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© McPHOTO/vario

Namibia: Auch hier kam die Wende 1990

Am 21. März wird Namibia volljährig. Wer an einem Märzabend des Jahres 1990 im Windhoeker Stadion saß, wird sich mit etwas Wehmut an die Geburtsstunde des Landes erinnern. Trotz vieler Probleme ist Namibia ein afrikanisches Land, das funktioniert.

Die Sonne glüht in diesen Sommerwochen gnadenlos und heiß über Windhoek. Nur wenig bewegt sich im gleißenden Mittagslicht der namibischen Kapitale, kein Hauch von Wind ist spürbar. Es liegt etwas Träges, Erschöpftes und doch auch etwas Unbekümmertes in der heißen Wüstenluft, die bis zur Unabhängigkeit des Landes jahrelang vor politischer Hochspannung knisterte.

In vier Wochen, am 21. März, wird Namibia (geb. Deutsch-Südwestafrika) volljährig. Wer 18 Jahre zuvor, an einem regnerischen Märzabend des Jahres 1990, im prall gefüllten Windhoeker Independence-Stadion saß, wird sich mit etwas Wehmut an die Geburtsstunde des Landes erinnern. Zwei Fahnenstangen standen damals auf dem Spielfeld nebeneinander: An der einen wehte die Flagge der Verwaltungsmacht Südafrika, die wenig später für immer eingeholt wurde. Unter der anderen lag eine zum Hissen bereite – die blau-rot-grüne Flagge Namibias mit der Sonne im oberen linken Eck.

Eine für eine Unabhängigkeitsfeier wichtige Zutat fehlte damals jedoch: Stimmung. Als nach mehr als 30-jährigem Widerstandskampf das letzte unter Fremdherrschaft stehende Territorium Afrikas um exakt 0.22 Uhr in die Freiheit entlassen wurde, wollte sich partout kein Freudentaumel einstellen. Die Menschen klatschen zwar höflich; echte Begeisterung kam nicht auf. Dabei hatte die örtliche Brauerei zur Feier des Tages extra ein Unabhängigkeitsbier produziert, dessen Alkoholgehalt aber aus Sorge um einen geordneten Ablauf der Festivitäten auf vier Prozent beschränkt wurde. Es wäre nicht nötig gewesen: Nach der Geburt des neuen Staates zogen alle friedlich von dannen; das deutsche Reiterdenkmal wurde nicht geschleift. Statt dessen legten ihm ein paar Jugendliche einen Schal in den Farben der Widerstandsbewegung Swapo (South West African People’s Organisation) um den Hals.

Was ist aus Namibia geworden, nachdem der Alltag eingekehrt und das Land international in Vergessenheit geraten ist? Ein Blick auf Windhoek mit seinen bunten Jugendstilvillen, Parks und Kirchen gibt eine erste Antwort. Schwarz und Weiß flanieren hier heute einträchtig durch die City. In den Straßencafes genießen die Menschen Apfelstrudel und Bienenstich oder trinken in einem der Biergärten das nach deutschem Reinheitsgebot gebraute Windhoek Lager. Und wer durch das Zentrum der Hauptstadt streift, wundert sich bisweilen, dass man selbst als Besucher von deutschen Geschäftsleuten gegrüßt wird – oder von schwarzen Mädchen mit Rastalocken, bauchfreiem T-Shirt und einem Handy am Ohr.

Kein Zweifel: In einem Kontinent der Krankheiten und Bürgerkriege sticht Namibia noch immer als ein Land heraus, das funktioniert – und seine Hauptstadt spiegelt das wider. Hier verbindet man mit einer Krise noch nicht den Zusammenbruch von Recht und Ordnung wie etwa in Simbabwe sondern eher ein defektes Wasserrohr.

18 Jahre nach der Unabhängigkeit obsiegen in der ehemaligen deutschen Kolonie die Kräfte der Beharrung. Wegen der nicht unbedingt vorhersehbaren Vorsicht, mit der die Swapo jahrelang zu Werke ging, wird ihr von vielen Seiten Lob zuteil, auch wenn einige den Verdacht nicht loswerden, das Ausbleiben eines radikalen Wandels sei weniger einem bewusst pragmatischen Kurs zuzuschreiben als schlicht und einfach ein Zeichen politischer Apathie.

Nichts dokumentiert diese Kontinuität besser als die Straßennamen. Zwar heißt Windhoeks Einkaufsboulevard, die noch aus wilhelminischen Kolonialtagen stammende Kaiserstraße, inzwischen längst Independence Avenue. Und vom 40 Kilometer entfernten Flughafen fährt man jetzt auf dem nach Namibias erstem Präsidenten benannten Sam Nujoma Drive in die Stadt. Doch eine ganze Reihe von Straßen tragen wie der Schanzenweg oder der Ausspannplatz weiterhin deutsche Namen.

Für Konstanz hat aber auch gesorgt, dass der nach der Unabhängigkeit befürchtete Exodus der Weißen nicht stattgefunden hat. Die allermeisten der etwa 30 000 Deutschstämmigen unter den knapp 100 000 Weißen sind auch nach der Loslösung von Südafrika in Namibia geblieben. Und das, obwohl die seit der Unabhängigkeit unangefochten herrschende Swapo ihre bequeme Parlamentsmehrheit inzwischen von 57 Prozent auf über 75 Prozent ausbauen konnte – und damit eigentlich die Verfassung nach eigenem Gutdünken ändern könnte. Das langjährige Motto der Tageszeitung „The Namibian“ „bringing Africa south“, Afrika nach Süden zu verschieben, trifft für die meisten weißen Namibier jedenfalls nicht zu: Sie leben noch immer auf einer Erste-Welt-Insel, auch wenn Pessimisten unter ihnen befürchten, dass früher oder später die Wellen der Dritten Welt über diesem Eiland zusammenschlagen könnten.

Ein Grund für die latente Sorge findet sich darin, dass Namibia trotz seiner pluralistischen Verfassung in der Praxis einem Ein-Parteien-Staat gleicht. Wie in den wenigen Demokratien des Kontinents ist auch hier die Opposition keine Regierung im Wartestand. Ein wichtiger, vielleicht sogar der wichtigste Bestandteil der Demokratie fehlt.

Allerdings könnte sich daran womöglich bald etwas ändern: Ausgerechnet der frühere Außenminister Hidipo Hamutenya trat im November letzten Jahres aus der Regierungspartei aus – „aus Enttäuschung über den Stillstand und das zunehmend autoritäre Gebaren der Swapo“ wie er sagte. Drei Jahre zuvor hatte Hamutenya das Sakrileg begangen, sein Interesse am Präsidentenamt zu bekunden – und war daraufhin postwendend vom damaligen Staatschef Sam Nujoma, der dies als Affront empfand, als Außenminister geschasst worden. In Afrika wird ein Nachfolger eben vom allmächtigen Präsidenten oder dem Kollektiv der Partei bestimmt. Individualismus und persönlicher Ehrgeiz sind verpönt. Dass auch Hamutenya prompt in der Versenkung verschwand, zeigt, dass Kritik in der Swapo weiterhin wenig erwünscht ist.

Wie schwer es ist als neue Partei Erfolg zu haben, hatte zehn Jahre zuvor bereits Hamutenyas einstiger Parteikollege Ben Ulenga erfahren müssen. Dessen damals neu ins Leben gerufenen Kongressdemokraten (COD) bekamen bei den Wahlen 1999 zwar auf Anhieb zehn Prozent der Stimmen – allerdings auf Kosten der Turnhallen-Allianz, Namibias zweiter Oppositionspartei. An der überragenden Stellung der Swapo konnte auch Ulenga nichts ändern.

Die autoritäre Geisteshaltung der Swapo hat auch fast alle Weißen aus der Politik vertrieben. Seit den Wahlen vor drei Jahren ist unter den 72 gewählten Volksvertretern kein einziger Deutschstämmiger mehr vertreten. Dies ist umso bedenklicher als die deutsche Minderheit im ersten Parlament und Kabinett noch die am stärksten überrepräsentierte Gruppe war.

Nicht zuletzt wegen des von der Swapo eingeforderten Kadavergehorsams haben sich auch in Namibia inzwischen ein paar andere Symptome der afrikanischen Misere eingestellt: Ein Beispiel dafür ist der sogenannte „heroes acre“, eine Gedenkstätte für Widerstandskämpfer, die ein paar Kilometer südlich von Windhoek liegt. Nordkoreanische Brigaden haben hier eine totalitär anmutende Stätte gebaut, über dem ein gigantischer weißer Obelisk in den Himmel ragt. Davor steht das Denkmal des unbekannten Soldaten, dessen Gesichtszüge aber gar nicht so unbekannt sind sondern frappant an Ex-Präsident Nujoma erinnern. Nicht weit entfernt haben die gleichen Bauherren einen nicht minder pompösen Präsidentenpalast errichtet, der sich über einen ganzen Hügel zieht und das Bundeskanzleramt in Berlin in den Schatten stellt. Gesamtkosten dieser Gigantomanie: über eine Milliarde Namibia Dollar (etwa 100 Millionen Euro).

Dass gleichzeitig das staatliche Schul- und Gesundheitswesen zerfällt, scheint die Regierung weniger zu kümmern. Obwohl die lokalen Zeitungen regelmäßig auf die schlimmen hygienischen Zustände in den Staatshospitälern hinweisen, hat die Regierung bislang nichts dagegen unternommen. Dabei hat der simbabwische Politikwissenschaftler John Makumbe erst kürzlich bei einem Besuch mahnend darauf hingewiesen, dass auch in seinem Land der Staatszerfall mit dem Niedergang der Hospitäler und Schule begann.

Dass ein Großteil der Staatseinnahmen in den Norden des Landes fließt, wo mehr als die Hälfte der knapp zwei Millionen Einwohner Namibias leben, kann man der Swapo kaum verdenken. Zum einen besteht die Regierung ganz überwiegend aus Angehörigen der Volksgruppe der dort ansässigen Ovambo. Zum anderen ist das Ovamboland seit jeher die Hochburg der Swapo und entsprechend groß die Unterstützung.

Im Volksmund wird die verarmte Region zwischen dem Etosha-Nationalpark und der angolanischen Grenze wegen ihrer Unterentwicklung oft auch „Afrika“ genannt. Touristen verirren sich kaum hierher. Inzwischen sind hier zwar eine Universität und ein Messezentrum enstanden. Ansonsten reiht sich nur ein neues Einkaufszentrum an das nächste. Die sozialen Probleme, allen voran der eklatante Mangel an Jobs, sind trotz der vielen Gelder indes ungelöst geblieben.

Mag die Förderung nach den langen Jahren der Vernachlässigung auch verständlich sein, so birgt sie dennoch viele Gefahren. In Namibia könnte das geschehen, was Kenia gerade in eine tiefe Krise gestürzt hat: Eine Volksgruppe bekommt alles, die anderen fast nichts. Die Folge: zunehmende Ressentiments und schließlich die Entladung. Ein Beispiel dafür sind die im Zentralteil lebenden Herero, die viel stärker als die Ovambo unter der deutschen Kolonialherrschaft gelitten haben. Die vielen trostlosen Orte zeigen deutlich die Vernachlässigung der Region „Alles Geld fließt in den Norden, der Rest wird unterschlagen, und wir gehen fast leer aus“ klagt denn auch Katuutire Kaura, einer der bekanntesten Herero und Chef der oppositionellen Turnhallen-Allianz.

Die Weißen, die noch immer das Rückgrat der Wirtschaft bilden, kennen solche Sorgen nicht. Sie bangen vielmehr um den Fortbestand der von der Swapo eingeschlagenen Versöhnungspolitik – und schauen dabei nervös auf das Chaos in Simbabwe, wo Robert Mugabe zunächst auch fast 20 Jahre still hielt, um die winzige weiße Minderheit dann doch zum Sündenbock der von ihm verursachten Wirtschaftsmisere zu machen. Dass Simbabwe inzwischen kollabiert ist, scheint sich bis zur Swapo noch nicht herumgesprochen zu haben. Anders ist jedenfalls nicht zu erklären, dass ihre Führungsriege das ruinierte Land und die dort praktizierte „Landreform“ zum Vorbild der eigenen Entwicklung erhoben hat.

Wenig hilfreich war zudem, dass Nujoma ein besonders treuer Bundesgenosse Mugabes ist und vielleicht auch deshalb zum Ende seiner Amtszeit regelmäßig verbale Breitseiten auf die hellhäutigen Mitbürger abfeuerte. An guten Tagen titulierte er die Weißen dabei als „rassistische Eindringlinge“, an schlechten als „weiße Killer-Mafia“.

Dass Namibia dennoch weit von simbabwischen Zuständen entfernt ist, hat vor allem mit dem Rückzug Nujomas aus dem höchsten Staatsamt und der Wahl von Hifikepunye Pohamba zu seinem Nachfolger vor drei Jahren zu tun. Der überfällige Wechsel hat die politische Lage im Land deutlich entspannt. Obwohl sich an der Politik selbst wenig geändert hat, kann die Gesellschaft heute wieder freier atmen. Anders als Nujoma frönt Pohamba auch keinem Personenkult sondern gilt als ausgeglichen, bescheiden und zugänglich. Daneben gilt der Vater von sechs Kindern als weit weniger launisch.

Als ehemaliger Minister für Landfragen ist Pohamba aber auch für die bisher eher chaotisch verlaufene Bodenreform verantwortlich. Die nicht zuletzt damit verbundene Unsicherheit erklärt auch, weshalb der erhoffte Wirtschaftsaufschwung auf sich warten lässt. Die viel beschworene Unabhängigkeitsdividende hat eigentlich nur der Tourismus ausgeschüttet, der zurzeit wie kein anderer Sektor boomt. Allerdings haben trotzdem noch immer 35 Prozent der fast zwei Millionen Namibier keinen Job.

Wie schon zu Kolonialzeiten bildet der Bergbau das Rückgrat der Wirtschaft. Neuen Rückenwind hat Namibias Wirtschaft zuletzt vor allem durch die Renaissance der Kernkraft erhalten. Durch den starken Anstieg des Uranpreises ist nun auch die Zukunft der Rössing-Mine bei Swakopmund bis mindestens zum Jahr 2016 gesichert.

Trotz vieler Hürden und des politischen Stillstands gibt die Lage in Afrika jüngstem Staat folglich Anlass zur Hoffnung. Symptomatisch dafür ist auch, dass Namibias Infrastruktur sich noch immer in einem vorzüglichen Zustand befindet. Die tadellosen Teerstraßen strafen jedenfalls all jene Lügen, die meinen, das Schlagloch sei das Symbol des modernen Afrika.

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