In der Inquisition nannte man so etwas die Präsentation der Folterwerkzeuge: Das Operationsbesteck, verstaut in einem Aktenkoffer, hinterlässt seine Wirkung auf uns Expeditionsteilnehmer. Not-OPs müsse er an Ort und Stelle selbst durchführen, unsere kleine Gruppe werde eine Woche lang vom Mobilnetz abgeschnitten sein, erklärt Thomas Nilson. Wir sollen insbesondere auf Erfrierungen an Nase, Ohren und Fingern achten, das ginge schneller, als uns lieb sei. Trotzdem alles kein Grund zur übertriebenen Sorge, wenn wir uns an die Regeln hielten.
Nilson muss es wissen. Schließlich wäre das nicht sein erster Eingriff – er hat bereits den offenen Beinbruch einer Expeditionsteilnehmerin versorgt. Kein Problem, Lapplands Eiswüste sei steriler als jeder Operationssaal in Oslo. Der Ex-Offizier der Norwegischen Armee, der Kampfeinsätze in Afghanistan leitete und die US-Navy-Seals in der Arktis trainierte, meint es ernst.
Und nun geht’s los. Trotz aller Warnungen. Erst schmerzten die Finger nur, jetzt kann ich sie nicht mehr spüren. Zu lange in eisiger Nacht verbissen auf Polarlichter gewartet, zu lange mit zu dünnen Handschuhen versucht, die Schönheit der Arktis aufs Foto zu bekommen. Dabei fing vier Tage zuvor doch alles so gemütlich an.
Stunde um Stunde scheint der Schlitten schwerer zu werden
Die beiden Guides Thomas Nilson und Liv Engholm sitzen mit den Teilnehmern in einer behaglichen Blockhütte in Alta im äußersten Norden von Norwegen. Das Städtchen liegt exakt auf halber Strecke zwischen Berlin und dem Nordpol. Es duftet nach deftigem Rentiergulasch. Beim gemeinsamen Essen lernen sich Profi- und Hobbyabenteurer kennen. Auch Nemi und Biigha, die treuen „American Huskies“, dürfen kurz zur Begrüßung ins warme Haus – eine wichtige vertrauensbildende Maßnahme. Schließlich wollen wir zusammen die Überquerung des menschenleeren Finnmark Plateaus in Norwegisch-Lappland auf Skiern wagen.

Tag zwei: ausgiebig frühstücken, Lebensmittel einkaufen, die fünf Hightech-Schlitten beladen, Gurtzeug anlegen, Skier anschnallen und los. Stunde um Stunde scheint jeder der 35-Kilo-Schlitten schwerer zu werden. Wer das Tempo der Gruppe nicht mehr halten kann, bekommt Unterstützung von Biigha oder Nemi. Dann werden die Huskys mit eingespannt, was ihnen größte Freude zu bereiten scheint. Sie strotzen nur so vor Energie.
Mit Einbruch der Dunkelheit erreichen wir die Jotka Lodge. Unser Guide meint, nun wäre es langsam an der Zeit, sich an die arktischen Nächte im Zelt zu gewöhnen, und reißt die Fenster sperrangelweit auf. Wir Urlauber schlüpfen blitzartig in unsere Mumienschlafsäcke. Langsam bekommen wir eine Ahnung davon, was die Kälte bedeutet.
"Hunters television" heißt der Lappland-Kanal
Tag drei: Wir verlassen das letzte Refugium menschlicher Zivilisation und folgen der historischen Postroute von Alta in Richtung Samenhauptstadt Karasjok. Ab jetzt gibt es nicht einmal mehr Wege, es geht nur noch bergauf. Der Baumbestand wird spärlicher, die Bäume selbst mickriger und die Schlitten immer schwerer. Ziel ist das Finnmark Plateau, wo sich lediglich Moose und Flechten unter meterdickem Schnee verstecken. Der Anstieg ist anstrengend, ohne Nemi und Biigha wäre er eine Tortur. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit schlagen wir erstmals unsere Zelte auf. Jeder Handgriff fällt schwer, wir sind müde und ausgelaugt.

Beim Bäumefällen wird uns langsam wieder warm. 40 bis 50 Jahre seien die nur mannshohen und armdicken Birken schon alt. So langsam wachsen die Bäume im hohen Norden. Der gesamte Bestand gehört dem Staat Norwegen, und das Abholzen für den Eigenbedarf ist allen Outdoor-Aktivisten ausdrücklich gestattet.
Zum ersten und letzten Mal auf unserer Tour sehen wir fern. Es gibt allerdings nur ein Programm: „Hunters television“ heißt dieser Lappland-Kanal. Das Programm ist etwas eintönig, aber trotzdem schön. Stundenlang schauen alle ins wärmende Feuer und können sich gar nicht sattsehen.
- Noch vier Tage bis zum Kamin
- Die Atemluft gefriert an den Innenwänden der Zelte
- Tipps für die Finnmark
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