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„Drie Gezusters“ am Grote Markt. Tagsüber geht es unter der Buntglasdecke ruhiger zu, abends tobt nicht selten der niederländische Bär.

© Wolfgnag Stelljes

Kneipen in Holland: Im Labyrinth der Bars

In der niederländischen Stadt Groningen wird die Nacht zum Tage gemacht. Das wissen auch deutsche Studenten zu schätzen.

Ein Donnerstagabend, kurz vor Mitternacht. Langsam kommt Leben in die gute Stube Groningens. In Grüppchen stehen junge Leute vor dem „Drie Gezusters“ am Grote Markt. Tagsüber sind die Terrassenstühle vor dem Haus beliebte Logenplätze im Groninger Straßentheater, jetzt lehnen sich die ersten Gäste an Theken, die sich selbst dann drehen, wenn man nichts getrunken hat. Das „Drie Gezusters“ gilt als größte Kneipe Europas. Doch was heißt hier schon Kneipe: Es ist ein Labyrinth von Bars, verteilt über vier Etagen. „In guten Nächten, so gegen halb zwei, drängen sich bis zu 4500 Menschen im Haus“, sagt Manager Sil Doeksen. Irgendwer muss die bis zu 20 000 Liter Bier, die hier pro Woche fließen, ja auch trinken.

Noch allerdings geht es ruhig zu. Der Türsteher, ein schwarz gewandeter Hüne, beobachtet die Szenerie. Unterwegs sind fast nur Studenten, denn donnerstags ist „Studentenavond“. Das Bier kostet dann in vielen Kneipen nur einen Euro, selten mehr als 1,50 Euro. Der akademische Nachwuchs kann sich also, bevor er am Freitag heimfährt, noch einmal preisbewusst die Kante geben. Studenten machen nicht viel Arbeit, sagt der Türsteher. Freitags und sonnabends habe er mehr zu tun, da müsse er auch schon mal jemanden rauswerfen. Es sind die Tage, an denen das Publikum jünger ist. Außerdem sind gerade an Sonnabenden unter den Gästen auch viele junge Leute aus dem Groninger Umland, mitunter geringschätzig „Boeren“ (Bauern) genannt.

Groningen ist eine sehr junge Stadt, jeder zweite der circa 190 000 Einwohner ist noch nicht 35. Kein Wunder bei gut 50 000 Studenten, darunter etwa 3000 Deutsche. Und Groningen gilt als eine der beliebtesten Uni-Städte in den Niederlanden, was nicht nur mit den Studien-, sondern auch mit den Lebensbedingungen zu tun hat. Eine Stadt mit weit mehr als 100 Kneipen und Diskotheken, eine Stadt ohne Polizeistunde – viel mehr kann der geneigte Nachtschwärmer eigentlich nicht erwarten. Man muss schon weit fahren, sehr weit, um eine ähnliche Dichte an Kneipen zu finden. Als „Epizentrum“ des Groninger Nachtlebens gilt die Poelestraat nur wenige Meter östlich vom Grote Markt. Früher befand sich hier die Poel, eine Tränke für Pferde, heute säumen zahlreiche Cafés den kleinen Platz.

Nur ist dieser Trubel sicher nicht jedermanns Sache. Wer es eine Nuance ruhiger wünscht, fühlt sich vermutlich in einer der Kneipen am Grote Kromme Elleboog oder auch am Gedempte Zuiderdiep deutlich besser aufgehoben. Es sind Kneipen, die sich seit ewigen Zeiten nicht verändert zu haben scheinen, doch genau das ist mitunter Prinzip und sichert ein treues Stammpublikum. Das Interieur ist meist aus dunklem Holz, und die Bierauswahl groß. Das „Dinercafé Soestdijk“ gehört zu diesen Kneipen und auch das „Café de Oude Wacht“. Architekturfreunde haben, wenn sie in einer lauen Sommernacht vor diesen Cafés sitzen und den Kopf in den Nacken legen, ihre wahre Freude: Die strengen Linien der Amsterdamer Schule, stilprägend im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts, gliedern die Fassade.

Die beiden Etablissements sind auch gute Beispiele dafür, dass vieles nicht ganz trennscharf ist. Manches heißt Café und ist doch eine Kneipe, anderes heißt Eetcafé und ist ein Restaurant. Oder irgendwas dazwischen. Das „Eetcafé Roezemoes“ zum Beispiel. Dieser alte Pub am Gedempte Zuiderdiep hat sich vor allem mit Stamppot einen Namen gemacht, einem typisch holländischen Eintopf, wahlweise mit Frikadelle, Rauchwurst oder vegetarischem Soja-Knödel. Ein weiterer Klassiker ist die Groninger Reistafel: ein Bohnengericht mit Schinkenspeck, gehackter Zwiebel, Gurken und Apfelmus. Kurzum: Hausmannskost, Marke deftig. Und für Groninger Verhältnisse richtig große Portionen.

Im Rotlichtviertel sammeln sich die Heavy-Metal-Fans

Waagstraat Komplex. Das Goldprüfungsamt von 1635 – ganz modern.
Waagstraat Komplex. Das Goldprüfungsamt von 1635 – ganz modern.

© Wolfgang Stelljes

Im Grunde genommen lautet das Motto für einen gelungenen Groningen-Abend: Man genieße zunächst ein anständiges Mahl – auch die fernöstliche Küche ist gut vertreten – und gehe dann von einer Vergnügungsstätte zur nächsten, was erleichtert wird durch die Tatsache, dass nur selten Eintritt erhoben wird. Wer genau weiß, wonach ihm der Sinn steht, auch musikalisch gesehen, kann sich natürlich auch gezielt ins Nachtleben stürzen. Funkfans schätzen das „Café Buckshot“, Jazzfreunde kommen im „De Spieghel“ auf ihre Kosten, Trendsetter oder Menschen, die sich dafür halten, favorisieren das „News Café“ oder das „&zo“.

Ins Rotlichtviertel am Noorderhaven muss, wer härtere Töne mag. In der „Benzinebar“ sammelt sich die Gemeinde der Heavy-Metal-Fans. Früher ging hier das Personal der Innenstadtkneipen nach Dienstschluss noch einen Absacker trinken. Heute sind die Öffnungszeiten deutlich eingeschränkt: Von Sonntag bis Freitag ist Ruhetag. Paul de Boer, der seit über drei Jahrzehnten mit der Kneipe verwachsen ist, steht also nur am Sonnabend hinter der Theke. Kurz vor Mitternacht stellt er das Bier kalt.

Paul de Boer.
Paul de Boer.

© Wolfgang Stelljes

Und dann gibt es ja auch immer noch das „Vera“ in der Oosterstraat, der Club für Underground-Musik, früher mit Bands wie U2 und Nirvana. Die alten Plakate schmücken heute noch den Backstage-Bereich. Wer im „Vera“ die Steintreppe zum kleinen Gewölbekeller hinabsteigt, dem schlagen Hitze und oft auch Schweißgeruch entgegen. Um es euphemistisch zu sagen: Hier wird noch ehrliche Rockmusik mit der Hand gemacht. Ein Großteil der Arbeit an Kasse, Garderobe, Bar und Technik wird von Freiwilligen erledigt, rund 200 sollen es sein. Der Eintritt ist ausnahmsweise mal nicht frei, aber für einen Euro bekommt man auch gleich eine Art Monatskarte.

Ähnlich traditionsreich ist das „Huize de Maas“ am Fischmarkt. Ältere Groninger erinnern sich an Orchestermusik und gepflegten Paartanz, aber auch daran, dass spätestens um zwei Uhr Schluss war. Irgendwann wurde der Andrang in der Stadt dann so groß, dass man sich entschloss, die Sperrstunde aufzuheben.

An diesem Donnerstagabend vergnügen sich im „Huize de Maas“ angehende Biomediziner aus aller Herren Länder. Tagsüber haben sie Forschungsergebnisse diskutiert, nun feiern sie ihre Abschiedsfete. Irgendwann, so gegen fünf Uhr vielleicht, werden sie zusammenräumen. Dann macht auch der Türsteher vor dem „Drie Gezusters“ Feierabend. Ein paar Stunden später füllen sich vor der Uni schon wieder die Fahrradständer. Und in der Cafeteria klappen die ersten Studenten ihre Laptops auf.

Wolfgang Stelljes

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