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Nobelpreisträger. Das Denkmal für Ivo Andric ist Mittelpunkt im Dorf.

© Axel Baumann

Kusturicas Dörfer: Mit der Schmalspurbahn ins Kino

Der serbische Regisseur Emir Kusturica baute bei Mokra Gora ein Freilichtdorf. Im Juni kommt mit Andricgrad ein zweites hinzu.

Manchmal klingt er melodisch, manchmal schrill, irgendwann für viele auch ohrenbetäubend: Lärm, der glücklich macht. Zur ersten Veranstaltung 1961 kamen vier Orchester in den Hof der orthodoxen Kirche des serbischen 3000-Seelen-Ortes Guca, einem verschlafenen Nest, drei Autostunden südlich von Belgrad. Statt nach geplanten vier Stunden endete das Happening damals nach vier Tagen. Inzwischen hat es sich zum bedeutendsten Blechblasfestival des Balkans entwickelt.

Den meisten westlichen Besuchern ist das Festival aus Filmen des serbischen Regisseurs und Musikers Emir Kusturica bekannt („Schwarze Katze, weißer Kater“ und „Das Leben ist ein Wunder“). Oder sie kommen, weil sie gehört haben, dass es auch in Serbien eine Art „Woodstock“ gibt. Jedes Jahr eine Woche lang im August ziehen die Kapellen vom frühen Nachmittag an durch die beiden Hauptstraßen des Ortes. Wer ein persönliches Ständchen möchte, der stopft ein paar Geldscheine in die Trompete oder Brusttasche der Musikanten. Mittlerweile nehmen auch Gruppen aus Polen, Italien, Belgien und Skandinavien an den Wettbewerben um die „goldene Trompete“ teil, die allabendlich in der Fußballarena stattfinden. Obwohl die Bands auf der Bühne oft eher einen Hauch von Musikantenstadl verbreiten, toben die Zuhörer wie bei einem Rockkonzert.

Wer kein eingefleischter Blechbläserfan ist und sich nach ein oder zwei Tagen „Madness – made in Serbia“ nach Ruhe sehnt, der fährt weiter Richtung Westen, wo mit Vrnjacka Banja in der Region Zlatibor der älteste und beliebteste Kurort des Landes zu finden ist. Schon die Römer sollen im 2. Jahrhundert hier die heißen Quellen genossen haben. Mehrere 1400 Meter hohe Gipfel umgeben die wald- und heilwasserreiche Gegend. Am 26 Kilometer langen, smaragdgrünen Uvac-Sees lässt es sich jedoch ohne größere Höhenunterschiede wandern. Mehr als 120 Vogelarten leben in diesem Naturreservat, wo Adler, Bussarde oder Gänsegeier nahezu unablässig kreisen.

Am Bahnhof in Mokra Gora herrscht Hochbetrieb

Nordwestlich von Zlatibor, in der Nähe der bosnischen Grenze, rattert eine Schmalspurbahn. „Sargan Achter“ stand 2004 in Emir Kusturicas Film „Das Leben ist ein Wunder“ im Mittelpunkt. Dabei ging es mit viel Klamauk um eine Liebesgeschichte und die Absurdität des Bosnienkriegs in den 1990er Jahren.

Bis 1974 war die Strecke durch das Tara-, Zlatibor- und Sargan-Gebirge ein Teilstück des 760-Millimeter-Spurnetzes zwischen Belgrad und Dubrovnik. „Knapp 16 Kilometer wurden 1999 zwischen Mokra Gora und Sargan-Vitasi reaktiviert“, berichtet Milic Simic, ehemaliger Direktor der Bahn. Dreimal am Tag durchquert der Zug eine abwechslungsreiche Berg- und Schluchtenlandschaft mit mehr als 20 Tunneln, zahlreichen Brücken und Viadukten. „Benannt ist die Museumsbahn nach der Achterschleife, die sie durchfahren muss, um 300 Höhenmeter auf einer dreieinhalb Kilometer langen Strecke zur Bezwingung des Sargan-Gebirges zu bewältigen“, informiert Simic.

Am mit Blumen geschmückten Bahnhof des Bergdorfs Mokra Gora herrscht Hochbetrieb. „Da Verliebte in Serbien ,Täubchen‘ genannt werden, bekam der Filmbahnhof, den Emir Kusturica eigens für das ,Wunder‘ errichten ließ, den Namen Golubici, Täubchen“, erzählt Milic Simic. Von hier geht der Blick hinüber zum Berg Mecavnik. „Kusturica war während der Dreharbeiten so fasziniert vom stets im Sonnenlicht liegenden Hügel, dass er dort das freilichtmuseumsartige Dorf Drvengrad bauen ließ.“ Im Ort, in dem der Regisseur zeitweilig lebt, gibt es ein Hotel, Restaurants, eine orthodoxe Kirche, ein Kino und natürliches Panorama in Cinemascope auf die grünen Anhöhen rund um Mokra Gora.

Bosniaken stehen dem Andricgrad-Projekt skeptisch gegenüber

Seit drei Jahren entsteht in der 20 Kilometer entfernten Stadt Visegrad in Bosnien-Herzegowina ein weiteres Kusturica-Projekt: Andricgrad, ein dem Dichter Ivo Andric gewidmeter neuer Stadtteil. Sie wird auch Kamengrad, die Steinstadt, genannt. Denn nach dem kurioserweise auch „Küstendorf“ genannten Drvengrad in Serbien wird Andricgrad, als die zweite Planstadt Kusturicas, auf einer Landzunge am Grenzfluss Drina, komplett aus traditionell verwendeten alten Steinen gebaut. So entstehen Gebäude im byzantinischen, osmanischen, österreichisch-ungarischen Stil: ein Rathaus, eine Universität, ein Hotel, ein Theater, ein Kino, Geschäfte, Restaurants und Cafés.

„Spätestens ab Ende Juni, wenn Andricgrad offiziell eröffnet ist, wird Visegrad auch per Schmalspurbahn von Mokra Gora aus erreichbar sein“, vermutet Gästeführer Ljuba Jelesijevic. „Die Schienen über die Grenze sind bereits seit Längerem saniert. Auch eine Marina ist geplant, um Bootsausflüge auf der Drina anbieten zu können.“

Kusturica hat ein Faible für Ivo Andric, der 1961 den Literaturnobelpreis für seinen historischen Roman „Die Brücke über die Drina“ erhielt. Eine Chronik der Region über vier Jahrhunderte hat der Dichter darin zu Papier gebracht. Unumstritten ist das Vorhaben des 59-jährigen Kusturica nicht. Es wird insbesondere vonseiten der Bosniaken kritisiert, da sie befürchten, dass der Ort einen zu starken serbischen Charakter erhält. Schließlich ist in Visegrad im letzten Krieg (und nicht nur dann) viel Blut geflossen.

Heute stehen Postkartenverkäufer auf der Brücke mit den elf markanten Steinbögen. Ein paar Touristen schlendern hinüber zum anderen Ufer. Träge schiebt sich die dunkelgrüne Drina Richtung Serbien. Nur einige Mücken und Wespen brummen. Was für eine Wohltat für die Ohren.

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