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Ökologisch korrekt. Doch nicht nur hier in Birma sind Fahrradrikschas Auslaufmodelle. Fahrer und Kunden favorisieren motorisierte Vehikel.

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Indonesien: Der Lärm der Zukunft

Fahrradrikschas prägten den Alltag in Asien. Doch mehr und mehr weichen sie Mopeds und Autos.

Seit über 45 Jahren tritt Tarmo in die Pedale. Seine Fahrradrikscha, in Indonesien Becak genannt, sichert ihm den bescheidenen Lebensunterhalt. Sie ist noch immer dieselbe, die ihm seinerzeit ein Onkel vorfinanziert hat. Zehn Monate hat es gedauert, bis er dem Verwandten das Geld zurückzahlen konnte. Seither transportiert er Gentlemen und Ganoven, Großfamilien und Korangelehrte, Schränke für einen Tischler und halbe Lastwagenladungen voller Gemüse für die Marktfrau von gegenüber. Er hat Arbeiter, Handwerker und die Besitzer berühmter Kampfhähne samt ihren besten Tieren zu den Arenen des kleinen Mannes gefahren, hat den Ertrag einer Woche auf den todsicheren Tipp gesetzt und natürlich verloren.

Manchmal nimmt sich Tarmo für ein, zwei Stunden eine Auszeit für ein Zwiegespräch mit Allah in einer Mushala, einer kleinen Moschee, wie es sie in Solo und überall auf Java gibt. Er fühlt sich danach gestärkt und sieht allenfalls seufzend den beiden dicken Kaufleuten entgegen, die sich gleich auf den zerschlissenen Sitz seiner Rikscha quetschen werden.

Tarmo, der Becak-Mann, ist in Solo unterwegs, einer Stadt auf der Insel Java, nördlich von Yogyakarta gelegen. Er gehört zu den Veteranen seiner Zunft, spricht nur wenige Worte Englisch und muss deshalb weitaus häufiger schwergewichtige Hausfrauen mit Kindern sowie Taschen und Tüten vom Markt mitnehmen als – für das Zehnfache des Tarifs – einen jungen Rucksacktouristen, der sich gern einmal um den Kraton, den alten Sultanspalast, kutschieren und dabei von seinen Freunden fotografieren lässt.

Ob Becaks in Indonesien, Cyclos in Vietnam, Rikschas in Indien, Bangladesch und Malaysia oder Trisikad auf den Philippinen, ob Vorder-, Hinter- oder Seitensitzer – die Ökotaxis des kleinen Mannes in Asien werden immer weniger. Aus dem Stadtbild von Jakarta, dem alten Batavia, sind sie schon längst verschwunden. Die Stadtverwaltung ließ, nachdem ein Verbot nichts genützt hatte, in den 1980er und 90er Jahren mehr als 100 000 Becaks in die Bucht vor der Megametropole werfen. Es ging ihnen um ein „sauberes, humanes und würdevolles Jakarta“. Seither stinken die Abgase der 20-Millionen-Stadt mehr denn je zum Himmel.

In den ländlichen Regionen des riesigen Inselreichs aber sind die Pedal-Spediteure nach wie vor im Einsatz. Auf Java sitzen die Becak-Passagiere mitsamt ihren Lasten vor dem Fahrer, auf Sumatra seitlich von ihm. Aber ihr Alltag ist noch schwerer geworden, als er es früher schon war. Von der großen Vergangenheit von Solo, der Stadt, die auch Surakarta genannt wird, leben allenfalls die Museen und ein paar Touristenführer.

Ohne Taxiradler bricht die Mikrowirtschaft zusammen

Die Konkurrenz ist groß: Allein in Solo sind mindestens 6000 Becaks unterwegs. Tarmos Freund Tattat, dreißig Jahre jünger, hat den Aufstieg geschafft, hat passables Englisch gelernt mithilfe eines alten Lehrbuches und einiger Rucksacktouristen. Tattat bietet jetzt sogar seine Dienste als „Guide“ an; er kennt zwar die Geschichte seiner Heimat nicht so gut, weiß aber, wo es das beste Nasi Goreng gibt und die feinsten Batiktücher. Dafür ist ihm der Dank der Kunden und natürlich eine Kommission der Händler gewiss.

Weltmetropole der Rikscha-Wallahs, wie die Taxiradler im indischen Sprachgebiet heißen, ist Dhaka, die Hauptstadt von Bangladesch. Mehr als 400 000 Rikschafahrer sitzen im Schichtdienst auf den oft zerfledderten Sätteln. Die Mikrowirtschaft der Metropole würde ohne sie zusammenbrechen. Sie transportieren alles: Stoffballen, große Körbe voller Obst und Gemüse, Handwerker, Familienclans auf dem Weg in die Moschee. Eine ganze Industrie hängt an ihnen: Werkstätten mit Tausenden von Mechanikern, Imbissstände und Unterkünfte für die meist bitterarmen Wallahs.

Auch in Vietnam transportieren die Cyclofahrer alles, jedenfalls mehr, als ihnen europäische Besucher zutrauen. Drei Erwachsene und vier Kinder sind vermutlich noch nicht Rekord, ganz zu schweigen von Großmöbeln oder Maschinenteilen.

Völlig aus der Zeit gefallen wirken dagegen die alten Männer, die am Fähranleger von Hongkong-Island auf Kunden warten. Sie machen sich aber in aller Regel nicht wirklich mit ihren Rikschas auf den Weg, sondern stehen als eher traurige Gestalten jenen Modell, die noch immer glauben, solche Rikschamänner würden, ähnlich wie Dschunken mit roten Segeln, ein Bild von Hongkong vermitteln. Rikschamänner „im Handbetrieb“, also ohne Fahrrad, gibt es in nennenswerter Zahl – einige zigtausend mögen es sein – nur noch in Kolkata, der Stadt, die unter ihrem alten Namen Kalkutta als Synonym für Elend galt.

In Solo auf Java ist Tarmos Freund Tattat, der clevere Guide, zum Ojekmann aufgestiegen, zum Motorradtaxifahrer. Auf seiner alten, aber gepflegten Honda befördert er manchmal so viele Fahrgäste wie Tarmo unter der löchrigen Plane über seiner Sitzbank. Die beiden sind Freunde, keine Konkurrenten. Es kommt vor, dass Tattat dem Alten eine Fuhre vermittelt, zumeist Touristen, die es ruhig angehen lassen wollen. Tarmo, der Becakmann, wird wohl noch ein paar Jahre strampeln müssen, bis er sich jeden Tag vor sein Haus setzen und mit den Nachbarn den nächsten Hahnenkampf diskutieren kann.

Treppenwitz der Verkehrsgeschichte: Während sich Asien der Vehikel zu entledigten sucht, die an die Kolonialzeit erinnern oder aus anderen Gründen nicht mehr ins Welt- und Straßenbild passen, erfreuen sich überall in Europa radelnde Touristentransporteure steigender Beliebtheit. Kaum eine Großstadt zwischen Kopenhagen und Rom, die nicht vergnügliche Velotrips und romantische Extratouren anbietet: Stadterkundungen, Hochzeits- und Mondscheinfahrten.

Bernd Schiller

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