viel zu groß ist, nimmt man eher Abstand. Leute, die ausstrahlen, dass sie diesen Abstand nicht halten, sind ja eher unangenehm.

Sie haben in Orly bei laufendem Betrieb gedreht – haben die Reisenden Sie denn gar nicht registriert?!

Doch schon, aber die hatten einen großen Gleichmut uns gegenüber. Das hatte sicher auch damit zu tun, dass es keine Ansagen gab, keine Absperrungen, und durch die langen Brennweiten der Kameras einen großen Abstand zu den Schauspielern. Da musste man schon sehr genau gucken, um zu sehen, wer da eigentlich gefilmt wird. Und die Tatsache, dass wir zwei Kameras hatten, hat die Sache eher noch diffuser gemacht. Keiner wusste, was wir da machen. Wir haben ja den normalen Reisenden keine Anweisungen gegeben, wir haben immer nur gewartet, bis die Situation so war, dass wir drehen konnten – wir haben die Leute nicht gebeten, schneller vorbeizugehen oder langsamer, wir haben überhaupt nicht eingegriffen. Dadurch lief einfach alles automatisch weiter. Das hängt wieder damit zusammen, dass die Leute am Flughafen sehr für sich sind. Auf der Straße ist das ganz anders, da bleiben immer viele stehen. In Orly hat sich kaum jemand um uns gekümmert. Das war etwas, was wir schwer vorhersehen konnten. Wir haben uns vorher viele Gedanken gemacht, einen Tag probegedreht - und gemerkt, dass das überhaupt kein Problem ist. Das hängt vielleicht zusammen mit dem, was ich mit der geschenkten Zeit meinte: Man kann eine gewisse Anspruchslosigkeit erkennen, einen Gleichmut, auch sich selbst gegenüber.

Gleichmütig scheinen die Leute tatsächlich zu werden - bei Flugverspätungen wird viel weniger gemeutert als bei der Bahn.

Das hat auch etwas damit zu tun, dass man die Verantwortung abgibt, in dem Moment, wo man den Flughafen betritt. Man kann nichts dafür, wenn das Flugzeug Verspätung hat, man überlässt sich den Sicherheitsvorkehrungen. Dieses Sich-Überlassen in der halben Stunde oder Stunde – das hat doch auch was Angenehmes.

Die alten Flughäfen sind ein demokratischer Ort, an dem alle zusammenkommen. In den neuen wimmelt es nur so vor VIP-Lounges.

Das ist eine fatale Tendenz, die die gesamte gesellschaftliche Entwicklung widerspiegelt. Ich habe gerade von diesen neuen Flugzeugsitzen gelesen, in denen man so halb steht. Das Ziel ist aber nicht, auf einem Flug mehr Leute zu transportieren, was ja unter Umständen Sinn machen könnte, denn das geht nicht wegen des Gewichts. Ziel ist nur, dass die, die wenig zahlen, weniger Platz brauchen um mehr Platz zu schaffen für die, die mehr zahlen.

Der französische Ethnologe Marc Augé spricht vom Flughafen als einem „Nicht-Ort“ – für ihn ein Nährboden von Einsamkeit.

Einsamkeit, das ist so negativ besetzt, vielleicht kann man es auch Alleinsein, Fürsichsein nennen - das finde ich auch notwendig in bestimmtem Ausmaß.

Orly, haben Sie gesagt, umgibt die Menschen wie eine Hülle.

Das habe ich bezogen auf das Gemeinschaftsgefühl, was wiederum mit dem Raum zu tun hat. Der gibt einem die Empfindung, dass man etwas miteinander zu tun hat, auch wenn die Leute gar nicht darüber nachdenken. Das sieht man am Ende des Films bei der Evakuierung: In dem Moment, wo etwas passiert, fühlt man sich automatisch mit dem anderen verbunden. Das konnte man richtig beobachten an den Leuten, plötzlich waren die eins. Das war übrigens die einzige Szene, in der wir Statisten hatten, aber nur eine kleine Gruppe, die sich unter die Menge mischte.

Wie war das, als Sie die Halle plötzlich ganz leer gesehen haben?

Enttäuschend. Das war nur noch ein normaler Raum. Aber daran merkt man eben, dass er FÜR die Menschen gebaut ist. Architektur gibt es natürlich weitaus interessantere als den Terminal in Orly. Doch das sind unter Umständen Gebäude, die mit den Menschen nicht mehr funktionieren. Hier ist es andersrum: Der Raum wird durch die Leute schön. Und da ist wirklich alles schön, das Licht, die Flächen, die Struktur. Als der Raum leer war, dachte ich: Ja – das ist einfach nur ein Raum. Da ist nichts weiter.

Die Fragen stellte Susanne Kippenberger

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