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Das Haus "Casa Azul", inzwischen ein Museum, ist eine Touristenattraktion.

© Peer Grimm picture-alliance/ZB

Mexiko: Im Haus der Leidenschaft

Zerbrechlich, lebenshungrig, genial: Vor 60 Jahren starb Frida Kahlo. In der Casa Azul in Mexiko-Stadt kommt man ihr nah.

Kräftige Farben prägen den Stadtteil Coyoacán. Das einstige Provinznest ist zwar längst vom Millionen-Moloch Mexico City geschluckt worden, die Beschaulichkeit zwischen kolonialen Bauten, exotischen Bäumen und Blumen ist jedoch geblieben. Coyoacán hat stets Künstler, Intellektuelle und Bessergestellte angezogen. Man trifft sich damals wie heute in den vielen Straßencafés, Galerien und Theatern. In den schachbrettartig angelegten Sträßchen wechseln gelbe, rosa, pastellblaue, hellgrüne Fassaden einander ab. Ein tintenblaues Gebäude an der Ecke der Straßen Londres und Allende fällt jedoch besonders auf. In der Casa Azul lebte, liebte und litt Frida Kahlo, die heute vor 60 Jahren starb.

Von außen wirkt der flache Bau mit vergitterten Fenstern und grünen, geschlossenen Schlagläden fast trutzig. Umso mehr überrascht das Innere mit seinem paradiesisch anmutenden Patio: Hohe Zedern wachsen darin, Yuccapalmen, Bananenstauden, Farne und Kakteen. Singvögel und Schmetterlinge flattern umher. Umrahmt wird das Grün der subtropischen Pflanzenpracht vom maritimen Blau der Mauern, das dem Haus seinen Namen gab: La Casa Azul, das blaue Haus. Hier wurde eine der bedeutendsten Künstlerinnen des Landes als Magdalena Carmen Frida Kahlo y Calderón am 6. Juli 1907 geboren, hier wuchs sie auf, hier verbrachte sie leidenschaftliche Jahre mit ihrer großen Liebe Diego Riviera, hier starb sie: am 13. Juli 1954.

Das pechschwarze Haar kunstvoll hochgesteckt, wie es die indigenen Frauen Mexikos zu tragen pflegen; dunkle Augen, in denen so viel Geheimnisvolles liegt, die unergründlich scheinen und zugleich doch einen tiefen Blick in eine stolze, aber verletzte Seele freigeben – so stellte sich Frida Kahlo zumeist in ihren Selbstbildnissen dar. Ihre zusammengewachsenen Brauen und der Damenbart – beides in Wirklichkeit weitaus weniger ausgeprägt als in ihren Gemälden – stilisierte sie zu äußerlichen Markenzeichen.

Monatelang ans Bett gefesselt malt sie im Liegen, oder auf Krücken gestützt

Viele dieser Darstellungen sind in den Räumen der Casa Azul zu sehen. Doch sind es nicht die Kunstwerke allein, die dem Haus seine Authentizität verleihen. Vielmehr fügen sich die zahllosen Gegenstände der Künstlerin, die Möbel, Fotos, Bücher, Briefe und bunten Kleider zu einem Mosaik ihrer Persönlichkeit zusammen und lassen die Räume so lebendig erscheinen, als wären nie und nimmer sechs Jahrzehnte seit ihrem Tod vergangen.

Einiges aus dem bewegten Leben Kahlos ist überliefert, beschrieben, verfilmt. Und natürlich spiegelt sich die Tragik ihrer Geschichte im irgendwo zwischen Surrealismus und Neuer Sachlichkeit verortbaren Œuvre wider. Die körperliche und seelische Pein nach dem folgenschweren Busunfall als Teenager, Fehlgeburten, Dutzenden Operationen und der Amputation ihres rechten Fußes spricht unmissverständlich aus ihren Bildern. Unverblümt und bitter verdeutlichen dies aber erst Ausstellungsstücke wie der alte Rollstuhl im Atelier, die Prothese neben dem schmalen Bett oder das beinahe fröhlich bemalte Korsett.

Fotoaufnahmen zeigen eine zerbrechliche, aber lebenshungrige Frau, die Monate ans Bett gefesselt im Liegen malt oder vorsichtig, auf Krücken gestützt, durch den Garten geht nach einer wieder einmal langen, komplizierten Krankheit. An den Wänden hängen Skelette und Totenschädel. Dies mag für Mexikaner und ihren unverkrampften Umgang mit dem Tod zwar nicht ungewöhnlich erscheinen. Hier jedoch hat die Allgegenwart von Vergänglichkeit und Verfall etwas Bedrückendes.

Kommunistin, Ehefrau, Idealistin

Frida Kahlo. Die Aufnahme zeigt sie 1954, im Jahr ihres Todes, in der Casa Azul.
Frida Kahlo. Die Aufnahme zeigt sie 1954, im Jahr ihres Todes, in der Casa Azul.

© picture-alliance / akg-images

Im Kontrast dazu vermittelt das Museum jedoch auch die Lebensfreude Fridas. Ihre Begeisterung für landestypisches Kunsthandwerk findet etwa in der vollständig eingerichteten Küche Ausdruck, wo mexikanische Töpferware in allen erdenklichen Formen steht. Ihre Sehnsucht nach Licht und Farbe zeigt sich in den hohen, hellen Räumen, die allesamt in unterschiedlichen Tönen gestrichen sind. Darunter ist auch das Zimmer, in dem das Künstlerpaar den politischen Flüchtling Leo Trotzki untergebracht hatte, bevor ihm Frida Kahlo nur einige Straßen weiter ein eigenes Haus kaufte. Dort wurde der Dissident später von einem Häscher Stalins brutal ermordet. Heute ist dort ebenfalls ein Museum.

Die vermeintliche Liaison mit Trotzki trägt sicherlich ihren Teil zur Mythenbildung um Frida Kahlo bei, die glühende Anhängerin der mexikanischen Revolution, die überzeugte Kommunistin, die nicht nur Porträts von Stalin malte, sondern auch über ihrem Bett aufhängte – in einer Reihe mit Marx, Engels, Lenin und Mao. Und dann ist da schließlich noch die zwischenzeitlich für ein Jahr geschiedene Ehe mit Diego Riviera, dem bedeutendsten mexikanischen Künstler. Eine bisweilen selbstzerstörerische Beziehung, geprägt von Affären, Exzessen und der Erkenntnis, dass es ohne den anderen schlichtweg nicht geht. Auch das vermitteln Briefe, Tagebucheinträge und Fotos des ungleichen Paares.

Eine junge Frau, anmutig, liebevoll und leidgeplagt, Idealistin und unsagbar talentiert – wohl kaum ein anderes Künstlerleben bietet besseren Stoff für Hollywood. Salma Hayek, eine andere Nationalheldin Mexikos, mimte Frida im gleichnamigen Film vor zwölf Jahren. Seitdem haben sich die Besucherzahlen in der Casa Azul deutlich erhöht, heißt es. Die Besichtigung gehört nunmehr zum festen Programmpunkt vieler Touristen in Mexiko-Stadt.

„Die schönste Kleine, die mehr ist als mein Leben“

Die Vermarktung der Legende läuft indes landesweit auf Hochtouren. Die Tochter eines deutsch-ungarischen Auswanderers und einer mexikanischen Mestizin scheint allgegenwärtig: Kunsthandwerk, Schmuck, Nippes – überall werden Dinge mit ikonenhaften Abbildungen der Künstlerin verkauft. In vielen Touristenmeilen zwischen Cancún und Acapulco tragen junge Reisende nicht wie früher Che-Guevara-T-Shirts, sondern das Konterfei Kahlos auf der Brust.

Es ist schwer vorstellbar, dass Frida Kahlo zu ihren Lebzeiten weitestgehend unbekannt war. Eine begabte Malerin, ja – die in berühmten Künstlerkreisen verkehrte, durchaus – hier und da ihre Werke ausstellen durfte, auch das. Aber dennoch weit entfernt vom Ruhm heutiger Tage. Vielmehr stand sie stets im Schatten ihres Gatten. Dessen politische Wandmalereien sind in den repräsentativsten Gebäuden des Landes zu sehen und locken ebenfalls täglich tausende Besucher an. Es mag also eine gewisse Symbolik darin liegen, dass Rivieras Porträt die Vorderseite des unlängst neu gestalteten 500-Pesos-Scheins ziert, des Geldscheins mit dem höchsten Wert. Während für Frida Kahlo nur auf der Rückseite Platz war.

Für Diego Riviera selbst war die mehr als 20 Jahre jüngere Frau nicht nur eine große Malerin. Sie war „die schönste Kleine, die mehr ist als mein Leben“. So jedenfalls besagt es eine Inschrift im Garten der Casa Azul.

Alexander Del Regno

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