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© ddp

Kopenhagen: Tschüs, schöne Nixe

Was für ein Schicksal, welch eine Frau! Seit sie 1913 ins Licht der Welt trat, trotzt sie selbstbewusst und hüllenlos den Stürmen des Öresund wie den Blicken von Millionen. Die Meerjungfrau zieht um – nach Schanghai.

Man hat ihr Büstenhalter und rotes Haar verpasst, sie weiß besprüht und rot bepinselt, und 1984 holte sich einer, in zweifellos kannibalistischer Absicht, ihren rechten Arm. Ein andermal versuchte man sie im Hafenbecken zu ertränken und zweimal beraubte man sie gar ihres Kopfes. Doch jede dieser Prüfungen war für sie wie ein Jungbrunnen. Frisch wie ein junger Morgen stieg sie daraus hervor, und noch immer ist sie bestens in Form, noch immer eine Augenweide: Den lille Havefrue, die kleine Meerjungfrau von Kopenhagen, schöne Nixe aus dem Märchen von Hans Christian Andersen, die aus Liebe zu einem Prinzen Menschengestalt annahm.

Nie aber, darauf konnten Nachbarn, Liebhaber und Freundinnen vertrauen, nie verließ sie für längere Zeit ihren angestammten Platz auf dem Felsen an der Langelinie. Seit 1913, als der Bildhauer Edvard Eriksen sie nach dem Bild seiner Frau Eline schuf, 96 Jahre also schon, hält sie ihrer Stadt unverbrüchlich die Treue.

Damit hat es jetzt ein Ende. Am 25. März wird die dienstälteste Bronzenackte der Welt hochgehoben, warm eingepackt und nach Shanghai transportiert. Dort schmückt sie bis zum Oktober den dänischen Pavillon der Weltausstellung 2010. Sie thront in einem Becken mit Wasser aus Kopenhagen, und wenn es einen der chinesischen Besucher, die Andersens Märchen ja über alles lieben, danach gelüstet, zu ihr in die Wellen zu steigen, ist dies angeblich kein Problem.

Die Kopenhagener, die sich nur mit knapper Mehrheit dafür entschieden haben, ihr ehernes Fräulein ziehen zu lassen, erhalten Ersatz. Im Vergnügungspark Tivoli wird eine Replik der Statue aus dem Besitz der Erben des Künstlers ausgestellt.

Und so könnten eigentlich alle zufrieden sein. Die Dänen, weil sie dem großen, großen Handelsbruder zeigen, wie sehr sie ihn doch wertschätzen: eine brave Nackte statt böser Karikaturen. Die Besucher, weil sie sich ein paar hundert Meter Fußweg hinaus zur Langelinie sparen. Und vor allem die Tivoli-Betreiber, weil sie fast 13 Euro Eintritt kassieren für etwas, was man sich fast ein Jahrhundert lang kostenlos ansehen durfte.

An die Kleine da drüben aber denkt offenbar niemand. Stoisch wird sie wieder alles über sich ergehen lassen: die überhitzte Halle, das viel zu warme Wasser, geschätzte 70 Millionen glotzende Besucher, die fremden Verehrer, die ihr viel zu nahe auf die Schuppen und den Fischschwanz rücken. So allein, so fern von grünspanigen Dächern, Poelser-Wagen und Soldaten in Bärenfellmützen. Bloß nicht unterkriegen lassen, kleine Frau! Im Dezember sehen wir uns wieder, bei einem Hotdog und einer kühlen Flasche Tuborg am Öresund – wenn du bis dahin nicht gestorben bist. Franz Lerchenmüller

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