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Biblische Kulisse. Aufführungen in Masada faszinieren jeden Besucher. Sänger, Musiker und fast 1000 Techniker tragen zum Gelingen bei. 2012 wurde die Bizet-Oper „Carmen“, hier im Bild, inszeniert.

© imago

Bergfestung Masada: In der Hitze der Nacht

Jährlich im Frühsommer macht Israel die Festung Masada zur Opernbühne. In dieser Saison wird „La Traviata“ inszeniert.

Die heiße Luft drückt schwer auf die Haut. Das Thermometer zeigt 40 Grad. Eigentlich zu erwarten in der Wüste – wenn es nicht schon lange Nacht wäre! Die Hitze lässt sich hier, am Fuße des Felsens von Masada, am Westufer des Toten Meeres, von der Dunkelheit nicht nennenswert beeindrucken. Trotzdem herrscht Stimmung wie auf einem Heavy-Metal-Festival: Motoren dröhnen, Autoscheinwerfer flackern, Busse spucken Tausende von Besuchern aus, Gerede, Gelächter, ungezählte Wasserflaschen aus Kunststoff machen die Runde, im Vip-Bereich werden sie gratis verteilt. Wir bahnen uns einen Weg durch die gigantische Tribüne, fast 8000 Sitzplätze, eigenwillig durchnummeriert. Entschuldigen Sie, ist das Reihe 18, Platz 7? Ja, aber im falschen Block! Chaos. Irgendwann sitzt doch jeder an seinem Platz. Israels Präsident Schimon Peres spricht.

Man könnte meinen, dies sei ein Sportereignis mitten in der Wüste von Judäa. Ein Ereignis ist es in der Tat, aber hier gilt's der Kunst: Die Israeli Opera aus Tel Aviv ist mit einem Tross aus Sängern, Orchestermusikern und fast 1000 Technikern für das „Israeli Opera Festival“ nach Masada gekommen, in gebührendem Abstand vom mythischen Felsen wurde eine riesige Bühne errichtet, der Berg schimmert im Hintergrund, beleuchtet von Battterien von Scheinwerfern. Gespielt wird die populärste Oper aller Zeiten: „Carmen“. Die Bühne: fast fünfzig Meter breit, Hunderte von Statisten sorgen für Kolorit, klein wie Zinnsoldaten, sogar eine Dampflokomotive hat man herbeigeschafft. Daniel Oren dirigiert, Carmen umgarnt ihren Don José. Noch weiß sie nicht, dass er sie ermorden wird.

Was für eine wahnsinnige Idee: Oper, die aufwendigste, entgrenzende, alles verschlingende Kunstform, ausgerechnet hier, in dieser denkbar lebensfeindlichen Umgebung, zu spielen. Aber das Ganze hat doch tieferen Sinn. Den erklärt Hanna Munitz, Direktorin der Israeli Opera: „Touristen kommen aus vielen Gründen nach Israel, vor allem aus religiösen. Für Kulturtourismus ist das Land eher nicht bekannt – daran wollen wir etwas ändern.“ Und noch etwas spielt eine Rolle. Viele Israelis würden in ihren Städten bleiben, so Munitz, die Negev-Wüste kennen sie kaum. Es geht auch darum, das eigene Land zu entdecken, „in Besitz zu nehmen“, wie Munitz es nennt. Und sofort wird die Sache wieder grundsätzlich: Die Frage nach Land und wer es besitzt schwingt in Israel immer mit, auch bei etwas anscheinend so Unpolitischem wie Musik.

Wer den weiten Weg auf sich nimmt, will mehr sehen als Oper

Vor „Carmen“ – das war 2012 – standen bereits „Nabucco“ und „Aida“ auf dem Programm. Naheliegend, denn beide sind Repertoirerenner. Außerdem wird im einen Stück die babylonische Gefangenschaft des jüdischen Volkes explizit zum Thema, während im anderen ebenfalls ein Volk unterdrückt wird, wenn auch die Äthiopier. „Carmen“ spielt in Südspanien, das fügt sich gut ins Wüstensetting ein. Jetzt, im Juni 2014, kommt „La Traviata“. Auch dies eine sichere Bank. Und doch Neuland: Erstmals ein Stück, das sich nur schwer politisch deuten lässt, das sich um die Tragik einer tuberkulosekranken Frau in Paris dreht. Ganz ohne Heroik.

Nur mit Sonnenhut. Heiße Aussichten aufs Tote Meer.
Nur mit Sonnenhut. Heiße Aussichten aufs Tote Meer.

© imago

Wer den weiten Weg nach Masada auf sich nimmt, will mehr sehen als Oper. Am besten, man reist bereits einen Tag vorher an und besichtigt den Felsen. Das Areal ist seit den sechziger Jahren ein Nationalpark, vom Besucherzentrum führt eine Seilbahn hinauf, alternativ bietet sich auch der beschwerliche, aber authentische Schlangenpfad an (unbedingt reichlich Wasser mitnehmen!). Der Tafelberg ist von enormer symbolischer Bedeutung für den jüdischen Staat.

Kurz vor der Zeitenwende ließ sich Herodes der Große auf dem Plateau einen Palast errichten, nach dem Aufstand gegen die Römer und der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 verschanzten sich hier rund 1000 Widerständler. Die Römer schütteten eine Rampe auf und durchbrachen die Befestigungen – woraufhin sich die Belagerten alle, bis auf wenige Frauen und Kinder, umbrachten. Der Historiker Flavius Josephus schildert die schrecklichen Ereignisse. Masada geriet in Vergessenheit und wurde erst im 19. Jahrhundert von zwei britischen Touristen wiederentdeckt.

In Jerusalem verschränken sich Gegenwart und uralte Vergangenheit

Die Reste des Herodianischen Palastes, die Rampe der Römer, die Steinmauer, die sie um den Fels zogen, die Fundamente ihrer Militärlager im Tal, all das ist noch da. Die Wüste konserviert, Zeit und Ewigkeit fließen hier ineinander, und wer auf dem Felsplateau seine Runden zieht und sieht, wie in einem Nebenraum ein Rabbi israelischen Schulkindern Tora-Texte erläutert, dem ist die Antike plötzlich sehr, sehr nah. Heute lässt die israelische Armee hier Rekruten den Eid schwören.

Feierlich. Zur Einweihung der Synagoge in Masada wird der Schofar geblasen.
Feierlich. Zur Einweihung der Synagoge in Masada wird der Schofar geblasen.

© p-a

Es ist naheliegend, den Opernbesuch in Masada mit einem mehrtägigen Besuch von Jerusalem zu kombinieren. Auch hier verschränken sich Gegenwart und uralte Vergangenheit mit einer Selbstverständlichkeit, die schwindelig werden lässt. In der Altstadt laufen wir mit Turnschuhen auf Straßen, deren blank gescheuertes Kopfsteinpflaster noch in der Römerzeit angelegt wurde. Wesentlich unkomplizierter als der Tempelberg ist die Grabeskirche zu besichtigen.

Was der Name nicht verrät: Hier wurde Jesus nicht nur angeblich begraben, sondern auch gekreuzigt. Die Kirche ist um einen Fels herum gebaut, der seit den Zeiten Konstantins des Großen als Golgatha gilt. Im Inneren führt eine Treppe hinauf. Wer sich anstellt, darf einen Blick auf den Spalt erhaschen, in dem das Kreuz gesteckt haben könnte. Das Grab liegt nur rund 30 Meter entfernt. Die schummrige Dunkelheit wird erhellt von hochmodernen, sehr hässlichen und ganz profanen Energiesparlampen.

Eine neue Straßenbahn führt zum quirligen Mahade-Yehuda-Markt

Mehr Licht gibt’s beim „Festival of Light“, das zeitlich parallel zu den Opernaufführungen in Masada viele Gebäude und Plätze in Jerusalem illuminiert – Teil einer Strategie der Verwaltung, die Altstadt zu beleben. Denn so paradox es klingen mag: Ausgerechnet in Jerusalem, einer der ältesten und ideologisch am meisten umkämpften Städte der Erde, zieht sich das Leben abends weitgehend aus dem Zentrum zurück. Basare und Läden sind geschlossen, die Bewohner bleiben zu Hause bei ihren Familien.

Wer das quirlige, pulsierende Jerusalem der Jetztzeit erleben will, besucht den Mahade-Yehuda-Markt im Westteil der Stadt. Die neu gebaute Straßenbahnlinie führt dorthin. Eine schlanke, fleischarme, von Gemüse dominierte Küche, Salate, Humus, gerösteter Sesam, gefüllte Weinblätter und Zwiebeln, Nüsse, Sonnenblumenkerne, ein köstlicher Quark namens „Labat“ – die ganze kulinarische Herrlichkeit der Levante scheint an diesem Ort versammelt.

Mittendrin das Café Mizrahi (Hashezif-Straße 12), wir setzen uns, trinken Tee, lassen den Menschenstrom vorüberziehen. Touristen sind rar. Es sind die Bewohner Jerusalems, die hier ihre angenehm alltäglichen Einkäufe erledigen, ein jüdisch-arabischer Bevölkerungsmix, der sich völlig konfliktfrei die Zutaten fürs Abendessen holt. Zurück zum Hotel geht’s vorüber an Mauern, die – wie die ganze Stadt – aus hellgelbem Sandstein errichtet sind, im trockenen Wind wippen dunkelrote oder lilafarbene Bougainvillea, die Drillingsblumen. Jetzt um diese Jahreszeit blühen sie besonders üppig überall in Jerusalem. Die Erinnerung an sie nehmen wir mit, wenn es in die Wüste geht.

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