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Traum in Türkis. Die Strände sind menschenleer. Der Fischer würde gern Touristen hinbringen und ein wenig hinzuverdienen. Osttimor ist ein armes Land.

© Urs Flüeler/mauritius

Osttimor: Krokodile können tanzen

Auf der Insel Osttimor herrschte lange Krieg. Sie hat Berge und Sandstrände – doch noch immer kaum Hotels.

Feiner flachsfarbener Sand, gesäumt von Mangroven und Palmen. Ein paar bunte Auslegerboote schaukeln in der glasklaren Sundasee und ein Dutzend halbnackter brauner Kinder spielt auf einem großen Felsen am Rande der Bucht von Bacau. Wir sind auf der Insel Osttimor, die irgendwo zwischen Indonesien und Australien im Pazifik liegt und mit weiten weißen Stränden wie auf einer Rum-Reklame gesegnet ist. Dazu kommen fast 3000 Meter hohe Berge im grünen Inselinneren, ideal zum Trekking und Mountainbiking. Obendrein ist Osttimor von einer Kette bunter Korallenriffe umgeben, faszinierende Reviere für Taucher und Schnorchler. Im Herbst ziehen Blauwale und viele seltene Delfinarten beinahe auf Flossendichte an Osttimors Küsten vorbei. Eine Südseeperle also. Und keiner fährt hin?

Wir hocken auf einladenden Liegestühlen, die die Fischer der kleinen Stadt Bacau für die wenigen Wochenendgäste, meist UN-Experten aus der heißen Hauptstadt Dili, und für die Touristen bereitgestellt haben – und trauen uns nicht, ins kristallklare Wasser zu springen, obwohl ein heißer tropischer Wind durch die Palmen fächelt. Keiner schwimmt im Meer? Doch, ein sportlicher älterer Mann krault gemächlich durch den Ozean. „Und die Krokodile?“, frage ich, als er sich zufrieden auf sein Badelaken fallen lässt. „Ach die“, wehrt der Mann ab, der sich als portugiesischer UN-Mitarbeiter vorstellt, als ginge es um ein paar kleine Sandhaie und nicht um vier bis fünf Meter lange, gefährliche Salzwasserkrokodile. Ausgezeichnete Schwimmer übrigens, die mal eben 1000 Kilometer Meer in einem Rutsch erledigen.

Früher bevölkerten die „Salties“ ganze Küsten Australiens und Südostasiens, bevor ihnen in den 1960er Jahren die Handtaschenjäger den Garaus machten. Fast! In Teilen Australiens und auf Osttimor haben die urzeitlichen Reptilien ganz gut überlebt. „Vor einem halben Jahr wurde hier ein Fischerjunge bei Vollmond von einem Krokodil gepackt und unter Wasser gezogen.“ Tot? Nun ja, der Körper wurde nie gefunden. Und eine Australierin kam mit einer Fleischwunde im Bein und dem Schrecken davon.

Lieber nicht baden bei Vollmond, Reptilien lauern auf Beute

Uns fröstelt trotz der Hitze. Doch die zwei, drei Krokodilunfälle im Jahr regten hier niemanden auf, sagt unser UN-Mann, schließlich habe ein so armes Land wie Timor andere Sorgen. Er trocknet seinen muskulösen Körper ab: „Ich schwimme immer nur tagsüber, mein Rat: nie nachts baden!“ Auch nicht bei Vollmond fischen.

Wer hatte nur die verrückte Idee, einen Familienausflug in dieses bizarre kleine Land am Ende der Welt zu wagen? Auf eine Insel von der Größe Schleswig-Holsteins, ebenso meerumschlungen, aber mit gefräßigen Reptilien drin? Die Mutter bekennt, dass sie in einer Mischung aus Elternliebe und Abenteuerlust den Rest der Familie einfach mitgezogen habe: Die Tochter, Politikstudentin, macht schließlich seit zwei Monaten ein Praktikum bei der UN – und findet Osttimor einfach nur toll.

Heute geht die Mutter nur bis zur Hüfte ins Meer, der Ehemann zieht sich in den Schatten zurück und besorgt sich bei den Fischern ein Bier, auch der erwachsene Sohn entscheidet sich für das sichere Ufer. Nur die Tochter springt und tollt im Meer herum, während die Eltern mit Argusaugen die Wasserfläche beobachten. In Osttimor steht das Krokodil nämlich nicht nur unter Artenschutz, es ist auch noch heilig. Ein Gründungsmythos: Die Timoresen glauben, dass ihre Insel ein Krokodilsrücken ist. Die Silhouette erinnert tatsächlich an ein Reptil. „Wenn Großväterchen Krokodil dich frisst, hat hier keiner Mitleid“, sagt die Tochter, „denn dann warst du in den Augen der Einheimischen wohl ein böser Mensch.“

Die Tour de Timor ist das härteste Cross-Country-Rennen der Welt

Wer von Bali aus, der indonesischen Touristenhochburg, zwei Stunden in die frühere portugiesische Kolonie Osttimor fliegt, der fühlt sich wie aus einer wohltemperierten Spa- und Wellnessoase ins real existierende Dschungelcamp versetzt: Schon der internationale Flughafen der Hauptstadt Dili, wo nur vier, fünf Maschinen täglich landen, wirkt wie ein tropischer Vorposten im Zweiten Weltkrieg. Dili dürfte fast die einzige Hauptstadt Asiens ohne moderne Skyline sein. Das erste Hochhaus ist eben erst im Bau. Es gibt ein paar schmucke portugiesische Kolonialbauten wie den Präsidentenpalast – und viele Wellblechhütten. Wie in Rio de Janeiro thront ein segnender Christus, 27 Meter groß, hoch über der türkisblauen Bucht, die Stadtstrände sind blütenweiß und sauber. Und immer grüßt das Krokodil: als skurrile Brunnenfiguren tanzen drei fröhliche spitzzähnige Krokodile am Stadtstrand Areia Branca den Reigen.

Dabei ist Timor in der australischen, japanischen oder singapuresischen Travellerszene längst ein „Geheimtipp“, eines der letzten Abenteuer Südostasiens. Jeden September fährt eine internationale Truppe von hartgesottenen Mountainbikern die Tour de Timor, laut „Lonely Planet“ das härteste Cross-Country-Rennen der Welt. Es geht über sechs wilde Etappen, Küste, Urwald und Gebirge. Straßen? Außerhalb Dilis sind sie kaum vorhanden oder mit Schlaglöchern groß wie Bombentrichter übersät, gute Teststrecken für robuste Geländewagen. Ohne Allradantrieb ist auch die atemberaubend schöne Strecke von Bacau bis nach Jaco Island an der Ostspitze nicht zu schaffen.

Wer deutsches Großstadtgewühl und Staus satthat, wird die siebenstündige Schaukelei im Landrover durch einsame Dörfer und viel Wildnis genießen. Straßenschilder gibt es, bis auf ein paar gelbe Krokodilwarnhinweise, nicht. Wegweiser auch nicht. Ampeln? Wofür? Die einzige Gefahr geht von Hühnern aus, die verkehrsblind über die Straße laufen. Die Fahrt führt durch wilde Flusstäler, mal durch feuchtheißen Dschungel, mal durch trockenen Busch mit Salzseen.

Nachbarn zanken, Männer grölen, Mopeds knattern

Da geht noch was. Busse sind das wichtigste Transportmittel.
Da geht noch was. Busse sind das wichtigste Transportmittel.

© imago

Wir sind an der Wallace-Linie, der biogeografischen Trennlinie zwischen australischer und asiatischer Flora. Nach einer letzten wilden Rallye durch eine Kraterlandschaft mit hüfttiefen Wasserlöchern und bockigen Wasserbüffeln, die den Weg blockieren, lockt das Meer mit dem paradiesisch anmutenden Jaco Island, unbewohnt und unter Naturschutz. Keine Krokodile. Behaupten jedenfalls die einheimischen Fischer, die uns mit dem Außenborder übersetzen. Dafür ziehen Hunderte von grazilen Delfinen um die Insel – unsere einzige Badegesellschaft beim Schwimmen und Schnorcheln.

Osttimor war der erste Staat, der im 21.Jahrhundert unabhängig wurde. Timor Leste, wie es offiziell heißt, wurde 2002 unter großem Einsatz der Vereinten Nationen geboren. Eine schwere Geburt, denn 1975, als sich die portugiesische Kolonialmacht zurückzog, marschierten die muslimischen Indonesier, selber im Besitz des Westteils der Insel, im überwiegend katholischen Osttimor ein. Offiziell ging es darum, den erwachenden Kommunismus Asiens einzudämmen. Der wahre Grund waren wohl die Erdölvorkommen vor Osttimors Küste, die heutige Lebensversicherung des jungen Staates.

Wer in Dili das schlichte Museo da Resistencia mit Fotos des erbitterten Krieges besucht, der kann den Kampf von David gegen Goliath nur bewundern: Eine armselige, halb verhungerte Guerrillatruppe hält fast 25 Jahre den vom Westen hochgerüsteten Indonesiern stand. Rund 180 000 Timoresen, fast ein Fünftel der rund eine Million Einwohner, kamen um.

Timoresen sind stolz auf ihre „Stadt des Friedens“

In nur zwölf Jahren hat sich die zerstörte Insel auf den Weg gemacht. Das ehrgeizige Ziel hieß Normalität. Blühende Landschaften sucht man vergebens. Es mangelt an allem: Schulen, Jobs, Fabriken, ärztlicher Versorgung, an sauberem Wasser. Die allermeisten Timoresen sind heute noch, was sie immer waren: Kleinbauern mit ein paar Hühnern, vielleicht auch einem Schwein vor der Hütte. Im Dezember 2012 erklärte die Uno ihr Baby dennoch für erwachsen und zog ab, nur Wirtschaftsexperten und NGOs, Mitglieder von Nicht-Regierungsorganisationen, blieben.

Handarbeit. Auf dem Markt von Dili zeigen Timoresen ihre Fertigkeiten.
Handarbeit. Auf dem Markt von Dili zeigen Timoresen ihre Fertigkeiten.

© imago

Und doch ist Osttimor eine Erfolgsstory: Mag Dili auch arm sein, die Timoresen sind stolz, dass ihre „Stadt des Friedens“ auch nachts als sicher gilt, sicherer vielleicht als die Bronx. Die Tochter wohnt in einer kleinen Einliegerwohnung im Slum, wo man ohne Ohropax nicht schlafen kann. Ab 3 Uhr nachts kräht direkt unter dem Fenster der Lieblingskampfhahn des Hausbesitzers, Nachbarn zanken, Männer grölen, Kinder schreien, Mopeds knattern, Fernseher blöken durch die Nacht.

Sonst keine besonderen Vorkommnisse. „Nach vier Wochen ging unser Vorhängeschloss kaputt“, erzählt die Tochter. „Joe, der Hauswirt, war zu träge, es zu ersetzen, die Haustür stand also Tag und Nacht offen, aber nicht ein einziges Gummibärchen wurde geklaut.“ Ihr Smartphone allerdings, heiß begehrt von jungen Timoresen, wurde gestohlen – nicht im heimischen Slum, sondern am Strand.

Alle sitzen barfuß am Strand und lassen das Leben vorüberziehen

Wer das beschauliche Leben der Tropen liebt, kann auch Dili schöne Seiten abgewinnen. Zum blutorangeroten Sonnenuntergang trifft man sich auf der Strandpromenade mit den windzerfetzten Palmen, wo die Fischer ihren frischen Fang grillen; alle sitzen barfuß am Strand auf winzigen Plastikstühlen, eine Dose Bier in der einen, in Kokosblättern verpackte Reisbällchen in der anderen Hand und lassen das Leben locker vorüberziehen.

Um den Tag zu beschließen, trifft sich die Szene auf der Terrasse des wunderbar altmodischen Hotel Esplanada zum Gin Tonic oder zur Moskov Mule mit viel Limone und Wodka. Die Bar, ein nach allen Seiten offenes Langhaus, sieht aus, als habe Sommerset Maugham hier beim Sundowner seine Südseeromane geschrieben. Timors heiliges Tier, diesmal ist es ein handgeschnitztes fahrbares Riesenkrokodil auf Gummireifen in der Halle des Esplanada, hätte ihn sicher inspiriert. Die bunt gemischte Gästeschar, einheimische Künstler und Musiker mit Rastazöpfen, neuseeländische Mountainbiker, Entwicklungshelfer aus Australien und anderswo.

Und mittendrin eine hübsche indonesische Journalistin aus Jakarta. Der Feind von einst? Die Band spielt soeben Osttimors getragene Nationalhymne „Loro Sa’e“, Land der aufgehenden Sonne. „Wir Timoresen sind gut im Vergeben“, sagt Alfeo, einer der Künstler, „wir wollen keine Rache.“ Er schüttelt die prächtigen Rastalocken und wendet sich einer blonden Australierin zu.

Swantje Strieder

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