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Hochrhön: Einkehr bei den Silberdisteln

Die Hochrhön, im Länderdreieck Bayern, Hessen und Thüringen, ist Biosphärenreservat. Da kommt nur Natürliches auf den Teller.

Gastwirt Hans-Jürgen Krenzer erinnert sich noch gut: „Darauf hatte hier keiner Bock.“ Kurz nach der Wende erfuhren nämlich die Bewohner der Rhön in Thüringen, Bayern und Hessen aus der Zeitung, dass sie nunmehr zum geschützten Unesco-Biosphärenreservat erklärt worden waren. Gefragt hatte sie keiner. Und jetzt sollte schon wieder eine Art Zaun um die halb vergessene Mittelgebirgswelt gezogen werden? Ein Fuldaer Kommunalpolitiker versprach sogar, zu verhindern, dass sich „die grüne Kralle lähmend über das Land legt“.

Es hat lange gedauert, bis die Rhöner in Ost und West begriffen, dass „Reservat“ kein Makel, sondern ein Markenzeichen sein kann, mit dem sich gut werben lässt. Gern hören sie den Begriff immer noch nicht, aber stolz sind sie nun doch auf ihre heile Welt hinter den Kuppen, die ihre bunte Pracht der jahrzehntelangen Abgeschiedenheit der Grenzregion verdankt.

Von alters her ist man hier „im wahrsten Sinne des Wortes steinreich“, so Thüringens Biosphärenreservatsleiter Karl- Friedrich Abé. Jedes Pflügen holt eine neue Fuhre harter Muschelkalk- oder Basaltbrocken aus dem Boden. Da hilft kein Düngen und Spritzen, den mageren Äckern ist wenig abzugewinnen, und selbst der brutale Zwangsarbeitereinsatz der Nazis half nichts: Die raue, windige Hochrhön taugte partout nicht zur Kornkammer Deutschlands. Die Rhöner wussten das schon lange, ließen den Pflug im Tal und trieben Rhönschafe und Weideochsen auf die Berghänge. Sie schufen ein „Land der offenen Fernen“, so dass der Blick weit schweifen kann.

Eine 180 Kilometer lange neue Wanderroute „Der Hochrhöner“ vom Soleheilbad Bad Salzungen bis zum Kurort Bad Kissingen erschließt jetzt den rauen Charme der Natur. Die neudeutsch „Premium-Weg“ getaufte Strecke führt an naturbelassenen Bächen entlang, durch Buchenmischwälder und Fichtenhaine vorbei an blumenübersäten Magerrasenflächen. Eine orangefarbene Sonne – das Ö aus dem Schriftzug Rhön – weist den Weg.

In zwei großen Bögen schwingt sich der Hochrhöner über die Bergkuppen um die Täler des Kerngebiets, erklimmt auf der einen Seite die 950 Meter hohe Wasserkuppe, quert die geschichtsträchtige Milseburg und stößt dann in der Nähe von Tann auf den anderen Arm. Der folgt einem langen Höhenzug, von dem aus man bis tief ins bayerische und thüringische Hinterland blicken kann.

Die schönste Strecke führt vom Hotel Katzenstein, einem fein herausgeputzten ehemaligen Nazi- und dann Stasi-Heim, zum Gläserberg, auf dem die Dermbacher Hütte thront (nur sonntags geöffnet) und eine traumhafte Sicht in alle Himmelsrichtungen eröffnet. Immer wieder stößt der Wanderer auf dem Hochrhöner auf Berghütten, Gasthöfe und Hotels. Niemand muss hier lange darben oder dürsten.

Der Weg bietet Natur pur, seltene Tier- und Pflanzenarten. So flattern im schwarzen Moor und im wiedervernässten roten Moor seltene Insekten wie die arktische Smaragdlibelle oder Schmetterlinge wie der Hochmoorgelbling. Und im Frühjahr balzt auf der Hochrhön das scheue Birkhuhn. Durch die Laubwälder streifen Baummarder und die Wildkatze. Doch die bekommt so gut wie niemand zu Gesicht. Ein anderer rarer Waldbewohner lässt sich auf den Talwiesen öfter blicken: der Schwarzstorch. Rotmilane gibt es zu Dutzenden, auch der Feuersalamander fühlt sich hier wohl.

Die Rhön ist ein Hort der Ruhe und Einsamkeit. Wer die ausgewiesenen Extratouren einschlägt, trifft eher auf ein paar Rehe als auf Wandergesellen. Nur die touristischen „Höhe“-Punkte wie die Wasserkuppe mit Sommerrodelbahn, Segelflug und Skilift oder der Kreuzberg, dessen Franziskaner-Kloster mit süffigem dunklen Bier lockt, sind an Wochenenden überlaufen.

Wer die Rhön dann abends auch auf dem Teller schätzt, sollte nach Silberdisteln Ausschau halten. Wirte, die Regionales anbieten, schmücken sich mit ein bis drei Silberdisteln. Vor allem das Fleisch des Rhönschafs, einer eher schmächtigen Rasse, die durch ihren schwarzen Kopf auffällt, schmeichelt dem Gaumen – für Schäfer Dietmar Weckbach, auf dessen Hof man einige Hundert Rhönschafe bewundern und anfassen kann. „Napoleon hat’s schon gegessen, Napoleon hat’s geschmeckt“, weiß Weckbach. Und der Kaiser habe sofort eine Herde der Tiere nach Paris schicken lassen.

Erst in jüngster Zeit wurde das Rhönschaf von der Gastronomie wiederentdeckt, denn es hat kaum Fettanteile und schmeckt deswegen nie tranig. Die Kräuter der Bergwiesen, von den Schafen gern gefressen, geben dem Fleisch den würzigen Eigengeschmack. Dazu passt gut der Rhöner Apfel, wie ihn der Gasthof Zur Krone in der Lammpfanne mitschmort. Auf Streuobstwiesen haben mindestens 400 Apfelsorten den Zeiten der Supermarktmonotonie getrotzt. Manche sind sogar den Pomologen, den Apfel-Experten, nicht bekannt. Die Bäume zu erhalten und damit die Apfelvielfalt – saure, mehlige, süße, saftige, grüne, gelbe und rotbackige Äpfel –, das hatte sich Anfang der 90er Jahre die Rhöner Apfelinitiative vorgenommen.

Einer ihrer Initiatoren ist Gastwirt Hansjürgen Krenzer. Er baute gegen den Rat des Apfelweinverbandes eine kleine Kelterei. „Die haben gesagt: Mach es nicht. Aber eine Idee ist eigentlich immer nur dann eine gute Idee, wenn man dafür ausgelacht wird." Keiner lacht mehr, denn inzwischen lockt die Seifertser Schaukelterei zahlreiche Touristen an. Ausflugsgruppen probieren den Saft und die verschiedenen Apfelweinsorten, die Apfelbrände, den Apfelsherry. Auch andere, wie die Kelterei Elm, schätzen die Rhöner Bioäpfel, denn Streuobst bietet bessere Extrakte und Säurewerte als Plantagenäpfel. Anfangs sei das nicht so gut angekommen, sagt Besitzer Harald Elm. „Wenn Sie vor zehn Jahren als Bioverkäufer Bio verkaufen wollten, war’s im konventionellen Handel sehr schwierig. Mittlerweile suchen die Einkäufer händeringend nach solchen Produkten.“

Heute gibt es in der Rhön einen Streuobstlehrpfad, ein Apfel-Lokal, Apfelchips, Apfelsenf, Apfelgelees und sogar Bioapfelbier. Der Verbraucher, so zeigte die Marktforschung, verbindet mit dem Biosphärenreservat Gesundheit, Natürlichkeit und Reinheit. Auf den Etiketten von Rhön-Sprudel findet sich seitdem der Verweis „Aus dem Biosphärenreservat“. Selbst die Bionade, die in der Rhön produziert wird, trägt diesen Hinweis.

Bio macht Schule in der Rhön. Ein typisches Beispiel aus jüngster Zeit ist das Grünlandprojekt des Kreisbauernverbandes, das großflächige und extensive Beweidung fördern soll. Die Kühe bleiben gemeinsam mit den Kälbern das ganze Jahr über auf der Weide, selbst im Winter, der in der Rhön schon mal 20 Grad minus mit sich bringt. Der Wanderer staunt und freut sich, und auch den Tieren, so heißt es, tue es gut. Sie seien gesünder als ihre Artgenossen im Stall.

Die Natur profitiert ebenfalls, wenn auch in etwas anrüchiger Art und Weise. Es gibt in Deutschland ungefähr 70 Käferarten, die auf den Dung von Weidetieren spezialisiert sind. Projektleiter Eckhard Jedicke hat festgestellt, dass auf den Flächen, auf denen das Vieh ganzjährig draußen steht, besonders viele Käferarten herumkriechen. Resultat: „Wir haben eine artenreichere Vogelwelt, auch eine artenreichere Fledermausfauna.“ Und weil auf den großen Weideflächen das ganze Jahr über irgendwo ein paar Blumen blühen, gibt es auch mehr Schmetterlinge.

Eben das zeichnet ein Biosphärenreservat aus: ungewohnt bunte Vielfalt. Hoteliers wie Hans-Jürgen Krenzer, die mit der Schönheit der Natur werben, wissen: „Die Leute kommen ja nicht in erster Linie wegen des Begriffs Biosphärenreservat. Sie kommen wegen Rhönschafen und Äpfeln und all den Dingen, auf die wir uns spezialisiert haben.“ So oder so weist die Natur den Weg.

Johannes Kaiser

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