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Keine Berührungsängste. Zwei von van Goghs „Sonnenblumen“, noch bis zum 27. April in der National Gallery. Eintritt frei.

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London: Frühstück mit Aussicht

London ist ein teures Pflaster. Studentenheime bieten jedoch auch Touristen preiswert Unterkunft.

Kurz nach acht Uhr morgens im Frühstücksraum der Canterbury Halls in Bloomsbury, mitten in London. Ganz schön kühl hier – aber das stört anscheinend kaum jemanden. Ein junger Mann mit kopfkissengeknickten Haaren und dem Gesichtsausdruck eines sehr müden Beagles steht in kurzen Schlabberhosen und barfuß in der Schlange der Essensausgabe, lässt sich Bohnen in Tomatensoße auf einen Teller häufen. Dazu Rührei, Speck, die übliche warme, mit Käse überbackene halbe Tomate und zwei bleiche Toastfladen in Pfannengröße, die er gleich selbst in einen gewaltigen elektrischen Rösttunnel am Ende der Theke einführen wird – sollte er auf dem Weg dorthin nicht wieder einschlafen.

Nach ihm verlangt eine Frau in einer Art Großraumschlafanzug mit Kapuze und Hasenohren nach einer Schale Porridge, etwas Dörrobst und einer Marke für den Kaffeeautomaten. Aus dem sackartigen Bettgewand ragen schwere Militärstiefel. Das Tablett mit ihrem Breakfast balanciert sie anschließend mit einer Hand zum Tisch, mit der anderen tippt sie artistisch und pfeilschnell in ihr Smartphone. So sieht das also aus, wenn sich die studierende Jugend der Welt auf einen Arbeitstag an der University of London vorbereitet.

In normaler Alltagskleidung fühlt man sich hier irgendwie komplett overdressed und vom Alter auf jeden Fall wie der Quoten-Geront im Generationenhaus. Doch schließlich ist Canterbury Halls ja auch ein Studentenwohnheim. Aber eines, in dem man auch als normaler Tourist unterkommen kann – wenn denn etwas frei ist. Mitten im Zentrum zwischen Russel Square und King’s Cross stehen viele dieser meist sechsstöckigen Studentenwohnheime der Londoner Universität für jedermann offen.

Handgeschriebene Songtexte der Beatles – kein Problem, drei Minuten zu Fuß

Und das zu Preisen, in denen man in den umliegenden Hotels wohl nicht mal in die berühmte Londoner Besenkammer einchecken könnte. Für etwa 80 Pfund (rund 90 Euro) am Tag bekommt man ein durchaus geräumiges und gepflegtes Apartment für zwei Personen mit Wohn- und Schlafzimmer, nebst Miniküche, W-Lan und einem wahrhaft opulenten und soziologisch hochspannenden Frühstück in der hauseigenen Mensa – siehe oben. Handtücher gibt es auch, aber nur zweimal in der Woche. Und völlig gratis kommt obendrauf das längst vergessene Erlebnis, mit fremden Menschen in einem Fernsehraum Nachrichten oder Soaps anzuschauen. Mit Chips und Bier.

In den Sommermonaten Juli und August ist es meist kein Problem, in einem der Studentwohnheime unterzukommen. In den Vorlesungszeiten muss man sich dagegen frühzeitig im Internet umschauen, aber auch das klappt meistens. Und dann steht einem London fußläufig zur Verfügung. Mal eben in die Nationalbibliothek (British Library), in der von der „Blauen Mauritius“ über handgeschriebene Songtexte der Beatles oder den Ehevertrag von Mozart tausende seltene Exponate warten – kein Problem, drei Minuten zu Fuß.

Oder ins British Museum (zehn Minuten), ein Ort, an dem man eindrucksvoll sieht, was eine große Kolonialmacht im Lauf der Jahrhunderte an Kunstschätzen aus Ägypten oder Asien auf die Insel geholt hat. Alle diese Kulturtempel kosten übrigens keinen Eintritt (es gibt Spendenkassen) – ebenso wenig wie die National Gallery am Trafalgar Square (fünf Minuten mit dem Bus), in der man staunt, wie komplett ungeschützt dort die alten Meister präsentiert werden. Unbezahlbare Originale von Rembrandt, van Gogh, da Vinci, Cézanne oder Monet ganz nah, ohne Abstandsbänder und nicht mal hinter Glas. Unglaublich oder very british gelassen, wie man es nimmt.

In einer doch sehr teuren Stadt große Kultur durchaus günstig erleben – London zeigt all denen, wie es geht, die sich auf das studentische Ambiente einlassen wollen. Und das allein hat schon was.

Ein Curry essen und später die Heizung in der Bude ausschalten

Ein kühler, windiger Frühjahrsnachmittag rund um die Uni. Es hat knapp zehn Grad, der Wind pfeift und kräuselt das Wasser in den Pfützen. Mit in der Jacke eingezogenem Genick beobachtet man junge Menschen im T-Shirt, die mit nackten Füßen und Flip Flops auf dem Fahrrad sitzen, in einem der kleinen Parks trotz Schauer Tennis spielen, bis die Bälle schwer wie Schwämme sind, oder die beim ersten Sonnenstrahl nach dem Regenguss schon wieder im Freien ihren Kaffee trinken. Dabei sind die meisten Studenten in London keine Briten. Vor allem die Elite Asiens trifft sich hier, nimmt jedoch offenbar die berühmte englische Härte direkt an.

Für die Menschen hier gibt es nur zwei Jahreszeiten: Frühsommer und Hochsommer. Nach dem Frieren und Staunen kann man bei einem kleinen Inderimbiss an wackligen Tischen mit der Jugend der Welt noch ein Curry mit drei Sternchen essen – und später die Heizung in der Bude ausschalten. Die sind bei dem Glühfaktor dann nämlich nicht mehr nötig, die dazu nötige Zange zum Abdrehen gibt es beim Hausmeister.

Es hat schon was, das studentische London. Und es stört sich auch keiner daran, wenn man in den Canterbury Halls abends auf dem Weg zum nächsten erstaunlichen Londoner Kulturspecial im feineren Tuch durch die Lobby Richtung Ausgang strebt. Klassische Konzerte gehören hier zum Normalprogramm. An diesem Abend spielt Ann Sophie Mutter mit dem London Symphony Orchestra im Barbican Centre. Eine Karte für ein vergleichbares Konzert in Deutschland mit der Stargeigerin wäre teurer als der Abend in London samt Flug und ein paar Glas Wein danach. Dann doch lieber hier. Zumal das Frühstück am nächsten Morgen wieder spannend zu werden verspricht.

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