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Respekt vorm Abstieg. Fest angeseilt kann wenig passieren. Foto: picture-alliance

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Reise: Im Innern des ewigen Eises

Bevor der Schnee fällt: Eine Gletschertour im Pitztal lehrt Demut vor der Natur.

Es sind nur noch wenige Zentimeter, die den Fuß von dem Loch im Eis trennen. Der glatte Untergrund, das Wasser, das links an ihm vorbeifließt und in die Tiefe stürzt – niemand weiß, wie weit es dort hinabgeht. Bergführer Michael Walser gibt Anweisungen. Er steht ein paar Meter vom Loch entfernt und sichert mit einem blauen Kletterseil.

„Hände weg vom Seil! Und häng dich mit deinem ganzen Gewicht rein! Nach hinten lehnen!“ Nach hinten, das heißt dahin, wo es hinuntergeht in das Eis des Pitztaler Gletschers. Ein Schritt über die Kante, das Seil spannt sich. Hinab geht es in das Loch. Dieses ist eigentlich gar kein Loch, sondern eine sogenannte Gletschermühle, wie es sie hier auf dem Gletscher im Pitztal oft gibt. Das Schmelzwasser des Gletschers ist irgendwann nicht weitergekommen, aber weil Wasser nun mal immer weiter muss, hat es sich hier den Weg nach unten gesucht. Es hat sich tief ins Eis gefressen und die Mühle geformt.

Das uralte Eis ist im Pitztal leicht zugänglich, kein anstrengender Anstieg ist nötig, die Gletscherbahn fährt durch einen Tunnel im Berg direkt aus dem Tal nach oben. Im Winter bringt sie Wintersportler ins Skigebiet, im Sommer ermöglicht sie das Gletschererlebnis für alle, die einigermaßen fit sind.

Hier muss man kein erfahrener Alpinist sein, um das ewige Eis in knapp 3000 Metern Höhe zu sehen; von der Bergstation geht man nur eine halbe Stunde bis zum Rand des Gletschers. Es gibt Eissafaris, dabei läuft man mit Steigeisen über den Ferner, kann in Gletscherspalten blicken oder sich eben in eine Gletschermühle abseilen. „Das Tolle daran ist, dass die Leute eine Beziehung zum Gletscher aufbauen können“, sagt Michael Walser. „Wenn man von weitem drauf schaut, denkt man ja: ,Is halt Eis.‘ Aber wenn man ihn mal von innen sieht, bekommt man ein Gespür für das Eis.“

Eine halbe Stunde dauert es von der Station der Bahn bis zum Gletscher. Bis zum Gipfel des Mittagskogels ist es nur ein wenig weiter, wenn auch ein gutes Stück anstrengender. Aber von oben, aus 3162 Metern Höhe, hat man einen wunderbaren Blick über den gesamten Gletscher und das grüne Pitztal, den Geigenkamm, der es im Osten vom Ötztal trennt, und den Kaunergrat auf der anderen Seite.

Trotz aller modernen Aufstiegshilfen: Am besten schmeckt der Speck auf dem Gipfel immer noch, wenn man ihn ganz aus eigener Kraft erklommen hat. Und dass die Erschließung des Gebiets ein Eingriff in die Natur ist, kann man im Sommer sehr deutlich sehen: Gerade rattern auf dem Berg die Presslufthämmer, ein Hubschrauber transportiert Stahlträger, riesige Baufahrzeuge stehen vor dem Bergrestaurant – die Gondelbahn zum Brunnenkogel wird durch eine neue mit mehr Kapazität ersetzt. Und oben auf dem 3440 Meter hohen Gipfel entsteht das höchste Café Österreichs, geplante Eröffnung ist im Winter 2012/2013.

Aber die Welt hier oben verändert sich ohnehin. Die Gletscher schrumpfen rapide, vor allem in den Randbereichen. Besonders deutlich sehe man es an den Gletscherzungen, sagt Michael Walser. Um das den Besuchern vor Augen zu führen, zeigt er hinüber zur Mittelstation der Mittelbergbahn, die frei von jedem Eis auf harten Felsuntergrund gebaut ist. „Wo die Station jetzt steht, war vor 25 Jahren noch 20 Meter dickes Eis.“ In Ordnung ist die Welt hingegen noch im Riegetal, einem Seitenarm des Pitztals. Das Landschaftsschutzgebiet liegt oberhalb von Jerzens und ist geprägt von den Zirbenwäldern, die das Dorf seit seiner Entstehung vor Lawinen und Muren schützen. Knorrig und vom Wetter gezeichnet stehen sie da, bei nebligem Wetter verleihen sie der Landschaft etwas Mystisches.

Optisch haben Zirben eine gewisse Ähnlichkeit mit Kiefern, zu deren Gattung sie gehören. Aber sie haben eine Eigenschaft, die sie zu etwas Besonderem macht: „Wenn ich durch einen Zirbenwald wie den hier gehe, beruhigt mich das“, sagt Bergführer Helmut Lung. „Die Bäume wachsen sehr langsam, und es fühlt sich an, als würde sich diese Ruhe auf mich übertragen.“ Das ist kein esoterischer Firlefanz. Die beruhigende Wirkung der Bäume ist erwiesen. Eine wissenschaftliche Studie des Grazer Joanneum Research Institute ergab, dass die Zirbe Menschenherzen langsamer schlagen lässt. Wer in einem Bett aus Zirbenholz schläft, spart sich etwa 3500 Herzschläge pro Tag. Das entspricht ungefähr einer Stunde Arbeit, die das Herz weniger leisten muss – und die sich in einem Gefühl von Entspannung bemerkbar machen kann. Das liegt an den ätherischen Ölen, die in Holz, Harz und Nadeln der Zirbe enthalten sind.

Viele Einheimische machen aus der Zirbe Schnaps: Dazu werden frische, im Juni oder Juli geerntete Zirbenzapfen mit Zucker in Obstschnaps angesetzt. Ein Glas davon hat man sich auf jeden Fall verdient, wenn man aus den Gletschermühlen des Pitztaler Ferners wieder emporgeklettert ist. Christian Helten (dpa)

Christian Helten (dpa)

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