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Dschungel-Souvenirs. Die Emberá im beinah unzugänglichen Grenzgebiet zwischen Panama und Kolumbien bieten Kunsthandwerk an.

© mauritius/Alamy

Kreuzfahrt: Weisheit aus der Kalebasse

An Bord der "Silver Explorer" durch Südamerika erleben Passagiere die Wunder der Natur - und werden klug beim Ausflug in den Dschungel.

Mary und ihr Mann stehen an der Reling, sie sind völlig aus der Häuschen: „Wir sind vom Glück geküsst, Roger!“ Die beiden Ruheständler aus Florida sind auf Südamerika-Kreuzfahrt.

Atemberaubendes wie die Hauptstadt des präkolumbianischen Chimú-Reiches, Chan Chan, liegt mit der peruanischen Küste bereits hinter ihnen. Doch ein weiterer Glücksmoment dieser Reise mit der „Silver Explorer“ kündigt sich weit draußen auf dem Pazifik mit einem lauten Quieken an. Dort, direkt vor uns, wo das Wasser so aufgewühlt ist, springen sie jetzt: Delfine. Ein, zwei, drei. Dutzende. Nein, es sind tatsächlich noch mehr! Mary und Roger hören auf, die Tiere zu zählen.

Wie aus dem Nichts sind sie aufgetaucht. Wie schön sie aussehen. Glänzend perlt das Wasser von den eleganten Meeressäugern ab. Sie sind auf Fischzug. Mehrere Delfinschulen haben sich offenbar zusammengeschlossen.

„Es müssen um die 1000 Tiere sein“, sagt Meeresbiologe Robert Lehmann aus dem Expeditionsteam. Spektakulär! Begleitet werden die Delfine von Hunderten von Blaufußtölpeln. Sie schauen sich die lebendige Wasserwalze aus der Luft an: Die fliegende Eskorte wartet auf Beifang.

Kapitän Adam Boczek dreht bei. Jeder Passagier, jedes Crewmitglied soll an diesem Naturschauspiel teilhaben. Die Armada aus grauen Leibern strebt weg von der Küste Perus, immer weiter hinaus auf den Pazifik, der Beute folgend. Schließlich wenden wir, nehmen erneut Kurs in Richtung Panamakanal.

Schon weit vor den „Islas de la Caca“ riecht es würzig

Ein Schiff zu betreten heißt, die gewohnte Welt zu verlassen. Das war uns gleich in Lima klar geworden, zu Beginn dieser Reise: Wir werden mit allen Sinnen eintauchen in Refugien der Natur. Auch, wenn es an den ersten Tagen zum Himmel stinkt. Wir machen nämlich jeder größeren Guano-Insel vor der Küste Perus unsere Aufwartung. Dafür dürfen wir in große Schlauchboote (Zodiacs) umsteigen. Kaum in Fahrt, riechen wir, was auf uns zukommt. Schwefeldämpfe, wie wir sie von Vulkaninseln kennen, sind nichts gegen diesen wundervollen Dünger mit dem ach so würzigen Geruch.

Guano war und ist eine der Haupteinnahmequellen Perus, das von dem stinkenden Gärtnerglück mehr exportiert als Chile oder Namibia. Erzeugt wird das kostbare Gut von Seevögeln – von Peru-Kormoranen, Blaufußtölpeln und Pelikanen.

Die Guano-Inseln vor der peruanischen Küste werden treffend „Islas de la Caca“ genannt. Wenn die Vögel nach der Brut weiterziehen, bleibt ihr weißes Gold zurück. Und die zahllosen Seelöwen. Die Guano-Inseln gehören zu den Naturschutzgebieten, in der Menschen nur zeitweise etwas zu suchen haben – wenn der Guano von den Felsen zusammengekratzt wird. Die Schmutzarbeit ist begehrt, weil gut bezahlt. Die mit Guano gefüllten Säcke werden auf hölzerne Plattformen getürmt, mit Flaschenzügen auf Schuten verladen und schließlich an Land verarbeitet.

Spaßvögel. Blaufußtölpel sind unverwechselbar.
Spaßvögel. Blaufußtölpel sind unverwechselbar.

© Reinhart Bünger

Bei dieser Luftfeuchtigkeit trocknet selbst an Deck nichts richtig

Auf der Fahrt zurück zum Schiff stellen wir fest, dass wir selber Teil dieses Kleckerkosmos geworden sind. Nicht nur die schwarzen Zodiacs sind nun mit weißen Malen übersät, auch einige von uns sind nicht verschont geblieben ... In frischer Kleidung nach dem Duschen werfen wir einen Blick zurück – und bereuen nichts. Näher konnten wir unserem Rosendünger und den blaufüßigen Spaßvögeln, die zum Brüten in den Exkrementen ihrer Vorgänger nisten, nicht kommen.

Zurück in der Zivilisation: Die „Silver Explorer“ ist vor allem für amerikanische Gäste ausgelegt. Bordsprache ist Englisch, und es gibt Waschmaschinenstationen in jedem Kabinengang, zum Glück auch Trockner. Denn bei der in diesen Breiten herrschenden Luftfeuchtigkeit trocknet selbst an Deck nichts richtig.

Der Mahi Mahi stammt vom "nackten Mann" im Hafen

Die Silver Explorer vor Anker in der Cambridge Bay.
Die Silver Explorer vor Anker in der Cambridge Bay.

© promo

Zum Service gehören Kabinenbutler. „Wie geht es Ihnen heute Morgen, Mister Miller? Hatten Sie schon ausreichend Zeit, nichts zu tun?“ Die Servicekräfte der 120-köpfigen Crew können jeden der 132 Passagiere von Beginn an mit Namen ansprechen. Kulturell interessierte Reisende werden hochprofessionell von Bio- und Geologen auf die Landausflüge vorbereitet und können ihre Erlebnisse hinterher mit den Fachleuten besprechen. Dafür ist ein zehnköpfiges Exkursionsteam an Bord, zu dem auch Meereswissenschaftler und Archäologen zählen. Künstler zur Bespaßung des Publikums reisen nicht mit.

„Wir gehen nicht wegen irgendwelcher Tänzerinnen an Bord eines Kreuzfahrtschiffes oder weil es ein Kasino gibt“, erzählen Mary und Roger. Die beiden Amerikaner haben ihr IT-Unternehmen verkauft und frönen nun ihrem Hobby: Reisen. „Uns geht es auch nicht um die Größe der Kabinen, ums Shoppen oder um Champagner bis zum Abwinken.“ Sie haben mit Kathy und Brian aus North Carolina beim Dinner Gleichgesinnte gefunden. Zufällig, denn die Platzwahl bei den Mahlzeiten ist frei.

Eben kommt Christian an unseren Tisch. „Na, wie wär’s hiermit?“, fragt der Chef de Cuisine und zeigt uns seinen jüngsten Fang. Hat er den eineinhalb Meter langen Fisch auf dem Markt in Manta gekauft, der Werftenstadt in Ecuador, die wir am Vormittag angelaufen haben? „Nein, nein, diesen Mahi Mahi haben wir gleich vom ,nackten Mann‘ gekauft.“ Christian meint die Fischer im Hafen. „Die hatten gerade geangelt“, sagt der deutsche Küchenchef. Er mustert übrigens bald ab. In Deutschland hat er sich eine Kneipe gekauft.

Nur wenige Touristen dürfen den Darién-Dschungel besuchen

Die Tropen rücken näher: Luftfeuchtigkeit 87 Prozent. Und bei 27 Grad Celsius Außentemperatur laufen die Kühlaggregate an Bord auf Hochtouren. Am Frühstücksbüfett ist Selbstbedienung erst mal abgeschafft. Einige Passagiere klagen über Unwohlsein, müssen gar den Schiffsarzt aufsuchen. Das Personal serviert derweil in Handschuhen, eine Vorsichtsmaßnahme, wie auch das noch intensiver als zuvor stattfindende Reinigen von Türgriffen und Handläufen.

Vor dem letzten Ziel unserer Reise, der Fahrt durch den Panamakanal, steht ein Ausflug in den Dschungel auf dem Programm. Aufbruch um 5 Uhr 45. Was nimmt man nicht alles auf sich, um zu den knapp 1000 Touristen zu gehören, die jährlich im sogenannten Darién Gap die dort geschützt lebenden Indianer besuchen dürfen.

Wir Zivilisationsmüden sind mit Gelbfieberimpfung und Insektenmittel von Kopf bis Fuß gegen Unerfreuliches gewappnet. Der Tapón del Darién ist ein circa 100 Kilometer langes, straßenloses Dschungelgebiet an der Grenze zwischen Panama und Kolumbien. Hier fehlt ein Stück in der Panamericana, der Straße, die Nord- mit Südamerika verbindet. Die Passagiere sind voller Vorfreude.

Überall schwirrt und zirpt es

Kaum ist unser Schiff an der Mündung des Moque River vor Anker gegangen, schon macht ein überdimensionierter Einbaum mit Außenbordmotor längsseits fest. Eine etwas wackelige Angelegenheit. Ob die Pfütze auf dem Holzboden wirklich Regenwasser ist? Keine Zeit für irgendwelche Gedankenspiele, es geht los.

Nach 20 Minuten biegen wir in einen Flusslauf ab. Mangroven säumen die Ufer. Überall schwirrt und zirpt es, Kolibris allenthalben, der Wind weht angenehm leicht, Mücken surren. Habichte und Reiher beäugen uns aus hoher Warte. Viel Zeit haben wir nicht für den Besuch bei den Emberá. Denn bei Ebbe verwandelt sich der Moque River rasch in einen Sumpf. Aus dem Schlamassel würden wir erst nach Stunden wieder herauskommen, wären zudem Affen und Jaguaren hilflos ausgeliefert. Von bunten Aras und Vierbeinern ist vorerst nichts zu sehen. Der Regenwald ist einfach zu dicht.

Ein Modelldorf mitten im Urwald

Garcilaso ist der Dorfvorsteher der Emberá.
Garcilaso ist der Dorfvorsteher der Emberá.

© Reinhart Bünger

Unvermittelt sind wir am Ziel. Offenbar nicht unangekündigt. Begrüßt werden wir mit rhythmischen Klängen traditioneller Instrumente wie Trommeln, Bambusflöten und rasselnden Maracas. Die Männer tragen Guayuco, eine Art bunten Lendenschurz; die Frauen haben sich farbige Tücher um die Hüften geschlungen. Sie tanzen rhythmisch, die Oberkörper leicht vorgebeugt. In ihrem Dorf aus Pfahlbauten, den Chozas, bieten sie Kunsthandwerk an. Der Kalebassenbaum liefert das Material für Löffel, Becher und Schalen.

Tja, ein Modelldorf mitten im Urwald. Mit Telefonzelle. Und Paramilitärs. Sie sollen Grenzgängern zwischen Mittel- und Südamerika auf die Spur kommen, die Drogen schmuggeln.

Eine Telefonzelle gibt es - aber keinen Lehrer
Eine Telefonzelle gibt es - aber keinen Lehrer

© Reinhart Bünger

„Wir haben zwei große Probleme“, sagt Garcilaso, der Dorfvorsteher der Emberá. Der Wasserfilter des Tanks, in dem sie das Wasser aus der Quelle auffangen, sei defekt. Der Staat Panama schaffe es einfach nicht, Ersatz herzubringen – eine Gesundheitsgefahr für die 103-köpfige Gemeinschaft.

Das Tidewasser läuft ab - wir müssen los

Der 54-jährige Schamane vermisst auch einen Lehrer, der neue Technologien an der Dorfschule unterrichtet. Die Stelle sei unbesetzt, und natürlich wolle die Dorfjugend wissen, was es mit dem Internet auf sich hat. Nach der Pubertät verließen die Jüngeren meist das Dorf, klagt er. Das ist unser Stichwort: Wir müssen los. Das Tidewasser läuft ab. Die Bootsführer nehmen lange Stangen zu Hilfe, stoßen von kleinen Sandbänken ab, damit wir auf der Rückfahrt nicht auflaufen. Gegen Mittag liegt der Darién Jungle wieder hinter uns, das größte Hindernis beim Bau des Panamakanals vor mehr als 100 Jahren.

Am nächsten Morgen erahnen wir im Morgennebel die Hochhäuser von Panama City. Dutzende Containerschiffe und Stückgutfrachter warten auf die Passage. Vor der Durchfahrt signalisieren rote und grüne Bojen, wo es zur Karibik geht. Wie zum Abschied überfliegen Pelikane unser Schiff. An Steuerbord schaukelt die „Delfin XX“ den Lotsen für die Fahrt durch den Panamakanal heran. Aber das ist eine andere Geschichte.

Tipps für Südamerika-Kreuzfahrten: Wissenschaftliche Vorträge statt Animation

DAS FAHRTGEBIET

Schiffsreisen zum südamerikanischen Kontinent gewinnen seit einigen Jahren an Beliebtheit. Oft verbunden auch mit Reisen in die Antarktis, nach Galapagos oder der Osterinsel, denn schließlich soll sich die weite Anreise auch lohnen. Die meisten Seereisen in der Region haben Expeditionscharakter, was nicht bedeutet, dass Passagiere auf den bei Kreuzfahrten üblichen Komfort verzichten müssen. Doch statt rummeliger Animation stehen an Bord und bei Exkursionen Vorträge sowie wissenschaftliche Begleitung im Vordergrund.

BEISPIELREISEN

Eine mit 30 Tagen eher ungewöhnlich lange Reise bietet der Kölner Veranstalter Phoenix Reisen mit der „Albatros“ an. Auf dem 1973 in Dienst gestellten, zuletzt 2013 renovierten Schiff, finden maximal 830 Passagiere Platz. Die Route: von Peru über Ecuador, durch den Panamakanal und die Karibik zu den Azoren und nach Großbritannien bis Bremerhaven. Termin: 31. März bis 29. April 2016; Preis: ab 4199 Euro (Innenkabine), inklusive Flug.

Die in unserer Reportage beschriebene achttägige Reise mit der „Silver Explorer“ findet in umgekehrter Richtung (von Panama nach Ecuador) im kommenden Oktober statt. Zu dem Termin sind jedoch nur noch Suiten ab 6450 Euro pro Person buchbar. Im Oktober 2016 gibt es die gleiche Reise ab 3850 Euro (jeweils ohne Flug).

AUSKUNFT

Beratung im Reisebüro ist bei allen Törns empfehlenswert.

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