zum Hauptinhalt
Mobil über Trouville.

© Andreas Austilat

Frankreich: Wir sind so frei

Die Normandie ist ein schönes Urlaubsziel. Vor allem, wenn man im Wohnmobil unterwegs ist. Ein Reisetagebuch.

Von Andreas Austilat

„Kanntest du den?“ Meine Frau schaut mich fragend von der Seite an. Im Rückspiegel verschwindet das kastenförmige Heck eines Wohnmobils. „Nö“, sage ich, und schon winkt der nächste Fahrer. Er sitzt in einem Alkovenmodell, so nennt man die Fahrzeuge mit der Wulst über der Fahrerkabine, in der sich, das weiß ich inzwischen, ein Bett verbirgt. Ein wenig lahm hebe ich beim nächsten Entgegenkommenden auch die Hand, freundlich grüßen Fahrer und Beifahrer zurück.

Ganz offensichtlich sind wir Mitglieder in einem für uns neuen Klub geworden, im Klub der Wohnmobilisten. Mit seinen eigenen Ritualen, die sich uns noch nicht alle erschlossen haben. Dabei sind wir keine Anfänger. Haben jahrelang einen Wohnwagenanhänger über Europas Autobahnen gezogen. Wohnmobil, das lernen wir schnell, ist noch einmal was anderes. Warum wir jetzt eins haben? Werde ich gefragt, murmle ich etwa von „Freiheit“, und sage, meine Frau sei schuld. Die kommt aus einer Camperfamilie und kennt nichts anderes.

Frankreich ist ein gutes Land für Wohnmobilanfänger

Natürlich haben wir uns ganz genau überlegt, wo unsere erste richtige Reise hingehen soll. In der Hochsaison wollten wir die deutsche Küste tunlichst meiden. Wohin dann?

Es gibt zwei Regionen in Europa, die es einem Wohnmobilanfänger leicht machen: Skandinavien und Frankreich. Wir entschieden uns für Frankreich, dem Land der 14.000 Campingplätze und der großen Toleranz, wenn man selbst auf denen keinen Platz findet. Also auf in die Normandie. Ein Arkadien für „Womo“-Fahrer, wie sich die Spezies in den eigenen Foren selber nennt.

Und wie war’s? Wir haben ein Reisetagebuch geschrieben:

1. Helmstedt

Guter Tipp: Abends losfahren, um erst einmal den Berliner Ring hinter sich zu lassen. Mit dem Wohnmobil erreichen wir leicht eine Reisegeschwindigkeit von 120 Stundenkilometer. Nach zwei Stunden ist Helmstedt erreicht, und es hat ein Herz für Camper: Gleich neben dem Stadion liegt ein Parkplatz exklusiv für Wohnmobile. Ein Automat verspricht sogar Gratis-Wasser zum Selberzapfen. Funktioniert nur leider nicht. Außer uns sind noch drei andere Womos da.

Strom, Wasser, Klo, brauchen wir nicht, haben wir selbst. Gutes Gefühl. Obwohl ich statt 120 nur 50 Liter im Tank habe. Wegen des Gewichts. Kaum zu glauben, wie schnell gerade große Wohnmobile überladen sind. Wir fühlen uns frei.

2. Domaine de Wegimont

Vor dem belgischen Lüttich. Wir haben vorgebucht, weil im Internet kein geeigneter Stellplatz zu finden war. Auf den zugewiesenen Platz kommen wir jedoch nicht rauf. Wir sind hinten zu lang, messen insgesamt immerhin 7,43 Meter zuzüglich Fahrradhalter. Außerdem steht ein Baum im Weg. Auf eine andere Parzelle will uns die Platzwartin nicht lassen. Sie fürchtet, unsere dreieinhalb Tonnen würden bei diesem Regen in ihrem Rasen versinken. Schließlich dürfen wir auf zwei asphaltierten Fahrspuren parken. In Hörweite vom kleinen Festsaal, in dem der Klub der belgischen 2-CV-Besitzer einen Karaokeabend bestreitet. Ungefähr bis drei.

3. Rouen

Es regnet nur noch ab und zu. Großzügiger Camping Municipal ungefähr vier Kilometer von der schönen Altstadt entfernt. Obwohl Hauptsaison ist, gibt es Lücken auf dem Platz. Radwege führen bis an die gewaltige Kathedrale im Zentrum. Die Streckenführung erschließt sich einem nicht auf Anhieb, weshalb wir auf dem Hinweg sechs Prozent Steigung bewältigen müssen. Meine Frau ist sauer, denn es hätte eine andere Route gegeben.

Zum Glück ist Rouen wirklich bestechend schön, außerdem gibt es eine Menge Schuhgeschäfte. Sie ist wieder versöhnt. Eine spektakuläre Multimediashow zeigt die Verbrennung von Jeanne d’Arc. Jedenfalls habe ich die Ankündigung so verstanden. Doch heute ist Montag, montags wird Jeanne d’Arc nie verbrannt. So ist das, wenn man jeden Tag weiter will. Die Fahrräder haben sich zum ersten Mal bewährt, trotz Steigung.

4. Le Pin au Haras

Das Gestüt trägt den schönen Ehrentitel „Versailles der Pferde“. Wir lassen es rechts liegen, denn die Hengstparade ist donnerstags, heute ist Dienstag. Unsere Route wird stark von den Öffnungszeiten potenzieller kultureller Glanzlichter geprägt. Muss unbedingt den Reiseführer aufmerksamer studieren. In einem Souvenirladen fallen mir die vielen Regenschirme auf den Ansichtskarten auf. Frage an den Verkäufer: Ist das Wetter hier immer so? Er sagt etwas wie: „Oahh, mhh, non, mhh“, und zuckt mit den Schultern. Zu Hause sind 34 Grad, wie ich einer zwei Tage alten „Bild“ entnehme. Wenigstens regnet es in Skandinavien auch.

Immer noch grüßt uns nahezu jeder entgegenkommende Wohnmobilist

Die Falaise d’Amont gehört zu den Kreideklippen, die den Ort Étretat an der französischen Ärmelkanalküste einrahmen.
Die Falaise d’Amont gehört zu den Kreideklippen, die den Ort Étretat an der französischen Ärmelkanalküste einrahmen.

© Andreas Austilat

5. Alençon

Auf dem Camping Municipal finden wir für kleines Geld leicht einen Platz. Die Parzellen sind riesig. Trotzdem fahre ich mir die erste Delle in die Stoßstange, weil die Rückfahrkamera nur die blaue Regenplane zeigt, die sich über den Fahrrädern wölbt. Alençon ist auch hübsch. Wegen der Delle habe ich aber schlechte Laune. Eine heiße Dusche in unserem wohnmobileigenen Bad heitert mich auf. Ich war bis jetzt noch kein einziges Mal in irgendeinem Sanitärgebäude und preise den neuen Wagen.

6. Unterwegs

Immer noch grüßt uns nahezu jeder entgegenkommende Wohnmobilist, jedenfalls auf den Landstraßen. Die Autobahnen meide ich, weil es an nahezu jeder Mautstation Diskussionen gibt. Die Frau aus dem Off, die aus dem Lautsprecher tönt, nachdem ich die Hilfe-Taste gedrückt habe („Aide“), will mir weismachen, ich sei mehr als drei Meter hoch. Höchstens, wenn man das bisschen Antennenkuppel dazuzählt. Dann wird nämlich die Maut-Klasse drei fällig. Die ist für Lastwagen und richtig teuer. Es gelingt mir zwar in lückenhaften Schulfranzösisch immer auf Klasse zwei runterzuhandeln. Aber die Diskussionen mit einer Autoschlange im Rücken können belastend sein.

7. Mont Saint Michel

Der berühmte Klosterberg auf einer Insel nahe der normannischen Küste ist imposant. Wir sind während der Ebbe hier, das Meer hat sich kilometerweit zurückgezogen. Alles könnte so schön sein, wenn der Klosterberg nicht so überlaufen wäre wie Venedigs San Marco, nachdem gerade drei 14-stöckige Kreuzfahrtschiffe festgemacht haben.

Leider sind die Gassen von Mont Saint Michel noch erheblich enger als die in Venedig. Die Schlange am Eingang zum eigentlichen Kloster an der Spitze des Berges ist furchteinflößend. Wir verschwinden nach einer enervierenden Stunde, ohne im Innersten gewesen zu sein. Weil ich so etwas befürchtete, haben wir neun Kilometer entfernt in Pontorson auf einem Campingplatz vorgebucht. Wäre nicht nötig gewesen, denn der viel nähere und preiswertere Stellplatz ist nicht einmal zur Hälfte gefüllt. Wir genießen trotzdem die Radtour entlang eines Flusses ins ruhigere Inland.

8. Omonville de la Hague

Der kleine Ort liegt unweit der westlichen Spitze des Cotentin, einer normannischen Halbinsel, die hier in den Ärmelkanal ragt. Wir erreichen den Camping Municipal gegen halb eins, diesmal sind alle Parzellen weg. Das heißt, es gibt schon noch ein paar Plätze, doch die sind ausdrücklich für Zeltcamper reserviert. Mit dem Mitleid des Besitzenden schlägt mir der Monsieur, der unmittelbar vor uns die letzte Parzelle belegt hat, vor, doch einfach die nicht nummerierte Lücke neben seiner zu besetzen.

Wir sind verunsichert, denn auf der Tafel steht, um 17 Uhr 30 komme der Platzwart und entscheide, ob man dort bleiben darf. Halb sechs ist recht spät, um sich dann noch einen neuen Platz zu suchen. Schließlich wagen wir es. Am späteren Nachmittag kommen weitere Mobile, stellen sich irgendwo hin. Der Platzwartin ist um 17 Uhr 30 alles egal. Wir lernen: Wer bis fünf vor halb eins am Ziel ist, findet selbst in der Hauptsaison immer einen guten Platz. Im September kann man sich wahrscheinlich mehr Zeit lassen.

Trouville und Deauville sehen aus wie Heringsdorf, Bansin und Ahlbeck

Im wahrsten Sinne des Wortes malerisch ist Claude Monets Garten in Giverny.
Im wahrsten Sinne des Wortes malerisch ist Claude Monets Garten in Giverny.

© Miguel Medina / AFP

9. Die schönste Radtour

Bis zur Spitze des Cotentin. Allerdings zwischendurch eine Steigung von zehn Prozent. Haben uns die Normandie flacher vorgestellt. Grandioser Blick rüber nach Alderney, eine der britischen Kanalinseln. Die Szenerie erinnert an Schottland oder Irland mit den kleinen Mäuerchen entlang der Straßen und den Kühen auf sattgrünen Wiesen. Abends Moules Frites im winzigen Hafen von Omonville. In der Ferne parkt ein einsames Wohnmobil direkt am Strand. Wild und frei, so wollen wir auch mal übernachten, trauen uns aber bisher noch nicht.

10. Von Utah Beach bis Sword Beach

Codenamen für die Strände der Alliierten-Landung. Alle Orte haben die Fahnen der US-Amerikaner, Briten und Kanadier aufgezogen, aus deren Ländern die Befreier damals kamen. Die Zahl der Museen und Gedenkstätten nimmt zu, kurios in Ste.-Mère-Église, wo die Puppe eines amerikanischen Fallschirmjägers am Kirchturm hängt. Tatsächlich verfing er sich damals in zehn Meter Höhe an der Dachkante.

Im Touristenbüro schenkt mir eine junge Frau einen Sticker „I like D-Day“, fragt mich dann, wo ich herkomme. Ich sage „Allemagne“, und sie wird ein wenig verlegen. Ich auch, weil sie offenbar tatsächlich denkt, der Sticker könnte irgendwie verletzend für mich sein.

11. Trouville und Deauville...

...sehen aus wie Heringsdorf, Bansin und Ahlbeck, nur größer. Und der Strand ist breiter. Jedenfalls bei Ebbe. Bei Flut wird er so schmal, dass wir es nicht mehr zu unserem Campingplatz schaffen. Wir müssen oben herum, die Steigung beträgt wieder mal zehn Prozent.

Der Campingplatz heißt „Le Chant des oiseaux“, Gesang der Vögel, thront in Terrassen auf einer Klippe. Der Blick aufs Meer ist sein Geld wert, Chant des oiseaux ist mit 34 Euro pro Nacht der teuerste Platz auf der ganzen Reise. Davon sind allein sieben Euro für den Strom, den ich nicht bekomme. Jedenfalls protestiert der Kühlschrank und schaltet automatisch auf Gasversorgung. Offenbar kommt nicht mehr genug an, nachdem sich der achte Wagen an denselben Verteiler angeschlossen hat.

Schade, ich wollte eigentlich Gas sparen. Nachschub gibt es keinen, die Ventile deutscher Flaschen passen nicht zu den französischen Füllstationen.

12. Über Honfleur

Der Ort vor Le Havre liegt wahrscheinlich um das Titelrennen „malerischster kleiner Hafen Frankreichs“ ganz vorne, nach Étretat, eingefasst von gigantischen Kalkfelsen, und Dieppe gelangen wir nach Giverny. Manche Ortsdurchfahrten sind verflixt eng, einmal habe ich mir sogar vorher über Google Streetview angeschaut, ob wir da wohl durchkommen werden. Es ging immer, französische Autofahrer sind extrem geduldig und nie aggressiv.

13. In Giverny...

...hat sich einst Claude Monet hinter seinem Haus einen Seerosenteich anlegen lassen und ihn immerzu gemalt. Ebenso das Feld hinter seinem Haus. Um 18 Uhr sind alle Reisebusse weg. Wir parken am Rand besagten Feldes und sind allein. Beinahe wenigstens. Außer uns haben sich ein Dutzend Reisemobile locker im Gelände verteilt.

Die Wiese ist extra als Stellplatz ausgewiesen. Es gibt keinen Strom, kein Wasser, keine Toiletten. Abends nehme ich eine heiße Dusche – diesmal sind die Tanks voll, Gas ist noch genug da. Ich hol’ mir ein paar Eiswürfel aus dem Tiefkühler; wenn ich wollte, könnte ich den Fernseher einschalten. Mach’ ich aber nicht, ist schließlich Camping. Endlich stehen auch wir wild und frei, wie wir es die ganze Zeit wollten. Ein gutes Gefühl. Solange die Batterie hält.

Zur Startseite