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Borneo

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Malaysia: Die Purzelbäume der Orang-Utans

Dschungel wie im Bilderbuch: Natur und Artenvielfalt sind einzigartig in den ostmalaysischen Bundesstaaten Sarawak und Sabah. Für Öko-Touristen sind die Naturschutzgebiete der ostmalaysischen Bundesstaaten Sarawak und Sabah ein Glücksfall.

Unter den Tragflächen breiten sich die sattgrünen Regenwälder Borneos aus – bis zum Horizont. Träge wie sattgefressene Pythons schlängeln sich gelbschlammige Flüsse der Küste entgegen. Die drittgrößte Insel der Welt, zu einem Drittel zu Malaysia gehörig, liefert schwindelerregende Kontraste zu den Glitzerwelten der Hauptstadt Kuala Lumpur. Und Borneo ist wild. So wild, dass immer noch unbekannte Kreaturen unter dem Blätterbaldachin der bis zu 60 Meter hohen Urwaldriesen entdeckt werden. Vor kurzem erst tapste Zoologen eine mysteriöse Fuchskatze in die Fotofalle, wenig später tauchte aus dem Urwald eine ganze Herde äußerst seltener Nashörner auf.

Für Öko-Touristen sind die Naturschutzgebiete der ostmalaysischen Bundesstaaten Sarawak und Sabah ein Glücksfall. Die streng geschützten Orang-Utans lassen sich gleich in mehreren Zentren auf „semifreier“ Wildbahn beobachten. Etwa im Semengok Orang-Utan Sanctuary, rund 50 Kilometer südlich von Kuching, der Hauptstadt Sarawaks. In dem mehr als 600 Hektar großen Reservat leben noch 40 „Bewohner des Waldes“, wie die Affen in wörtlicher Übersetzung heißen. Auf Borneo und Sumatra soll es insgesamt noch 15 000 Orangs geben, davon allein 3000 in den undurchdringlichen Regenwäldern Sarawaks.

Und nirgendwo sonst geraten einem Nasenaffen, Nashornvögel und mit etwas Glück Zwergelefanten leichter vor die Linse als hier im nördlichen Teil Borneos. Orchideenarten im Dutzend und fleischfressende Kannenpflanzen sind die spektakulärsten Ausgeburten einer Flora, die zu den artenreichsten der Erde zählt. Das Bewusstsein um die Einzigartigkeit der Natur ist eine eher neue Erkenntnis in Malaysia. Wo abgeholzt wird, muss nun auch wieder aufgeforstet werden, und bevor die Kettensägen kreischen, müssen Wildtiere in Sicherheit gebracht werden. So zumindest die offizielle Lesart.

Die Kalkformationen des Gunung- Mulu-Nationalparks im Norden Sarawaks haben tropische Regengüsse in jahrmillionenlanger Arbeit zurechtgeschmirgelt. Zurück blieben messerscharfe Nadeln und eine Unterwelt, die löchrig ist wie ein Schweizer Käse. Nur vier der 400 Höhlen sind öffentlich zugänglich. Wind Cave und Langs Cave werden von bizarren Tropfsteinkathedralen mit Stalaktiten dominiert, die älter sind als die Menschheit. Durch die Clearwater Cave führt ein Fluss über hundert Kilometer in den Bauch Borneos. „Weiter ist jedenfalls noch niemand vorgedrungen“, erzählt der Hobby-Höhlenforscher James. In die Sarawak Chamber würde sogar die Hälfte der 111 Maschinen zählenden Flotte von Malaysian Airlines passen, sagt James.

Mit Einbruch der Dämmerung richten sich alle Augen auf den Ausgang der Deer Cave. Drei Millionen Fledermäuse leben in der vermutlich längsten Höhlenpassage der Welt. Tagsüber krallen sie sich an der Decke fest und träumen vielleicht von fetten Insekten. Ihre Präsenz in den stockdunklen Kavernen verraten die durch Exkremente von Ammoniak geschwängerte Luft und ein enervierendes hochfrequentes Summen. Schließlich, wenn die Sonne ihre letzten matten Strahlen in das Dickicht sendet, lassen sich die Ausgeburten der Höhle fallen und schwärmen in schwarzen Trauben aus. Das große Fressen kann beginnen. Fast gleichzeitig werfen Zikaden ihre monotonen Soundmaschinen an. Hypnotische Froschbässe fallen in den Dschungelbeat ein. Die passende Begleitmusik für den kilometerlangen Rückmarsch durch den nächtlichen Urwald.

Welche Geheimnisse die Wälder bergen, weiß niemand besser als die Iban, die mit 30 Prozent den größten Bevölkerungsanteil Sarawaks stellen und bis an die Wende zum 20. Jahrhundert Kopfjagd praktizierten. Viele von ihnen leben noch in traditionellen Langhäusern, die wie Perlenketten entlang der schiffbaren Flüsse Sarawaks aufgefädelt sind. Selbst hier, im tiefsten Urwald, wo keine Straße hinführt, vollzieht sich der Spagat zwischen Tradition und Moderne. Der „Tuai Rumah“, der Anführer der Lebensgemeinschaft, empfängt die Besucher im Langhaus von Ngemah mit einem Schluck Palmwein. Sie sind den Lemanak-Fluss heraufgekommen. Es folgt ein Begrüßungstanz in traditionellen Kostümen. Doch kaum ist das Folkloreprogramm abgeschlossen, schlüpft der Häuptling in sein T-Shirt und mischt sich rauchend unter die Besucher. Weil er weiß, dass diese sich gerne gruseln, zeigt er ihnen auch ein paar Totenschädel unter dem Dach. „Das ist lange her, sehr lange“, meint er augenzwinkernd.

Glück sollen die Schädel über das Langhaus bringen. Etwas finanzielles Glück bringen heutzutage die Besucher aus dem Westen. Sie können unter dem Moskitonetz eine tropische Nacht verbringen, sich am Gemeinschaftsleben auf der überdachten Veranda beteiligen und im Umgang mit dem Blasrohr resigniert zur Kenntnis nehmen, dass sie auf zwei Meter treffen, ein Iban-Jäger hingegen auf 30 Meter. Nicht überall geht der Kontakt der Kulturen so entspannt über die Bühne. In manchen Langhäusern gebe es regelrechte Verkaufsshows, erzählt Manfred Kurz, der Chef eines örtlichen Reisebüros, das nur zweimal in der Woche Gäste nach Ngemah bringt, um die Abhängigkeit vom Tourismus in Grenzen zu halten.

Auch Sarawaks nördlicher Nachbar Sabah hat alles, was Urlauber begehren: Ureinwohner, die als Semi-Nomaden den Dschungel durchstreifen oder in Pfahlbauten an der Küste leben, gut zugängliche Tierreservate und einige der besten Tauchreviere der Welt auf den vorgelagerten Inseln. Kein Wunder, dass auch hier die Monopoly-Spieler längst aktiv geworden sind. Um die Hauptstadt Kota Kinabalu haben sie dem Meer und den Urwäldern Wohlfühl-Welten abgetrotzt, die zu den exklusivsten Adressen Asiens zählen. Kilometerlange Sandstrände und aufgeschüttete Golfplätze, üppige Gärten samt Hochzeitspavillon und Spa- Know-how aus Bali sind obligatorisch.

Einzigartig ist dagegen das Orang Utan-Rehabilitationszentrum, das ein Resort der Shangri-La-Kette – mit Unterstützung der Behörden – eingerichtet hat. Auf einem Dschungelgelände begleitet ein Ranger-Team Menschenaffen, deren Mütter unter ungeklärten Umständen getötet wurden, auf ihrem Weg zurück in den Wald. Ein bis drei Jahre alt sind die zotteligen Gesellen, die von Ast zu Ast schwingen, Purzelbäume schlagen und einander Überlebenstechniken beibringen. In leichter Selbstüberschätzung ihrer Kräfte kommt es schon mal vor, dass die jungen Orang-Utans einen Ast verfehlen und auf den Boden plumpsen. Eine etwas andere Ausformung des Drahtseilaktes, den ganz Malaysia praktiziert.

Stefan Spath

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