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Reise: „Im Dornröschenschlaf“

1990 entdeckte ein Bayer böhmische Dörfer. Seitdem führt er als Reiseveranstalter Gäste hin

Herr Aschenbrenner, schon kurz nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ haben Sie Touren nach Böhmen angeboten. Die Gegend war ziemlich unbekannt. Wenn es um Tschechien ging, haben viele lange nur an Prag gedacht. Warum hat gerade Böhmen solche Anziehungskraft auf Sie ausgeübt?

Ich bin in  dem kleinen bayerischen Dorf Lam aufgewachsen. Zwei Kilometer hinter der Gemeinde war die Grenze zu Tschechien. Als ich klein war, hat mein Großvater immer tolle Schmugglergeschichten erzählt, die im sagenhaften, reichen Böhmen spielten. Er sagte auch, dass die Natur dort wilder, das Bier besser und die Stimmung im Wirtshaus viel ausgelassener war als in Bayern. Aber dann wurde alles abgeriegelt, und ich habe diese Geschichten irgendwie vergessen. Als der „Eiserne Vorhang“ fiel, habe ich 1990 eine Tagesfahrt nach Prag gemacht. Das Schönste für mich war aber der Blick aus dem Busfenster, in den Böhmerwald. Im Sommer radelten meine Frau und ich über die Grenze zur Moldauquelle und den Fluss entlang bis Krumau. Wir sahen wunderschöne Landschaft und großartige Kulturdenkmäler, alles im tiefsten Dornröschenschlaf.

Und dann ging’s los?

Ich kümmerte mich als Kulturwissenschaftler beim Evangelischen Bildungswerk in Regensburg um Dritte-Welt-Arbeit. Da ging es auch um Fragen, wie und ob Tourismus bei der Entwicklung helfen könnte. Nach der Wende wollte ich dann unbedingt Reisen nach Böhmen anbieten. Das Evangelische Bildungswerk unterstützte mein Projekt. Es fing mit wenigen Fahrten im Jahr an und wurde größer und größer. Seit 1996 heißt es „Begegnung mit Böhmen“ und ist ein selbstständiges Unternehmen geworden.

Wie schwer war der Anfang, gab es überhaupt halbwegs gute Unterkünfte?

Mit Hilfe von einheimischen Bekannten konnte ich an Haustüren in den böhmischen Dörfern klopfen und fragen: „Haben Sie Betten?“ Denn Pensionen gab es nicht, und in die grauen Funktionärshotels wollte ich nicht. Statt eine Unterschrift für meine vorbereiteten Verträge zu bekommen, musste ich fast für jedes reservierte Zimmer einen Schnaps trinken. Es war ziemlich abenteuerlich – und es war wunderschön. Heute übernachten wir nicht mehr in Fünfbettzimmern mit Außenklo, sondern meist in bequemen Familienpensionen.

Am Anfang haben Sie alle Reisen selbst begleitet. Wie haben Sie die Gegenden zuvor entdeckt ?

Ich war der einzige Nachfrager nach Reiseleitern für kulturnahes Radeln und Wandern. Eine Studentin aus Frauenau hatte ihre Diplomarbeit über den Böhmerwald, die dort verbliebenen Deutschen usw. geschrieben. Sie hat mir beste Tipps gegeben. Jiri Franc und Egon Urmann, die ich anfangs eher zufällig kennenlernte, gehören heute noch zu unseren besten Reiseleitern und Experten der Böhmerwaldkultur. So viele Leute, die sich gut auskannten, gab es ja nicht.

Ist Böhmen noch immer Ihre Lieblingsdestination?

Ja, es liegt im wahrsten Sinne des Wortes am nächsten und hat trotzdem noch so viel Unentdecktes – böhmische Dörfer, die man erläutern kann. Andererseits ist es auch schwierig, denn die meisten Bewohner haben wenig Bezug zur Region, und Infrastruktur und Service sind ziemlich schlecht und oft nicht besonders freundlich (im Vergleich zu Mähren, Slowakei, Polen, Slowenien ...). Auch deswegen sind wir für die ländlichen Regionen von Böhmen vermutlich immer noch der einzige alternative Veranstalter mit einer Vielfalt an Aktiv- und Kulturreisen.

Vor vier, fünf Jahren habe ich selbst mal eine von Ihren Reisen mitgemacht. Es war eine „Rad-Wanderreise“ in Nordböhmen. Ich dachte damals, das wäre eine Tour, auf der man radelt und wandert. Tatsache war, dass man das Rad oft schieben musste, weil – im Wald – überhaupt kein Radweg vorhanden war. Nebenan, im Nationalpark Sächsische Schweiz, war das ganz anders. Alles irgendwie geordneter ...

Da hat Ihr Reiseleiter Jiri Rak wohl schwierige Wege ausgewählt. In der Böhmischen Schweiz kann einem das immer noch passieren. Aber im Böhmerwald ist es eher umgekehrt. Da ist es problematisch für Wanderer, weil im ehemaligen Niemandsland – wo wir sehr oft sind – die meisten Wege einst aus Grenzschutzgründen für die Jeeps asphaltiert wurden.

Inzwischen gibt es in Böhmen ja auch gute Radwege, es gibt Karten und GPS. Da könnten die Leute doch auch allein losziehen. Woran liegt’s, dass es wenige tun?

In den weniger touristischen Regionen gibt es Sprachprobleme. Und Unterkunftsprobleme: In der Hochsaison, im Winter wie im Sommer, sind die wenigen Unterkünfte dann belegt, und für Einzelreisende wird es schwer, ein Quartier zu bekommen. Selbst wir haben damit oft Probleme. Vor allem aber ist es ein großer Mehrwert, wenn die Kunden das Unbekannte vermittelt bekommen, Begegnungen stattfinden ...

Verreisen eigentlich auch Ostdeutsche mit Ihnen oder doch eher Westdeutsche?

Etwa zwanzig Prozent unserer Gäste kommen aus der ehemaligen DDR. Viele unserer liebsten Stammkunden sind aus Ostdeutschland. Sie sind oft besser auf das Land eingestellt, sie schauen mehr auf Begegnung als auf Komfort. Und genießen unser Konzept des kulturnahen Reisens.Das Gespräch führte Hella Kaiser

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