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„Einer für alle, alle für einen.“ Den vier legendären Musketieren aus dem 17. Jahrhundert begegnet man in Überlebensgröße vor der Kathedrale von Condom.

© Ulrich Traub

Südwestfrankreich: Fechten für den Armagnac

Die Gascogne ist die Heimat der Musketiere. Und: Hier wird die älteste Spirituose Frankreichs gebrannt, der Weinbrand Armagnac. Eine perfekte Liaison.

Vor der Kirche des kleinen Ortes haben sich mehrere Jungen auf Pferden versammelt. Sie tragen Federbaretts, farbenfrohe Umhänge und natürlich Stiefel. Schließlich sind es Musketiere. Einer von ihnen hält eine Fackel in der Hand, die nun unter dem Applaus der Besucher angezündet wird: die Flamme des Armagnacs. Sie wird in den kommenden Wochen von Dorf zu Dorf getragen.

Armagnac ist nicht nur die historische Bezeichnung eines Landstrichs in der Gascogne, der Heimat der Musketiere, tief im Südwesten Frankreichs, sondern vor allem der Name eines edlen Weinbrands, der nur in dieser Region produziert wird. Er ist die älteste Spirituose Frankreichs mit einer Geschichte, die bis ins Jahr 1461 zurückreicht. Orte wie Labastide-d’Armagnac tragen den Schnaps sogar im Namen. Mit einem stimmungsvollen Fest wird in dem historischen Ort Ende Oktober traditionell die Saison für den neuen Jahrgang eröffnet.

Auf dem holprigen Platz von Labastide, dessen Stein- und Fachwerkhäuschen mit ihren Arkaden und der wehrhaft klotzigen Kirche wie die Kulisse für einen Musketier-Streifen wirken, tatsächlich aber Vorbild für die Pariser Place des Vosges waren, steht eine nicht recht in die Hightech-Zeit passende Gerätschaft im Brennpunkt des Interesses. „Das ist ein Alambic“, klärt Albert Darzacq auf, „unser traditionelles Destilliergerät.“ Am frühen Morgen sei es entzündet worden und produziere seitdem den frischen Armagnac, der tröpfchenweise die Apparatur verlässt. „Im Gegensatz zum Cognac und anderen Bränden, die immer zweimal destilliert werden, ist es beim Armagnac ein mehrere Tage dauernder, ununterbrochener Prozess.“ Das garantiere den besonderen Geschmack, weiß Albert Darzacq, der auf der Domaine de Paguy im Nachbarort Armagnac brennt.

„Au Bastignac“ zieht immer mehr Besucher an

„Probieren Sie nur“, rät eine ältere Frau und wünscht „Bon courage“, nur Mut. Der sei gut gegen sich ankündigenden Schnupfen und obendrein sehr bekömmlich. Über den Platz, auf den die Sonne von einem strahlend blauen Himmel scheint, pfeift ein frischer Wind. Wie die Frau, die uns zu einem Schlückchen ermuntert hat, tragen die meisten Besucher ein Probiergläschen um den Hals. Man erhält es für fünf Euro am Stand der Touristeninformation und erwirbt damit die Lizenz zum Alkoholgenuss: An jedem der rund 20 Stände der Armagnac-Brenner darf probiert werden. Gut, dass man sich auf dem stimmungsvollen Fest auch mit festerer Nahrung stärken kann.

Der beliebte Armagnac - A votre santé
Der beliebte Armagnac - A votre santé

© Ulrich Traub

Ein besonderer Anziehungspunkt ist das „Au Bastignac“. Im gemütlichen Lokal von Bertrand Garry geht es zu wie im Taubenschlag. Der Patron ist wie so viele hier ein Zugezogener. Dem früheren Webdesigner, der für Madonna und Ice-T gearbeitet hat, stand vor einigen Jahren der Sinn nach Veränderung. In Labastide, das seinerzeit unter Abwanderung seiner Bewohner zu leiden hatte, fand er eine neue Aufgabe. „Ruhe, Abgeschiedenheit und der historische Charakter des Dorfes haben mich gleich angesprochen“, verrät er.

Mit seinem Partner führt Garry nun nicht nur das Restaurant und ein kleines Hotel, sondern engagiert sich auch erfolgreich dafür, dass wieder Leben in das Dorf, dessen Gassen immer noch ungepflastert sind, kommt. Deshalb wurde ihm der Titel eines Musketiers auf Lebenszeit verliehen. „Es freut mich, dass seit ein paar Jahren Touristen und Aussteiger aus aller Welt Labastide entdecken.“

Armagnac - die Flamme darf nicht erlöschen

Die Landschaft um den Ort ist im Gegensatz zum Edelprodukt Armagnac eher unspektakulär: bäuerlich geprägtes, dünn besiedeltes Hügelland mit Weingärten und Wäldern. Auffallend sind die nicht selten herrschaftlichen Gutshöfe. Das Château Ravignan beispielsweise ist ein stattliches Schloss aus dem 18. Jahrhundert. Der Herr des Hauses führt Besucher gerne durch die historischen Säle. Und natürlich brennt Monsieur Ravignan auch Armagnac. „Wir müssen hier eine lange Geschichte und eine Familientradition fortsetzen – auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten.“ Da ist er sich mit vielen Kollegen einig. Den Trend zum Alkoholverzicht beziehungsweise zu Billiggetränken spüren Hersteller, Handel und Gastronomie auch in der Gascogne. Aber die Flamme des Armagnacs darf nicht erlöschen.

Dafür arbeitet auch Marc Darroze in Roquefort, wo sich die Familie seit Generationen einen guten Namen damit gemacht hat, junge Armagnacs der Region zu kaufen, um sie in einem meist viele Jahre währenden Veredelungsprozess in Eichenfässern reifen zu lassen. „Gegenüber dem Cognac weist der Armagnac die feineren Geschmacksnoten auf“, weiß Darroze. „Die Vielfalt der Aromen bleibt durch den einen Destillationsvorgang erhalten.“ Der junge Brand sei fruchtig, je mehr er altere, desto deutlicher würden Leder-, Tabak- oder Schokoladennuancen in den Vordergrund treten.

In Condom, einer Kleinstadt mit vielen Bürgerhäusern aus dem 18. Jahrhundert, die vom Reichtum erzählen, den der Handel mit Armagnac eingebracht hat, liegt das Traditionshaus Ryst-Dupeyron. Bei Führungen durch die historischen Keller, die der Maître de Chai, der Herr der Fässer, „sein Paradies“ nennt, kann man (fast) alles über die besondere Herstellung dieser anspruchsvollen Spezialität erfahren. „Meine Hauptarbeit sind die Geruchsproben, um zu beurteilen, ob der Armagnac gut ist und das Fass verlassen darf oder ob er in ein anderes umgefüllt werden muss“, erklärt Kellermeister Bernard Domec das aufwendige Prozedere. Trotz sehr erfolgreicher Arbeit ist er allerdings noch nicht zum Musketier geschlagen worden …

Blick bis zu den Pyrenäen

Den vier legendären Rittern aus dem 17. Jahrhundert begegnet man in Überlebensgröße vor der Kathedrale von Condom. In Auch, dem lebhaften Hauptort des Armagnac-Gebietes, muss dagegen d’Artagnan ganz alleine die gewaltige Treppenanlage mit ihren 370 Stufen bewachen, die zur Altstadt mit repräsentativen Bauten, steilen Gassen und der mächtigen Kathedrale, einem der Hauptziele auf dem Jakobsweg, führen.

Wie hatte doch Bertrand vom „Au Bastignac“ geschwärmt: Die Gegend um Condom sei die „Toskana des Südwestens“ in Frankreich. Stille Weiler, viele Schlösser und vor allem sanfte, von Weinlagen umgebene Hügel, auf denen Orte wie Fleurance und Lectoure thronen, sind typisch für diesen Landstrich. Bei gutem Wetter reicht der Blick über die fruchtbare Ebene bis zu den Pyrenäen. Und selbst im winzigen Wehrdorf Larressingle, einem Mini-Carcassonne mit zwölf Einwohnern, kann man Armagnac kaufen. Mit der Treue eines Musketiers bleibt man in der Gascogne dieser Spezialität verbunden und tapfer wird deren Tradition verteidigt. Zumindest auf den zahlreichen Festen mit Mantel und Degen.

Ulrich Traub

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