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Gut drauf. Diese drei Gullah-Folksängerinnen warten auf ihren Auftritt beim Kulturfestival auf Sapelo Island.

© Richard Ellis/Alamy Stock Photo

Georgia: Stolz ist schwarz

Einst wurden Sklaven aus Sierra Leone an die Küste Georgias verschleppt – zum Reisanbau. Ihre Nachfahren, die Gullah, blieben in den USA. Auch weil sie dort ihre Kultur leben können.

Bethia fällt auf, wie sie da sitzt in einem Café in der Altstadt von Savannah im US-Staat Georgia: eine voluminöse Afroamerikanerin mit Hornbrille und Dreadlocks, in einem wallenden Kleid, das bunt zu nennen eine Untertreibung wäre. Alle möglichen Rottöne mischen sich darin mit tiefem Blau, saftigem Grün und leuchtendem Gelb, akzentuiert durch schwarze und braune Farbtupfer.

Bethia bestellt einen großen Milchkaffee. Ihren Namen, nun ja, den hat sie angenommen. Bürgerlich heißt sie Wendy Brown. Aber das ist ein Sklavenname, zumindest der Nachname: vergeben von den Plantagenbesitzern, für die ihre Vorfahren einst unentgeltlich schuften mussten. Bethia dagegen: Das ist biblisch, es bedeutet Anbeterin Gottes – und ist Ausdruck ihrer spirituellen Identität. Einer Identität, die sie mühsam finden musste.

Als Kind ist sie mit ihren Eltern aus Georgia nach New York gezogen, in die Bronx. „Wir haben anders gesprochen als die Leute um uns herum“, erinnert sich Bethia. „Bei unseren Nachbarn gab es Cornflakes zum Frühstück, bei uns dagegen Reis. Ich habe oft gefragt: ,Wer sind wir?‘ Meine Mutter hat immer nur das eine geantwortet: ,Du bist eine Amerikanerin‘“.

Erst Jahre später hat Bethia erfahren, dass sie eine Gullah Geechee ist, Nachfolgerin der Sklaven aus Sierra Leone, die zum Reisanbau an die Küste Georgias verschleppt worden waren.

Bethia trinkt ihren Kaffee aus und macht sich auf nach Geechee Kunda, einem Kulturzentrum in Riceboro. Die Fahrt führt durch die Vorstädte Savannahs in Richtung Süden. Die Küste Georgias besteht aus Marschland. Zu beiden Seiten der Straße breiten sich Salzwiesen aus, auf denen das Schilf meterhoch im Wind wogt, durchzogen von Flüssen, Bächen und Meeresarmen.

Ihre Sprache basiert auf einem Kreolisch, das bis heute in Sierra Leone gesprochen wird

Der Küste sind mehrere Inseln vorgelagert, die Golden Isles, die Goldenen Inseln. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts waren sie die Spielwiesen des Geldadels, der Carnegies, Vanderbilts und Rockefellers, die sich dort exklusive Sommerresidenzen errichten ließen. Auf Jekyll Island zum Beispiel, das über einen Fahrdamm mit dem Festland verbunden ist, vermittelt ein zum Grandhotel umgebautes Clubhaus einen Hauch der Grandezza von einst. Die Goldenen Inseln sind aber auch die ursprüngliche Heimat der Gullahs in den USA.

Mitten im Nirgendwo biegt Bethia in eine eine Nebenstraße ein und steuert ein Holzhaus an, das sich unter mehr als 30 Meter hohe Eichen duckt. Davor steht ein Schild in den Farben Grün, Rot, Schwarz und Gelb. „Tank Hunnah Fa“, steht drauf. Das heißt „Herzlich Willkommen“ in der Sprache der Gullah, erläutert Bethia. Diese Sprache wiederum basiert auf Krio, einem Kreolisch, das bis heute in Sierra Leone gesprochen wird, an der Küste Georgias aber nahezu ausgestorben ist.

Auf einer quietschenden Hollywoodschaukel sitzt ein Mann: groß und schlank, die grauen Haare zum Zopf gebunden. Bethia stellt ihn als Jim Bacote vor. Er ist der Gründer und Leiter von Geechee Kunda. Wie Bethia hat Jim lange Jahre im Norden gelebt, bis er vor fünfzehn Jahren nach Georgia zurückgekehrt ist und das Grundstück gekauft hat, auf dem sich Geechee Kunda befindet. Eine Heimkehr in doppelter Hinsicht: Das Gelände war Teil einer Reisplantage, auf der sein Großvater und dessen Vorfahren gearbeitet hatten. Jim selbst ist ein paar hundert Meter weiter aufgewachsen.

Wie Bethia hat er es sich zur Aufgabe gemacht, die Kultur der Gullah zu bewahren, ihre Sprache, die nur mündlich überliefert ist, ihre Traditionen, ihre Lebensweise. Dass sie fortbestehen konnte, ist einerseits erstaunlich. Andererseits eben auch nicht, findet Jim. „Zur Zeit der Sklaverei gab es in den Plantagen viele Mücken, die Malaria übertrugen. Deshalb mieden die Besitzer die Gegend, sie hielten sich nur selten dort auf. Das gab unseren Vorfahren eine gewisse Freiheit. Sie haben Hüttendörfer wie in Afrika gebaut, es wurde getrommelt und getanzt. Dieses Festhalten an unserer Kultur war ihre Art, Widerstand zu leisten.“

Die Zimmer wurden mit Zeitungen tapeziert - gegen die Geister

Die Lebenserwartung der Arbeiter und Arbeiterinnen auf einer Plantage betrug während der Sklaverei im Schnitt 18 Monate. Die Felder wurden von den Frauen bestellt, die Männer fällten Bäume, um aus dem Holz Dämme und Schleusen zu bauen. So konnten die Felder unabhängig von Strömungen und Gezeiten geflutet werden. Das erforderte Fachwissen: Floss das Wasser zu schnell, wurden Nährstoffe weggeschwemmt, floss es zu langsam, verbreiteten sich Algen.

Mit der Abschaffung der Sklaverei im Jahr 1865 wurde die Arbeitsbedingungen auf den Plantagen zwar besser, aber nicht wirklich gut. Die Arbeiter wurden nun zwar entlohnt, oft jedoch lediglich mit Coupons, die ausschließlich in den Läden auf der Plantage als Zahlungsmittel akzeptiert wurde.

Jim deutet auf einen Baumstamm, auf dessen gekürzte Äste Flaschen gestülpt sind. „Ein Flaschenbaum“, erläutert er. Dadurch sollen „hanks und longhand men“ ferngehalten werden, die bösen Geister aus den Überlieferungen der Gullah. Aus dem gleichen Grund tapezierten die Gullah ihre Häuser mit Zeitungsausschnitten: Die Geister, so glaubten sie, würden erst alles lesen und den Bewohnern so die Möglichkeit geben, das Weite zu suchen.

Für Jim Bacote ist Geechee Kunda in erster Linie eine Anlaufstelle. Wie das Penn Center auf St. Helena Island oben in South Carolina. Er registriert eine Renaissance der Kultur der Gullahs. Was auch damit zusammenhängt, dass der amerikanische Kongress sie vor ein paar Jahren endlich als Minderheit anerkannt und entlang der Küste den Gullah Geechee Heritage Corridor definiert hat. Das zieht nun Besucher an. Nicht nur nach Geechee Kunda.

Bilali Mohammed, der Chefaufseher der ersten Plantage, wird als Vater der Insel verehrt

Typische Architektur. Holzhäuser wie dieses mit kontrastreich gestrichenen Fensterläden prägen das Ortsbild der Inselchen von Georgia.
Typische Architektur. Holzhäuser wie dieses mit kontrastreich gestrichenen Fensterläden prägen das Ortsbild der Inselchen von Georgia.

© Dawna Moore / Alamy Stock Photo

Auf Tybee Island in der Nähe vor Savannah erinnert eine Gedenktafel an die ersten Sklavenschiffe, die dort anlegten, auf Jekyll Island an das letzte, das amerikanischen Boden erreichte. Es hieß „The Wanderer“ und ging am 28. November 1858 mit 409 Afrikanern an Bord vor der Insel vor Anker – die Sklaverei war damals noch nicht abgeschafft, der transatlantische Handel mit ihnen aber schon seit fünfzig Jahren verboten.

Das alles erscheint heute unwirklich lange her. Nun, wo den Gullah endlich so etwas wie Gerechtigkeit widerfährt. Durch die Anerkennung als Minderheit entstehen wieder neue Gullah-Dörfer. Auf ehemaligen Plantagen genauso wie abgelegen im Marschland. Vorbild ist Hog Hammock auf Sapelo Island.

Wir stehen an der Pier von Meridian, einem Kaff im Marschland. Es ist kurz nach acht Uhr, ein verregneter Morgen. Soeben hat die Fähre von Sapelo Island angelegt. Sie spuckt Kinder aus, die an Land in einen Schulbus steigen. Ein gutes Dutzend Afroamerikaner verlädt Lebensmittel, Baumaterial und elektronische Geräte.

Unter einem Vordach steht Stacy White, ein Frau in Cargohosen, Wanderschuhen und Anorak, um den Kopf hat sie ein Piratentuch gebunden. Stacey White blickt sich um. „Die übliche logistische Herausforderung“, kommentiert sie trocken und erläutert: „Auf Sapelo gibt es keine Supermärkte, noch nicht einmal einen Lebensmittelladen, keinen richtigen jedenfalls, der frische Waren verkauft wie Eier, Brot und Milch. Alles muss vom Festland mitgebracht werden.“

Graue Nebelschwaden wabern über dem Marschland

Die letzte Fähre fährt zudem abends um halb sechs. Mit einem Vollzeitjob ist das nicht zu schaffen. Deshalb sind Staceys Eltern, als sie selbst noch ein Kind war, nach Brunswick gezogen, in die nächste größere Stadt. Aber die Wochenenden und die Ferien hat die Familie auf Sapelo verbracht.

Vor zwei Jahren ist Stacey auf die Insel zurückgekehrt. In ihre Heimat, wie sie sagt. Ihre Familie lebt seit neun Generation auf Sapelo, mütterlicher- und väterlicherseits stammen sie von Bilali Mohammed ab, dem Chefaufseher der ersten Plantage auf Sapelo. „Wir verehren ihn als den Vater der Insel“, erläutert Stacey. „Er war ein gebildeter Mann aus Sierra Leone, der versklavt und hierher verschleppt wurde. Mit seiner Frau Phoebe hatte er sieben Töchter. Jeder Familie auf der Insel kann ihren Stammbaum zu ihm zurückverfolgen.“

Souvenirs, Souvenirs. Hübsche Körbchen in allen Größen fertigen Gullah-Frauen aus Süßgras. Auch im Kulturzentrum Geechee Kunda werden sie angeboten.
Souvenirs, Souvenirs. Hübsche Körbchen in allen Größen fertigen Gullah-Frauen aus Süßgras. Auch im Kulturzentrum Geechee Kunda werden sie angeboten.

© imago/ZUMA Press

Die Fähre legt ab. Es ist diesig, graue Nebelschwaden wabern über dem Marschland. Schemenhaft sind Häuser zu erkennen. „Viele von ihnen sind nur per Boot zugänglich“, erklärt Stacey.

Nach einer guten Viertelstunde ist Sapelo erreicht. Die Insel liegt wie ein ausgestreckter Finger vor der Küste. Hinter der Anlegestelle gibt es einen Parkplatz. Stacey steuert einen rostzerfressenen Minibus an. Nummernschilder hat der Wagen nicht, braucht er auch nicht. Auf Sapelo sind weder Anmeldung noch Versicherung für Autos vorgeschrieben.

Die Straße, die vom Parkplatz ins Innere der Insel führt, ist einspurig. Ein Seitenstreifen existiert nicht. Oh je. Was, wenn jemand entgegen kommt? Stacey entgegnet lachend: „Wer sollte das sein?“ Auf der Insel leben exakt 37 Menschen dauerhaft und ungefähr noch einmal so viele zeitweise.

Am Ortsausgang schlängelt sich ein Feldweg in den Mangrovenwald

Die Hauptattraktion auf dem Eiland ist Reynolds Mansion, das Herrenhaus von R. J. Reynolds. Dem Spross der Tabakdynastie hat die Insel Anfang des 20. Jahrhunderts gehört, die Gullah haben für ihn gearbeitet. Heute ist Sapelo im Besitz des Staates Georgia.

Das winzige Dorf Hog Hammock besteht aus einer Ansammlung kleiner Häuser im Schatten gewaltiger Eichen und Platanen. Manche sind aus Holz, die meisten nur aus Pressspan. Ein verschlafenes Nest ohne befestigte Straßen. Der Dauerregen hat den lehmigen Boden der Wege rutschig gemacht. Stacey geht an einem ausladenden Holzhaus vorbei. Es ruht auf Stelzen und hat geschätzte zwanzig Zimmer. Eine reiche Frau aus New Jersey, die hier ihre Ferien verbringt, habe es gebaut, erklärt Stacey. Sie nutze es vielleicht zwei Wochen im Jahr.

Viele Gullah haben ihre Grundstücke an Fremde verkauft. Das treibt die Grundbesitzabgaben für die Ansässigen in die Höhe. Dagegen haben sie in Hog Hammock geklagt und vorm höchsten Gericht des Staates Georgia Recht bekommen. Nun sind die Steuern eingefroren, vorerst für fünf Jahre.

Am Ortsausgang schlängelt sich ein Feldweg in den Mangrovenwald. Das ist die einzige Verbindung in den unberührten Norden der Insel. Mit dem Auto ist der Weg nur bei trockener Witterung passierbar.

Manchmal geht Stacey los, nimmt diesen Weg, allein und zu Fuß. Dann trägt sie einen Rucksack mit etwas Proviant und viel Wasser auf dem Rücken. Und eine Flinte, um sich etwas zu essen zu schießen. Acht, vielleicht neun Kilometer sind es bis zum Nordkap, durch dichtes Grün, in dem sie nie einer Menschenseele begegnet.

Zurück geht sie am Strand entlang. An einem Strand, den die Marketingleute der Tourismusindustrie mit dem Adjektiv blütenweiß und der Vorsilbe Traum versehen würden. An solchen Tagen fühlt sich Stacey White im Einklang mit einer Kultur, in die sie hineingeboren wurde und die zu bewahren sie sich wie Bethia und Jim Bacote zur Aufgabe gemacht hat.

Ehrwürdiges Grandhotel - direkt am Meer

ANREISE

Delta Airlines fliegen täglich über Amsterdam und Atlanta nach Savannah, ab 968 Euro

ÜBERNACHTEN

Große, nett eingerichtete Zimmer gibt es im Green Palm Inn Bed & Breakfast in der Altstadt von Savannah. Doppelzimmer ab 150 Euro. (548 E. President Street).

Das Jekyll Island Club Hotel ist ein altes Grandhotel mit Pool, lauschigen Gärten, direkt am Meer gelegen. DZ ab 190 Euro (371 Riverview Drive, Jekyll Island).

Nur fünf Autominuten von der Pier von Meridian gelegen und damit ideal für einen Ausflug nach Sapelo Island ist das Blue Heron Inn Bed & Breakfast. DZ ab 129 Euro (1346 Blue Heron Lane, Darien).

TOUREN

Geechee Kunda, Kulturzentrum der Gullah in Riceboro.

Guide Stacey White (Telefon: 001/912/644/0324)

Tom Noga

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