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Für eine Handvoll Weihrauch aus Oman wird heute im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten nicht mehr sehr viel gezahlt, obwohl die Nachfrage weiter groß ist.

© imago/imagebroker/puchinger

Oman: Über allem liegt der Weihrauch

Das wertvolle Harz hat den Oman reich gemacht. Heute profitiert das Land von Bodenschätzen – und einem außergewöhnlichen Sultan.

Sultan Qabus begrüßt die ankommenden Gäste am Flughafen von Maskat, der Hauptstadt des Omans. Nicht höchstpersönlich, doch sein Abbild blickt mit väterlicher Miene auf die Besucher herab, die in der Ankunftshalle in einer Schlange stehend auf ihr Visum warten. Den traditionellen Krummdolch „Khanjar“ trägt er im Hosenbund, sein weißer Bart ist fein säuberlich gestutzt, die Hände hat er übereinander gefaltet. Das Porträt des Autokraten, sorgfältig gerahmt, ist eines von Abertausenden, die das alltägliche Leben der Menschen in Oman begleiten. An Wänden von Cafés und Geschäften, in Hotelfoyers und Supermärkten. Es prangt an Häuserfassaden und ziert Souvenirs in den Andenkenläden der Souks. Der Monarch ist allgegenwärtig. Das Volk ist ihm treu ergeben, bejubelt seinen Sultan manchmal gar mit kindlichem Eifer, seine Beliebtheit konnte auch der arabische Frühling nicht trüben.

Seit mehr als 40 Jahren ist Qabus Staatsoberhaupt, Ministerpräsident, Außenminister und Oberbefehlshaber der Streitkräfte und der Polizei. Ein absolutistischer Monarch, der das Land im rasanten Tempo aus dem arabischen Mittelalter in die westliche Moderne geführt hat – und die mangelnden politischen Mitsprachemöglichkeiten aufgrund seiner imposanten Leistung vergessen ließ. Das „schwarze Gold“, das aus dem trockenen Wüstenboden emporquillt, machte das Sultanat zu einem reichen Land.

Die Ölmilliarden investierte der Sultan in die Schulbildung seiner Untertanen, Mädchen wie Jungen, und spendierte seinem Land eine flächendeckende, kostenlose Gesundheitsversorgung. Zwar sind die Ölreserven endlich, reichen Expertenschätzungen zufolge noch für 15 Jahre. Und obwohl Erdgas in großem Stil gefördert wird und riesige Vorkommen im Landesinneren entdeckt wurden, macht der Sultan Staat und Volk fit für die Zukunft: Bildung und Forschung, neuen Technologien und Tourismus gilt das Hauptaugenmerk.

Thronerben gibt es nicht – die Gerüchteküche brodelt

„Er ist ein weiser Mann“, sagt Salim Suhail Ali Al Kathiri. Der 35-Jährige arbeitet als Qualitätsmanager im Bildungsministerium und führt als Nebenjob Touristen durchs Land. „Er gibt unserem Land Stabilität und Sicherheit.“ Doch der Sultan ist nicht mehr der Jüngste, soeben hat er seinen 73. Geburtstag gefeiert, ist unverheiratet. Einen Thronerben gibt es nicht, zumindest keinen offiziellen. Die Gerüchteküche brodelt. Ein Busfahrer berichtet von einem geheimen Thronfolger, ein anderer von zwei Namen in einem Umschlag – potenzielle Nachfolger, zwischen denen die Berater des Sultans nach seinem Ableben wählen sollen. Hartnäckig hält sich auch das Gerücht, dass der Sultan es nicht so mit Frauen habe. Verschlusssache Qabus, sein Privatleben ist auch für viele Omaner ein Mysterium, sein Privatleben ein Tabu.

Der Monarch. Sultan Qabus ist seit mehr als 40 Jahren Staatsoberhaupt in Oman.
Der Monarch. Sultan Qabus ist seit mehr als 40 Jahren Staatsoberhaupt in Oman.

© Ahmad Halabisaz, imago

Die Jacht des Sultans ankert im Hafenbecken, ein elfenbeinfarbener Luxusliner, 155 Meter lang, sechs Decks, inklusive Konzertsaal und Helikopterlandeplatz. Momentan ist der Sultan nicht in der Stadt, der Blick auf den beflaggten Arbeitspalast und die piekfein herausgeputzten Regierungsgebäude ist also frei. Wäre der Herrscher anwesend, so erzählen die Schaulustigen, wäre das Gebiet weiträumig abgesperrt.

Die Fahrt vom Stadtzentrum zum Hafen führt an weißen, mit Türmchen und Zinnen dekorierten Neubauten im maurischen Stil, Ladenpassagen und Fast- Food-Läden vorbei, prächtige Miniaturpaläste und prunkvolle Hotels reihen sich aneinander, die Rasenflächen sind saftig- grün und akkurat geschnitten, die Blumenbeete entlang der viel befahrenen Straßen leuchten in allen Farben – im Vergleich zu den Disneyland-Metropolen Dubai und Abu Dhabi ist die omanische Hauptstadt sympathisch bescheiden geblieben, umsichtig geplant und bebaut. Nur die Sultan-Qabus-Moschee, die als zweitgrößte Moschee der Welt bezeichnet wird – ein monumentaler Bau aus indischem Sandstein – zeigt, dass man Superlative erschaffen könnte, wenn man wollte.

Drei Kinder und zwei Ehefrauen

Muna Al Zadjali lässt in ihrer Manufaktur Traditionelles nähen.
Muna Al Zadjali lässt in ihrer Manufaktur Traditionelles nähen.

© Kristin Oeing

Es herrscht ein ständiger Spagat in Oman zwischen der Bewahrung der Natur und dem Bau weiterer zukunftsträchtiger Standbeine für die Wirtschaft. Ein Land, das die Balance sucht zwischen Tradition und Moderne. Wo die Männer bodenlange Dischdaschas und trendige Sonnenbrillen tragen, und die Frauen, nicht selten bis auf die Augen komplett verschleiert, mit bunt bemalten Fingernägeln auf den Displays ihrer Smartphones tippen. Mit dem im Westen vorherrschenden Bild von Frauen am Golf, die verhüllt, entmündigt und fern der Öffentlichkeit leben, hat das Leben im Sultanat jedoch allem Anschein nach wenig zu tun.

Am Visumsschalter im Flughafen sind es Frauen, die die Dokumente ausstellen, in der Parfümfabrik arbeiten Frauen Seite an Seite mit ihren männlichen Kollegen, im Souk verkaufen sie Weihrauch, Schmuck, Gewürze. Es gibt keinen Schleierzwang, an der Universität hingegen inzwischen eine Männerquote, denn dort sind die jungen Frauen in der Überzahl. Allein die Heiratsgesetze entsprechen nicht unseren westlichen Vorstellungen: Männer, die es sich finanziell leisten können, dürfen bis zu vier Ehefrauen haben.

Salim, der Qualitätsmanager, hat zwei Ehefrauen und drei Kinder. „Mit zwei Frauen verheiratet zu sein, ist emotional anstrengend, mal schlägt das Herz mehr für die eine als für die andere. Und das Herz kann man ja nicht beeinflussen.“ Eine der Frauen arbeitet, die andere ist zu Hause. „In unserem Land leiten Frauen sogar große Ministerien“, sagt er stolz, wenn es derzeit auch nur zwei Ministerinnen seien. Offizielle Zahlen belegen, dass im öffentlichen Dienst ein Drittel der Posten weiblich besetzt sind. In der Privatwirtschaft sollen immerhin 20 Prozent im Management tätig sein. Ja, es gibt auch durchaus Frauen, die ihr eigenes Unternehmen leiten.

„Hier arbeiten wir nur morgens“

In Sidab, einem ehemaligen Fischerdorf, das mittlerweile zum Großraum Maskat gehört, rattern bereits früh am Morgen die Nähmaschinen. Stoffreste, Nähnadeln, Garn und Faden bedecken die Tische, Jutebeutel stapeln sich auf dem Boden, an den Wänden hängen Urkunden und Zeitungsartikel, über den Sitzkissen prangt ein gewebtes Porträt des Sultan. In zwei Räumen stehen Nähmaschinen, an einer von ihnen sitzt Khoula Almashari. Die junge Frau fährt jeden Morgen mit dem Auto zu dem weißen Gebäude an der Hauptstraße, in dessen Inneren die „Ladies of Sidab“ ihren Arbeitsplatz haben.

Seit drei Jahren näht sie für die Sidab Women’s Sewing Group. „Meine Familie war von Anfang an begeistert, der Arbeitsplatz liegt nah an meinem Zuhause, und mein Einkommen ist wichtig für die Familie. Ausschlaggebend war aber auch, dass hier nur Frauen arbeiten.“ Khoula Almashari arbeitet so oft sie kann, mal sechs Tage die Woche, mal nur vier, immer am Morgen vier bis fünf Stunden. Zehn Minuten braucht sie, um eine Stofftasche zu nähen, auf ihnen sind traditionelle Tiersymbole und Gewänder zu sehen. Die Bezahlung erfolgt pro Tasche, je mehr sie näht, desto höher ist ihr Verdienst.

Die Leiterin des Unternehmens, das mittlerweile immerhin dreißig Frauen zwischen 25 und 60 Jahren beschäftigt, ist Muna Al Zadjali. „Die Arbeitszeiten sind dem Lebensalltag der Frauen angepasst, hier in den Räumen arbeiten wir nur morgens, damit sich die Frauen nachmittags um ihre Kinder und Familien kümmern können.“ Wer mag, kann die Arbeit mit nach Hause nehmen. Ein Homeoffice-Job sozusagen. Die Materialien für die Beutel, Handytaschen und Kissenüberzüge kommen allesamt aus Oman, Empfänger sind neben Museen, Ministerien und Hotels auch ausländische Abnehmer, darunter Firmen in Australien, England, Frankreich und Deutschland.

Die „Karibik des Orients“

Said Salim Said (links) und sein Großvater Abullaziz Abuallah, der Weihrauchhändler
Said Salim Said (links) und sein Großvater Abullaziz Abuallah, der Weihrauchhändler

© Kristin Oeing

Ortswechsel. Auch am Flughafen von Salàlah, im Südwesten des Landes, begrüßt das Sultanporträt mit ernster Miene die ankommenden Gäste. Vom Flughafen führt eine tropische Allee ins Zentrum der 100 000-Einwohner-Stadt, die vom Arabischen Meer und dem Dhofar-Gebirge umrahmt wird. An den Bäumen wachsen Papaya, Bananen, Mangos und Kokosnüsse, während einige Meter weiter trockener Wüstenboden Staub aufwirbelt. Ein Gürtel aus Neubauten umschließt die Stadt, Esel und Kamele grasen am Wegesrand.

Reisekataloge nennen die Region gerne die „Karibik des Orients“. Der jährliche Monsunregen von Juli bis September bringt der Region ausreichend Wasser und überzieht die Gebirgshänge mit einem satten Grün. Viele Menschen aus den angrenzenden Golfstaaten fliehen jedes Jahr vor der extremen Hitze in die vergleichsweise kühlen Gefilde im südlichen Oman. Im November jedoch überzieht der Wüstenstaub die grünen Hänge, färbt sie um in ein trostloses Grau. Doch die Temperatur bleibt angenehm, eine laue Brise weht vom Meer herüber.

Neben den arabischen Gästen treibt es auch viele Europäer in den Süden Omans. Fünf neue Fünf-Sterne-Hotels sollen in den kommenden Jahren entstehen, an zweien wird bereits gebaut. Von einem beginnenden Massentourismus kann dennoch keine Rede sein, die Strände sind menschenleer. Am Strand von Mughsail, etwa eine Stunde von Salàlah entfernt, trotten drei Kamele durch den Sand, an einer abgelegenen Stelle flicken Fischer ihre Netze. Am westlichen Ende stehen verschlossene Ferienbungalows. Von Bettenburgen hingegen keine Spur. Hinter dem Strand beginnen die Berge, und wer den Serpentinen folgt, erreicht in weniger als zwei Stunden die Grenze zu Jemen.

Am Wegesrand stehen knorrige Bäume. Weiße Tropfen rinnen an den geritzten Baumstämmen hinab. Zähflüssig, nach ätherischen Ölen riechend: Weihrauch, der Duft Arabiens. Die Weihrauchstraße der Antike hat ihren Ursprung in Oman, Macht und Reichtum klebten buchstäblich über Jahrtausende an dem kostbaren Harz. Die Weihrauchhändler konnten sich prachtvolle Bauten leisten, wie sie noch heute in Mirbat stehen, einer kleinen Küstenstadt unweit von Salàlah. Doch nur wenige Villen haben den Lauf der Zeit so gut überstanden wie die von Abullaziz Abuallah, 80. Der alte Mann zeigt auf eine sandfarbene Bootsskizze an der Hausfassade. „Früher verschifften mein Vater und ich Weihrauch nach Indien und China“, sagt er, doch steigende Einfuhrzölle und die sinkende Nachfrage ließen den Weihrauchexport Ende der 1970er Jahre zum Erliegen kommen.

Auf dem Souk von Salàlah türmen sich Weihrauchberge

Sultan Qabus schuf neue Einkommensquellen, Arbeitsplätze abseits des Weihrauchs. Und die Menschen waren froh, die schwere Arbeit gegen Anstellungen in Ministerien oder der Verwaltung tauschen zu können. Doch in jüngster Zeit sei das Bewusstsein für die alte Tradition wieder aufgeblüht, sagt Said Salim Said. Der Großvater des 30-Jährigen war ebenfalls Weihrauchhändler. „Heute versucht der Sultan, die Menschen wieder für den Weihrauchanbau zu begeistern, die Tradition zu erhalten.“ Die Ruine der alten Familienvilla wurde unlängst von der Regierung gekauft, sie soll restauriert und als Kulturerbe bewahrt werden.

Und es gibt sie noch, Menschen, die tagtäglich die beschwerliche Arbeit auf sich nehmen und die Auslagen der omanischen Märkte füllen. Auf dem Souk von Salàlah türmen sich Weihrauchberge. Vier verschiedene Qualitätsstufen gibt es. Der Erlesenste, Al-Hojari, kostet 50 Euro pro Kilo. Wer gut handeln kann, zahlt weniger. Eine ältere Frau sitzt vor ihrem Laden auf einem gelben Plastikstuhl, ihre wachen Augen blicken durch eine Hornbrille, ihre Hand umschließt eine Gebetskette. Seit 40 Jahren sitzt sie hier und verkauft Weihrauch. „Es sind schwere Zeiten“, sagt sie, das Geschäft lohne sich kaum mehr. „Aber ich möchte unser Erbe bewahren, darum mache ich weiter.“

Und so begleitet der Duft des Weihrauchs Reisende durch das Land. In jeder Hotelhalle, in den Cafés und Geschäften, überall steigt einem der würzige Rauch in die Nase. Der Duft des Weihrauchs, so allgegenwärtig wie die dunklen Augen des Sultans. Im echten Leben haben den Mann, der sich als volksnaher Gutmensch verstanden wissen will, übrigens die wenigsten gesehen. Wer nicht zu einer der regelmäßigen Audienzen vorgelassen wird, schätzt sich bereits glücklich, seine Majestät aus der Entfernung in einer gepanzerten Limousine erspäht zu haben. „In meinen Träumen habe ich ihm bereits die Hand geschüttelt, und Inschallah, so Allah will, werde ich das irgendwann auch im tatsächlichen Leben tun“, sagt Salim, der Qualitätsmanager.

Kristin Oeing

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