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Luxemburg, wie man es sich eine europäische Schaltzentrale eigentlich nicht vorstellt: Altstadt über mittelalterlichen Festungsanlagen.

© Claude Piscitelli

Luxemburg: Der Detektiv kann kochen

Wer in Luxemburg Morde erleben will, liest Krimis von Tom Hillenbrand – gern in einem der vielen Schlemmerlokale.

Vor dem Café „Chocolate House“ steht eine gemütliche alte Eckbank mit graubraunen Decken drauf. Von dort aus hat man den besten Blick auf den Palast des Großherzogs von Luxemburg und das Parlamentsgebäude für die 60 Abgeordneten. Goldene Balkone, ein Türmchen und zwei Wachhäuschen für die Garden, die im Stechschritt auf- und abmarschieren. Meist sind es zwei, manchmal auch vier. Es ist alles sehr übersichtlich im zweitkleinsten Land der Europäischen Union. Luxemburg ist nur 82 Kilometer lang und knapp 57 breit, aber dafür gibt es drei Staatssprachen, neben Luxemburgisch auch Französisch und Deutsch.

Übersichtlich ist es hier, aber auch tiefschichtig, wenn man dem Land in die Seele schaut. Das hat Tom Hillenbrand getan, der Krimiautor, der seinen Helden Xavier Kieffer, den Koch und Hobbydetektiv, zum Luxemburger gemacht hat. Auf der Suche nach Inspirationen für die Krimireihe spaziert der Autor gern mal zwischen den Ortsteilen Clausen und Grund hin und her, den Schauplätzen des fiktiven Restaurants „Les Deux Eglises“ und dem Wohnort des Kochs an der Alzette.

Beinahe hätte er Belgien als Schauplatz für seine Krimis gewählt, erzählt Kieffer, aber da residiert ja schon Agatha Christies Hercule Poirot. Kochen ist die private Leidenschaft des 39-jährigen Autors, der Luxemburg durch ein Praktikum kennengelernt hat. Anders als viele reale Köche in Luxemburg hat die Romanfigur Kieffer keinen Stern. Mit 14 echten Michelin-Sternen bei einer halben Million Einwohner hat das kleine Land im wirklichen Leben so ziemlich die höchste Sternendichte weltweit. Man merkt auf Schritt und Tritt, dass es sich um eine Nation von Genießern handelt.

Wer sich vom Palast und vom Chocolate House losreißt und ein paar Schritte um die Ecke in Richtung Rathaus weitergeht, bleibt vielleicht gebannt vor Lea Linsters neuem Stadtgeschäft stehen, betört vom Duft der goldenen Madeleines, die immer wieder frisch aus dem Ofen gezogen werden. Die Sterneköchin hat ihr Restaurant in der früheren Tankstelle ihres Vaters aufgebaut, etwas außerhalb der Stadt. Ihr Motto lautet „Avec Amour“, und ihr Markenzeichen sind die Küsschen, die sie großzügig auch an Fremde verteilt, gern auch an den jungen Krimiautor Hillenbrand, der eigentlich in München lebt. Ob es neben ihrem Restaurant noch weitere Muss-Sehenswürdigkeiten gibt in Luxemburg? „Die Kathedrale“, sagt sie selbstbewusst lachend.

Die Luxemburger sind zeitweise Minderheit in ihrer eigenen Stadt. Etwa 95 000 ständige Bewohner zählt die, aber in der Woche zur besten Arbeitszeit halten sich dort dreimal so viele Menschen auf. Luxemburg ist eine Stadt der Arbeitspendler. Nach Frankreich, Belgien und Deutschland ist es nicht weit, und wenn man aus der Altstadt Richtung Unterstadt geht, kommt man an eine Brücke, von der aus sich ein wunderbarer Blick auf den Kirchberg bietet, der sich über mittelalterlichen Festungsanlagen erhebt und eine hoch in den Himmel ragende Krone aus blitzenden Hochhäusern trägt. Dort arbeitet Europa. Gleichberechtigt mit Brüssel und Straßburg ist Luxemburg offiziell EU-Hauptstadt. Auf dem Kirchberg befinden sich aber auch einige kulturelle Anlaufstätten, die Philharmonie zum Beispiel oder das Museum für Moderne Kunst (Mudam).

Luxemburg als eine der sichersten Städte der Welt.

 Wer die deftige einheimische Küche genießen will, sollte sich in die Oberstadt begeben.
Wer die deftige einheimische Küche genießen will, sollte sich in die Oberstadt begeben.

© Claude Piscitelli

Überquert man dann die Straße, um auf dem Weg in die Unterstadt auf dem Aussichtsfelsen zu rasten, versteht man leicht, warum Luxemburg den Zweitnamen „Gibraltar des Nordens“ trägt. Als der Ardenner Graf Siegfried 963 auf dem Bockfelsen seine Burg baute, aus der sich später dann die Stadt Luxemburg entwickelte, hatte er vermutlich keine Ahnung, wie heftig um sein so zentral in Europa gelegenes Terrain im Laufe der Jahrhunderte gestritten werden würde, bevor endlich die Beamten einer Europäischen Union die Macht übernehmen konnten.

Die Felsen, die sich über die Flüsse Alzette und Petrusse erheben, bildeten damals natürliche Befestigungsanlagen, die ergänzt wurden durch drei Ringmauern. Im Laufe der Jahrhunderte eroberten Burgunder, Spanier, Franzosen, Österreicher und Preußen die Stadt und brachten ihre besten Ingenieure mit, um die Befestigungsanlagen weiter auszubauen. Längst sind aus den Militäranlagen touristische Attraktionen geworden. Zusammen mit der Altstadt stehen sie auf der Liste des Unesco-Weltkulturerbes.

Einen Stadtschreiber hat Luxemburg nicht, aber wenn die Stadt einen hätte, dann hieße er vielleicht Tom Hillenbrandt, denn ein Koch mit detektivischer Spürnase passt gut zum Lebensgefühl Luxemburgs. Dem Gast aus der Großstadt kommt die Minimetropole sehr beschaulich vor. „Luxemburg ist eine der sichersten Städte der Welt“, sagt prompt Cathy Giorgetti vom Fremdenverkehrsamt. Plastisch kann man das sehen im Regierungsviertel. Beim Premierminister kann man praktisch ans Fenster klopfen.

Jetzt könnte man sich Zeit nehmen für die Kathedrale Unserer Lieben Frau von Luxemburg, ein spätgotisches Bauwerk mit bunten Fenstern. Wer zeitgenössische Kultur liebt, wird sich in der früheren Benediktinerabtei Abbaye de Neumünster aber wohler fühlen, besonders im Innenhof, wo im Sommer alle möglichen Freiluftkonzerte stattfinden.

Aushalten lässt es sich freilich auch ein paar Schritte entfernt bei Christophe Petra im „Le Sud“ bei anspruchsvoller Küche auf einer schönen Terrasse. „In Luxemburg ist es schwer billig zu essen, aber es ist auch schwer, schlecht zu essen“, sagt Tom Hillenbrand. Sein Ostasienstudium hat er zwar abgebrochen, aber trotzdem kann er noch ein paar Brocken Japanisch sprechen und exerziert sie beim Sushi-Meister Akira Yasuoka, der im Restaurant Kamakura mit den gefährlich langen Messern hantiert, die den Krimilesern bereits vertraut sind.

Wenn eine Destination wie Luxemburg nicht so selbstverständlich auf der touristischen Landkarte liegt wie London oder Paris, dann hilft populäre Literatur, weil sie Lust darauf macht, den Schauplatz des Geschehens mal live zu sehen. Hillenbrands Krimis machen Appetit auf die Rieslingpastete, die immer wieder erwähnt wird und hier wirklich omnipräsent ist. Beim Biobäcker auf dem Markt vor dem Rathaus ist sie ebenso zu haben wie im eleganten Feinkostgeschäft Oberweis.

Wer die deftige einheimische Küche genießen will, sollte sich in die Oberstadt begeben. Dort befindet sich der Fischmarkt, der einst Kreuzungspunkt zweier Römerstraßen war und heute aus pittoresken kleinen Gassen mit verschiedenen Restaurants besteht, darunter das „Türmsche“. Hier stehen die Chancen gut, dass man die volkstümliche Variante der Bouneschlupp bekommt, die Lea Linster auf höchstem Niveau kultiviert, dass man Kachkeis und Quetschentaart schlemmen kann. Das sind Gerichte, die zu Xavier Kieffer passen würden. Dessen Schöpfer Tom Hillenbrand studiert eine Plakette, die auf den Besuch eines großen literarischen Vorbildes hinweist. Goethe war auch schon in Luxemburg und fand dort Größe, Anmut, Ernst und Lieblichkeit vor. Mit etwas Glück lässt sich das heute auch noch finden – in einer Interpretation des 21. Jahrhunderts und zum Verzehr durchaus empfohlen.

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