zum Hauptinhalt
Teurer Blick auf den Central Park. Für eine feine Adresse an der Upper East Side müssen Eigentümer und Mieter einiges hinblättern.

© picture alliance

Manhattan: Eleganz in Kopie

Klein-Europa zwischen Hudson und East River – im Now Yorker Stadtteil Manhattan ist jetzt französisch angesagt.

Komisch. Kraushaarige bügeln sich die Haare glatt, während Glatthaarige sich Dauerwellen legen lassen, sogar ganze Städte wollen – oder sollen – jemand anders sein, als sie sind. Amerikaner ziehen nach Berlin, weil es hier heute so ist wie New York in den 70ern, so wild und kreativ, und Manhattan, einzigartig, überwältigend, wie es ist, macht auf Alte Welt.

Als der Architekt Simon Schwartz zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts diverse noble Hotels in New York entwarf, bekamen diese Namen wie Londoner U-Bahn-Haltestellen verpasst: Victoria, Grosvenor, Croydon – und Hyde Park. Dabei lag Letzteres nur ein paar Schritte vom Central Park entfernt, auf der 77. Straße zwischen Madison und Fifth Avenue. Dort liegt es immer noch, nur wurde es vor ein paar Jahren aufwendig renoviert und heißt heute The Mark. Auch wenn das Backsteinhaus, von außen ganz Upper East Side, schönstes klassizistisches 20er-Jahre-New-York ist, brüstet es sich damit, innen schwer französisch zu sein.

Der für die Einrichtung zuständige Stardesigner: ein Franzose. Das Restaurant: steht unter der Regie eines französischen Sternekochs. Der Star-Coiffeur im FünfSterne-Hotel: ein Franzose. Und der Illustrator der charmanten Bilder des Hotels auf der Website: lebt in Paris.

Man könnte sich fragen, warum man ein paar tausend Kilometer fliegen soll, um am Ende in Frankreich zu landen. Aber so ist sie, die Upper East Side: sehr fein. Und das ist für viele Amerikaner eben gleichbedeutend mit: sehr französisch. Der Makler um die Ecke preist seine Luxuswohnungen unter der Überschrift „Parisian Elegance“ an, die Brasserie ein paar Straßen weiter sieht aus, als wäre sie von der Rue de Rivoli originalgetreu hergeschifft worden. Und die frankophile Jacqueline Kennedy Bouvier, die hier oben an der Fifth Avenue wohnte – das nahe gelegene große Reservoir im Central Park trägt ihren Namen – galt als Stilikone schlechthin.

Es klopft. Die Rettung. Vor der Tür steht ein echter New Yorker, der, wie es sich für einen New Yorker gehört, aus einer Einwandererfamilie kommt, einer ecuadorianischen. Gestatten: der iButler. Als Guy Yu das Wort auf seiner Visitenkarte sah, war er selber ein bisschen überrascht. Er ist wahrscheinlich der Erste, der diese Berufsbezeichnung trägt. Der 24-Jährige ist der richtige Mann für diesen Job, ihn kann keine Krise aus der Ruhe bringen; seit er mit sieben seinen ersten Computer bekam, hat er schon einige auseinandergenommen und heil wieder zusammengesetzt. Der iButler ist sozusagen der Notarzt für alle elektronischen Fälle, nur dass er im Anzug statt im Kittel erscheint. Beim Anblick meines fünf Jahre alten Laptops bemerkt er höflich: „It brings me back in time.“ Die Gäste des Fünf-Sterne-Hotels sind auf neuerem Stand. Einem Herrn hat er alle verschwundenen Daten aus dem iPhone (es war zuvor auf den Boden geknallt) gerettet, und worauf er besonders stolz ist: Einem französischen Kunden hat er Zugang zu Sendern verschafft, die man in den USA eigentlich gar nicht empfangen kann – indem er eine Verbindung vom Hotelzimmer mit dem Gerät im Wohnzimmer des Gastes geschaffen hat.

Den iButler braucht jemand wie ich auch, um das Licht anzuschalten oder die Klimaanlage in ihre Grenzen zu weisen. Hier kann man nämlich nicht einfach irgendwelche Schalter anknipsen – im Flur hängt eine zentrale Schaltzentrale an der Wand. Die muss man erst mal bedienen können. Dass der eckige Fleck auf dem Badezimmerspiegel ein Fernseher ist, hätte ich ohne Hilfe auch nicht gewusst.

Am nächsten Morgen gehe ich zum Blow-out, schon wegen des verwegenen Namens. Bei uns sagt man dazu Waschen, Legen, Föhnen. Der Salon des Society-Coiffeurs Frédéric Fekkai ist über eine Treppe mit der Lobby verbunden. Stefanie, die aus einer haitianischen Familie kommt, aber in Frankreich aufs Internat gegangen ist, frisiert mich so perfekt, dass ich hinterher fast als Upper-East- Side-Lady durchgehen könnte. Wenn nur meine Hose und mein Gesicht nicht so zerknittert wären. Und das mitten im Schönheitschirurgenland. „Plastic and reconstruction surgery“ wird hier an so mancher Haustür angepriesen. Allerdings bläst der Wind in Manhattan noch stärker als Stefanies Föhn. Als ich an der prächtigen Park Avenue ankomme, sehe ich doch wieder aus wie poor little old me.

Hier herumzuspazieren, das ist ein bisschen so, wie durch einen alten Woody-Allen-Film zu wandern. Bevor der New Yorker anfing, in und für London, Paris und Barcelona touristisch werbewirksame Filme zu drehen, hat er nämlich die Upper East Side, auf der er selbst wohnt, als romantischsten aller Orte porträtiert.

Die Upper East Side ist ein wenig in Verruf geraten, hier, so heißt es, wohnt das Geld, drüben auf der Upper West Side der Geist. Dabei lebt gerade hier auch die Kunst: Die größten Galerien (gleich gegenüber vom Hotel hat der mächtige Gagosian seine Räume), die gewaltigsten Museen sind hier, Whitney, Guggenheim, Metropolitan, Cooper Hewitt, Museum of the City of New York, Jewish Museum, die Neue Galerie – und Jonathan Franzen wohnt auch auf der Upper East Side. Auf der Madison Avenue liegt einer der allerallerletzten unabhängigen Buchläden New Yorks, Crawford Doyle, man kann auf der Straße der „Mad Men“ aber auch Missoni-Schals kaufen und „The Best Chocolate Cake of the World“. Überhaupt sieht man hier viele Chocolatiers, aber nur dünne Menschen. Wahrscheinlich laufen die sich das alles im Central Park wieder ab.

Auf der Upper East Side ist Manhattan so unaufgeregt wie sonst selten. Jenseits der Museumsmeile auch sehr untouristisch – beim Flanieren begegnet man eher Nannys und ihren Zöglingen und Ladys auf dem Weg zum Lunch. Es ist, als ginge man durch ein altes Theaterstück. Seit Edith Whartons Zeiten scheint sich so viel nicht geändert zu haben.

Genau hier, auf der 77. Straße zwischen Fifth Avenue und Madison, hat die Schriftstellerin einst gewohnt, die mit „The Age of Innocence“ den größten aller New-York-Romane geschrieben hat. Zumindest hat der Literaturkritiker des „New York Magazines“ die ironische Geschichte über New Yorks Upper Class im 19. Jahrhundert kürzlich dazu erklärt.

„The Decoration of Houses“ hieß Whartons erster Roman, die Schriftstellerin war berühmt als „Domestic Goddess“. Was die Göttin der Einrichtung zum Hotel The Mark gesagt hätte? Im Bad kommt man sich vor wie auf einem eleganten Ozeandampfer in den 30er Jahren, aber im Aufzug und in der Lobby wird einem leicht schwindelig vor lauter Muster, opulenten Formen und breiten Zebrastreifen, die das Markenzeichen des Hotels sind. In der Bar mit dem gemusterten Teppich, den Sesseln im Kuhfelllook und den vielen Discoleuchten an der Decke kriegt man noch vor dem ersten Drink einen leichten Schwips. Entspannter trinken lässt es sich in der lustigen Bemelmans Bar im altehrwürdigen Carlyle um die Ecke. Oder man lässt sich einen Manhattan zusammen mit einem Edel-Hamburger aufs Zimmer bringen. Die Aussicht im zwölften Stock über den Central Park zur Skyline der Upper West Side könnte nicht großartiger sein. Auch wenn die Fenster nicht ganz sauber sind.

À bientôt!, steht am Ende des Buchs über das Hotel, das auf dem Zimmer liegt.

Nach Hause zurückgekehrt, stelle ich fest, dass auch Berlin nicht mehr Berlin ist. Als ich noch mal auf die Rechnung für den Room Service in The Mark blicke, entdecke ich, dass die deutsche Hauptstadt darauf auf geheimnisvolle Weise zu „Boli“ mutiert ist. Die Winterfeldtstraße heißt jetzt Lilitofldtst. Klingt schwer nach Taka-Tuka-Land.

The Mark, 25 East 77th St., Doppelzimmer ab 420 Euro; www.themarkhotel.com

Bemelmans Bar in The Carlyle, 35 East 76th Street

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false