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Landkarten: Wie Cäsar nach Gallien fand

Viele Jahrhunderte waren Landkarten wertvolle Schätze – und streng geheim. Die faszinierendsten entstanden auf Pergament.

Achtlos liegen Straßenatlanten heute auf der Hutablage von Autos – kartografische Massenware, die obendrein durch satellitengestützte Routenplaner verdrängt wird. Doch viele Jahrhunderte lang waren brauchbare See- und Landkarten wertvolle Schätze – und oft streng geheim. Im Römischen Reich etwa war Privatleuten der Besitz von Landkarten untersagt – sie galten als Herrschaftswissen. Zum Glück gab es noch keine Autos.

Für Entdecker wie Magellan (circa 1480 bis 1521) oder den arabischen Weltreisenden Ibn Battuta (1304 bis circa 1377) war es nicht nur ungemein nützlich, zu wissen, wo ungefähr sie sich gerade aufhielten. „Das war für sie lebenswichtig, denn wenn sie den Weg nicht mehr zurückfanden, waren sie verloren“, sagt Peter Mesenburg, Professor für Kartografie an der Uni Duisburg-Essen.

Allerdings wussten Kundige schon in der Antike, dass es unmöglich ist, die kugelige Erde realitätsgetreu auf ebenen Karten abzubilden. „Es gibt keine einzige Karte, die nicht verzerrt wäre“, sagt Mesenburg. Einzig auf einem Globus lässt sich die Erde verzerrungsfrei darstellen. Wählen lassen sich nur Art und Ausmaß des Abbildungsfehlers.

Als Cäsar nach 58 vor Christus Gallien eroberte, brauchte er weder metergenaue Karten noch einen Kompass – beides ohnehin damals noch für lange Zeit Zukunftsmusik. Wenn der Feldherr Tagesmärsche machen ließ, dürfte er jedoch ungefähr gewusst haben, wie weit und in welche Richtung er gehen musste und am Ende gegangen war. In unbekanntem Gelände bediente er sich dazu vermutlich Ortskundiger; in bekannterem Terrain nutzte er Wegbeschreibungen, sogenannte Itinerare, die auf Erfahrungswissen gründeten. Das waren Kombinationen aus Reiseberichten und Skizzen des Routenverlaufs, gewürzt mit Merkwürdigkeiten und Gefahrenpunkten am Wegesrand – im Prinzip einer Skizze ähnlich, mit der noch heute Ortsfremden der Weg zur nächsten Tankstelle aufgemalt wird. Häufig benutzte Wege versahen die Römer später mit Meilensteinen und Wegweisern.

Mit dem Mittelalter und der dogmatischen Dominanz der Kirche ging in Europa sehr viel kartografisches Wissen verloren. Viele buchstäblich wegweisenden Werke griechischer oder arabischer Geografen und Weltreisender drangen nach der Spaltung des Römischen Reiches gegen Ende des fünften Jahrhunderts nach Christus nicht mehr in den weströmischen Teil durch. Oder sie durften von Mönchen nicht mehr archiviert und durch wiederholtes Abschreiben vor dem Zerfall gerettet werden. Die Kirche war weniger an einem treffenden Bild der Welt als an einem ideologisch trefflichen Weltbild interessiert. Und so wurde, wie der US-Historiker Daniel Boorstin findet, die Kartografie des Mittelalters zum „Mischmasch aus Fantasie und Dogma“.

Das sieht man auch der berühmten Ebstorfer Weltkarte an. Gezeichnet um 1234, ist sie die älteste fast sicher datierte deutsche Weltdarstellung. „Sie ist aber keine Karte in dem Sinne, wie wir sie kennen, sondern sollte ein christliches Weltbild vermitteln“, sagt Peter Mesenburg. So liegt im Zentrum der kreisrunden, fast 13 Quadratmeter großen Karte Jerusalem. Auf der orientierten, also nach Osten und damit ins vermeintliche Paradies gerichteten Darstellung sieht man oben das Haupt Christi, rechts und links am Kartenrand dessen Hände und unten die Füße. „Jesus umfasst gewissermaßen das christliche Weltbild“, beschreibt es der Essener Geodät.

Mit Gebilden der Fantasie, bereichert durch allerlei Ungetier und kuriose einfüßige Menschen in fernen Weltgegenden, ließ sich zwar durchaus Staat machen – unbekannte Staaten finden konnte man mit ihnen nicht. Vor allem Seefahrern war damit nicht geholfen. Da ihre Not, sich im eintönigen Meer zurechtzufinden, schon immer groß gewesen war, entstanden auf Schiffen auch die genauesten Karten. Zudem ist es anfangs leichter, eine Küste von See aus zu vermessen und erst später, bei Landgängen, Details zu verzeichnen.

Zum Meilenstein in der Kartografie wurden die sogenannten Portolane, Peter Mesenburg zufolge „die faszinierendsten Karten des Mittelalters“. Die „technischen Meisterleistungen“ waren die ersten richtigen Gebrauchskarten in dem Sinne, dass man nach ihnen wirklich navigieren konnte. Die älteste bekannte Portolan-Karte stammt von 1290, gezeichnet wurden sie bis ins späte 17. Jahrhundert. Vor allem auf Pergament, also ungegerbte Ziegen- oder Schafhaut.

Portolane stellten im Wesentlichen das Mittelmeer und das Schwarze Meer dar. Die Umrisse der Kontinente zeigten sie sehr genau. Hafenorte tauchen mit senkrecht zur Küste geschriebenen Namen auf, und nach diesen Häfen ist auch der Kartentyp benannt (lat. portus, Hafen). Doch das Erstaunlichste an ihnen: Sie bilden die Erdoberfläche winkeltreu ab. Steuerleute konnten die einzuschlagende Richtung von der Karte quasi abgreifen und unverändert bis zum Zielpunkt verfolgen.

Mit der Zeit wurden die Portolan-Seekarten immer besser. „Einmal gefahrene Routen werden von den Navigatoren auf den Pergamenten bestätigt, korrigiert oder ergänzt“, beschreibt Gerald Sammet das pragmatische Herantasten an die Wirklichkeit in seinem inzwischen leider vergriffenen „Geo“-Buch zur Geschichte der Kartografie „Der vermessene Planet“.

Unerlässliche Helfer der Steuerleute waren Instrumente: Mit dem Jakobstab oder Gradstock (arabisch „kamal“), einem Winkelmessinstrument aus einem Holzstab und beweglichen Querhölzern, ließ sich die Höhe von Fixsternen ermitteln. Beim Polarstern „entspricht sie in etwa der geografischen Breite“, sagt Mesenburg. Standard an Bord war auch die Sanduhr. Errechnete man halbwegs treffend die mittlere Geschwindigkeit des Schiffes, ließ sich mit ihr ungefähr bestimmen, wie weit man vorangekommen war.

Ab dem 17. Jahrhundert behalfen sich Seeleute beim Tempomessen, indem sie ein Holzscheit (englisch Log, daher auch „Logbuch“) ins Wasser warfen, an dem eine Leine befestigt war. Alle sieben Meter befanden sich daran Knoten. Der Seemann zählte nun, wie viele Knoten ihm durch die Hände glitten, während eine üblicherweise rund 14 Sekunden lang rieselnde Sanduhr ablief. Bei zwei gefühlten Knoten fuhr das Schiff zwei Knoten schnell, also zwei Seemeilen pro Stunde.

Und heute? Im Zeitalter von Aufklärungsflugzeugen mit Hochleistungskameras und Satelliten mit Laserscanner und Radarsensoren gibt es keine echten weißen Flecken mehr auf der Erde – wohl aber noch welche auf Landkarten. Als Beispiele nennt Manfred Weisensee, Geodät an der Fachhochschule Oldenburg, felsige Gebirgsregionen wie in den Anden Südamerikas. Unbekannt sind die Gegenden aber nur in dem Sinne, dass die Höhenlinien und die genaue Topografie, also etwa der Verlauf von Bächen noch nicht in detaillierten Karten festgehalten worden ist.

Davon abgesehen, ist es heute „nicht mehr nötig, eine Kompass-Rosette oder ein Seeungeheuer auf Karten zu platzieren, nur weil einem von der betreffenden Stelle geografische Informationen fehlen“, sagt Weißensee. Eher schon wird Bekanntes vertuscht – etwa ein Waffendepot der Bundeswehr, das sich auf Landkarten als harmloses Waldstück ausgibt.

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