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Urlaubsgeschichte: Mit Badetuch nach Spanien

Sechs Jahrzehnte Urlaubsgeschichte: Wie sich die Deutschen den Titel "Reiseweltmeister" verdienten.

Er ist 36 bis 45 Jahre alt, verreist ein- bis zweimal im Jahr und bevorzugt zwei Wochen Badeurlaub – am liebsten in Spanien oder auch in der Türkei. Das ist „Otto-Normalurlauber“, wie ihn das Internet-Hotelbewertungsportal Holidaycheck sieht. Viele verbinden mit dem typisch deutschen Touristen noch ganz andere Eigenschaften. Denn in sechs Jahrzehnten hat der Aufstieg zum „Reiseweltmeister“ schon Eindrücke hinterlassen.

„Buntes Hemd, weiße Socken in Sandalen, Sonnenbrand auf den Waden“ – so beschrieb Fernsehmoderatorin Ulla Kock am Brink in der ARD einmal den deutschen Mann im Urlaub. Er hat durchaus sein Image, der deutsche Tourist. Er wird oft geliebt, mitunter aber auch mitleidig belächelt. Er gilt im Ausland zwar oft als geizig, doch der Urlaub ist ihm einiges wert: Nach Angaben des Deutschen Reiseverbandes (DRV) gaben deutsche Urlauber 2008 für ihre Auslandsreisen fast 61 Milliarden Euro aus. Platz zwei auf der Weltrangliste belegen die USA mit etwa 58 Milliarden Euro.

Kurz nach dem Krieg ging es zuerst nur langsam bergauf mit der Lust auf Tapetenwechsel. „Es gab ja so gut wie gar keine Möglichkeiten“, erinnert sich Wilhelm Grote, der in Deutsch-Evern bei Lüneburg wohnt. Der heute 88-Jährige arbeitete 1949, als die Bundesrepublik gegründet wurde, bei einer Versicherung und war frisch verheiratet. „Kaum jemand besaß ein Auto. Wer Geld hatte, konnte sich gerade eine Bahnfahrt leisten.“

Den ersten Familienurlaub gab es für Grote Anfang der 50er Jahre. Die erste größere Tour führte im VW-Käfer von Hannover nach Scharbeutz an die ferne Ostsee. Andere begnügten sich mit der BMW Isetta, damals liebevoll Knutschkugel genannt. Oder sie fuhren mit der Bahn – zum Beispiel ins Gebirge nach Ruhpolding. Einige schafften es auch weiter in den Süden – etwa an die italienische Adria nach Rimini.

Wilhelm Grote hingegen lag mit seinem Reiseziel im Trend: 85 Prozent aller Deutschen, die damals verreisten, blieben im Inland, wie der Deutsche Tourismusverband (DTV) feststellte. Wer sich 1954 – als zum ersten Mal touristische Daten erhoben wurden – eine Auslandsreise leisten konnte, fuhr hauptsächlich nach Österreich (sechs Prozent) oder nach Italien (vier Prozent). Als Verkehrsmittel lag laut DTV die Bahn (54 Prozent) vorn, 19 Prozent reisten mit dem eigenen Auto, 17 Prozent per Bus. Seit Mitte der 50er Jahre wurden den Westdeutschen auch Flugreisen angeboten. Fliegen war allerdings umständlich und sagenhaft teuer.

Erst in den 60er Jahren änderte sich der Trend vom Inland zum Ausland. 1969 reisten nach DTV-Angaben erstmals mehr westdeutsche Urlauber ins Ausland als zu Zielen im Inland. Beliebteste Auslandsziele waren – und sind bis heute – in wechselnder Reihenfolge Spanien, Italien und Österreich. Der Aufschwung führte schließlich zum Pauschalurlaub, bei dem Anreise und Unterkunft als „Paket“ angeboten wurden. Als Pionier in Deutschland gilt Gustav Schickedanz mit seinem Quelle-Versandhaus („Quelle-Reisen“) 1962, kurz darauf kam Josef Neckermann mit einem eigenem Reiseangebot auf den Markt. Am 1. Dezember 1968 gründeten dann die Reiseanbieter Touropa, Scharnow, Hummel, die schon seit Anfang der 50er Jahre existierten, und Dr. Tigges (1928 gegründet) die Touristik Union International (Tui). Das Unternehmen entwickelte sich zum heute weltweit größten Reisekonzern.

Die Deutschen wurden von Jahr zu Jahr reisefreudiger. Mallorca wurde zum „Renner“, auch wenn vor 40 Jahren der Flug noch gut vier Stunden dauerte. Und die Buchung einer Reise war in den 60ern recht umständlich. Peter Wächtler, damals Mitarbeiter in einem Reisebüro und heute Tui-Verkaufsleiter für Norddeutschland, schmunzelt, wenn er an sogenannte Bettenbücher denkt: „Es gab ja noch keine Computer wie heute, und so musste die Bettenbelegung in den Hotels per Hand in Bücher eingetragen werden. Mit Bleistift, versteht sich, wegen möglicher Umbuchungen.“

Der Luftverkehr nahm von Jahr zu Jahr zu. „Oft musste man vom Reisebüro aus stundenlang wählen, bis man beim Veranstalter durchkam und etwas fest buchen konnte“, erinnert sich Wächtler. 1970 wurden zum ersten Mal Computer für touristische Zwecke eingesetzt.

Trotz technischer Hemmnisse: Das Angebot der Veranstalter wurde immer vielseitiger. Neben Fernreisen unter anderem zu so exotischen Zielen wie Thailand und Ostafrika bot zum Beispiel Neckermann schon Ende der 60er Jahre Reisen in die damalige Sowjetunion an – getreu dem 1964 geborenen Slogan „Neckermann macht’s möglich“. Wenig später wurde Cluburlaub zum Erfolgsmodell. Tui und Steigenberger gründeten auf Fuerteventura den ersten Robinson-Club, Neckermann eröffnete in Senegal den ersten Club Aldiana.

Nicht nur die Flugangebote wurden immer ausgefallener. Die Bahn versuchte Anschluss zu halten und stellte Reisebüro-Sonderzüge zusammen. Schon 1951 ging es mit der Bundesbahn und Touropa in den Urlaub. Tui entwickelte einen eigenen „Ferienexpress“ mit Tanzabteil und besonders komfortabel gestalteten Waggons. Der Express erlebte dann 1988 noch eine Premiere: Statt nach Italien oder in die Alpen ging es erstmals zu einer Sonderfahrt in die DDR.

Zu dieser Zeit – ein Jahr vor der Wende – galten für DDR-Bürger neben dem Thüringer Wald und der Sächsischen Schweiz vor allem die Ostseeinseln Rügen und Usedom als beliebte Reiseziele im Inland. Für Auslandsreisen mussten sich die Ostdeutschen überwiegend mit dem – wie es damals hieß – „befreundeten sozialistischen Ausland“ zufrieden geben. Dazu gehörten vor allem Polen und die Tschechoslowakei. Mit Genehmigung konnten auch Ungarn, Rumänien, Bulgarien und die UdSSR besucht werden, sogar auf Kuba durften – wenige – DDR-Bürger – am Strand liegen.

Auch der Wunsch nach Reisefreiheit trug zur Sprengung der Grenzen bei. Nach dem Fall der Mauer und des Eisernen Vorhangs wurde 1989 „Reisefreiheit“ das Wort des Jahres. „Die Reiseintensität der West- und schließlich auch der Ostdeutschen stieg stetig“, betont der DTV in einem Rückblick auf die 90er Jahre. Auch für die kommenden Jahre sind die Experten optimistisch. Die Urlaubswünsche werden dabei immer vielfältiger, sagt Karl Born, Professor für Tourismusmanagement an der Hochschule Harz in Wernigerode. „Das Besondere im Tourismus ist: Es fallen nie Urlaubsformen weg“, sagt der ehemalige Tui-Manager. Nur einen Unterschied sieht Born im Vergleich zwischen Urlaub früher und Urlaub heute: „Die Menschen haben nicht mehr das Motiv: ,Ich muss meinen Nachbarn übertrumpfen‘. Ausschlaggebend ist der Wunsch: ,Der Urlaub muss mir persönlich guttun‘.“ Der Megatrend sei noch immer Wellnessurlaub. Und Born ist sich sicher: „Der Urlaub ist im Kopf der Menschen quasi als Grundrecht verankert.“

Wolfgang Duveneck

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