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Abstand geboten. Helmkasuare, die zweitgrößten Vögel Australiens, sind an und für sich friedliche Zeitgenossen. Fühlen sie sich jedoch bedroht, können sie mit ihren scharfen Krallen schmerzhaft austeilen.

© imago

Wet Tropics: Da raschelt’s schon wieder

Der älteste Regenwald wächst in Australien, Heimat vieler Tierarten. Mittendrin kann man wohnen – in einer Lodge.

Unterm Treehouse-Restaurant lebt ein fünf Meter langer Python. Selten lässt er sich blicken. Im Winter kommt er gelegentlich hervor, ringelt sich um einen Baumstamm und wärmt sich ein wenig auf. Einsam ist das Tier nicht: „Er hat mehrere weibliche Pythons zur Gesellschaft, aber die sind nur ungefähr drei Meter lang“, erklärt vergnügt Paul Van Min, Manager der Silky Oaks Lodge. Doch wer im Daintree Forest im Nordosten Australiens angekommen ist, ist meist schon ruhiger geworden angesichts der vielfältigen Schrecken der hiesigen Fauna. Und so glauben wir gern, dass im Mossman River zu Füßen der Lodge nur Schildkröten und Frösche leben – nicht aber Krokodile, wie Paul versichert.

Der 1951 in den Niederlanden geborene ehemalige Tennisprofi kam 2009 aus Melbourne her, um das etwas angejahrte Hotel in eine luxuriöse Ökolodge zu verwandeln. „Ich hatte die Wahl, entweder weitere zehn Jahre in Melbourne zu bleiben oder etwas völlig Neues anzufangen“, sagt Van Min. Also verkaufte er sein Tenniszentrum und gab seine Mitarbeit bei den Australian Open sowie einen sehr geschäftigen Lebensstil auf, um in den Regenwald zu gehen. Heute wird in der Lodge gefiltertes Flusswasser als Trinkwasser genutzt, Abwässer werden aufbereitet; das nächste Projekt ist die eigene Stromerzeugung.

Das Weltnaturerbe Wet Tropics macht gerade mal 0,01 Prozent der Fläche Australiens aus, kann jedoch auf die größte Artenvielfalt des Kontinents verweisen. 1200 Insektenarten, 36 Prozent aller in Australien vorkommenden Säugetierarten, 70 Prozent der Falter und Schmetterlinge sowie 50 Prozent der Down Under heimischen Vogelarten leben hier. Der mit 150 Millionen Jahren älteste Regenwald der Welt ist nicht nur eine einzigartige Destination, er bedarf vor allem besonderen Schutzes. Nur logisch ist daher, dass seine rechtmäßigen Bewohner in der Silky Oaks Lodge nicht verscheucht werden. Auch nicht, wenn sie mehrere Meter lang sind.

Ohne Helmkasuare gedeihen bestimmte Baumarten nicht

Dennoch ist dies ein magischer Ort. Die Sonne schafft es kaum durch das grüne Dach des Waldes. Dass die Lodge auf gerodetem Farmland erbaut wurde, ist nicht mehr zu erkennen. Der Regenwald hat ihre am Abhang auf Stelzen ruhenden Häuser längst überwuchert. Am Morgen ist die Luft erfüllt von Vogelstimmen. Bunte Schmetterlinge flattern umher. Auf den Balkonen schaukeln Hängematten. Hier würde man gerne den Tag verstreichen lassen, bis die Holzböden am Abend im matten Licht erstrahlen und es Zeit ist für einen Drink in der Bar, untermalt von den Geräuschen des Regenwaldes. Im Treehouse-Restaurant wird das Dinner aufgetragen. Einzig der französische Küchenchef Laurent Pedemay wurde importiert; alle Zutaten stammen aus der Umgebung. Der Python bleibt unsichtbar.

Die Lage im einzigen Gebiet der Welt, in dem mit dem Great Barrier Reef und dem Regenwald zwei Weltnaturerbestätten aneinander grenzen, macht schon den Weg hierher zum Ziel. So einzigartig ist diese Landschaft, durch die der Captain Cook Highway an der Küste entlang nach Norden führt, so außergewöhnlich sind Fauna und Flora, dass man willens ist, unbequeme Wahrheiten zu vergessen.

„Wie alles andere in Australien haben auch Cassowarys (Helmkasuare) schon Menschen getötet“, weiß Glenn, unser Führer durch den Regenwald. Er meint den fast straußengroßen Vogel mit blauem Hals und großen, scharfen Klauen, der für den Erhalt des Regenwaldes besonders wichtig ist, zugleich mit einem geschätzten Restbestand von tausend Exemplaren im Daintree Forest Nationalpark als höchst gefährdete Art gilt. Aufgabe des Riesenvogels ist es, sonnige Plätze zu suchen und dort ihr Verdautes fallenzulassen. Denn die Samen von 30 verschiedenen Bäumen müssen das Verdauungssystem des Cassowarys passieren, um dann am Boden keimen zu können. Sind sie nicht damit beschäftigt, bewachen männliche Cassowarys Gelege und Jungtiere so eifersüchtig, dass Begegnungen mit ihnen gefährlich sein können.

„Wir leben ohne Zeit“

Auch sonst herrscht an Viehzeug kein Mangel. Nördlich von Port Mc Douglas, einem Kleinstädtchen von angenehmer tropischer Behäbigkeit, das dem vorgelagerten Riff am nächsten liegt, erstrecken sich zwischen Bergen und Meer Zuckerrohrfelder. In sie sollte man keinen Fuß setzen – nicht nur, weil sie nicht hierher gehören und ökologisch fragwürdig sind, sondern weil Schlangen sich in ihnen sehr wohl fühlen. Zwischen diesen Feldern liegt Mossman.

Das Städtchen besteht im wesentlichen aus einer Zuckermühle und Schienen, auf denen Rohrzucker transportiert wird. Sechzig Prozent der Bewohner sind Aborigines. Mit dem Mossman Gorge Center befindet sich außerhalb der Stadt ein Stück Regenwald, in dem Angehörige der Kuku Yalanji seit 2008 bei Traumzeitwanderungen ihren traditionellen Lebensstil begreiflich machen – mittlerweile 300 000 Besuchern im Jahr. Zuvor hatten die meisten von ihnen in Zuckerrohrplantagen rund um Mossman gearbeitet.

„Alles hat seinen Platz und eine Bedeutung.“ So umreißt Robbie Lafragua, genannt Skip, die uralte Kultur seines Volks und ergänzt: „Der Regenwald hat eine ungeheure Kraft und Energie.“ Die Gäste, die Skip durch den reinigenden Rauch eines Feuers führt, bevor er mit ihnen in die Schlucht des Flusses Mossman steigt, mögen sich eher fühlen, als raube ihnen die Hitze alle Kraft. Doch als Skip in den Wald schreit, um die Erlaubnis der Vorfahren für unseren Besuch einzuholen, und dann mit großen Schritten voraneilt, sehen wir ein, dass unsere Kapitulation vor den Temperaturen nur ein Indiz ist für das Ausmaß unserer Schädigung durchs Leben in der Zivilisation.

Skip erzählt, dass hier einstmals ein kämpferischer Stamm von Frauen lebte. Sie duldeten Männer erst in ihrer Gemeinschaft, nachdem ein männliches Baby, das sie ihren Gewohnheiten folgend ins Meer geworfen hatten, von Delfinen zurückgebracht wurde. „Das kann tausend Jahre her sein oder zweitausend“, erklärt er. „Wir leben ohne Zeit.“ Er zeigt giftige Pflanzen und solche, die heilend wirken; der Regenwald sei Apotheke, Lebensmittelgeschäft und Baumarkt. Skip demonstriert, wie man Hütten baut und aus welchen Pflanzen sich Speere fertigen lassen – sein persönlicher Rekord im Speerwurf liegt bei stattlichen 131 Metern, erzählt er nicht ohne Stolz.

Daintree Forest ist Weltnaturerbe

Achtung, australischer Humor – bekundet auf Straßenschildern.
Achtung, australischer Humor – bekundet auf Straßenschildern.

© Bisping

In der Schlucht angekommen, dürfen wir Füße oder auch den ganzen Körper ins Wasser tauchen – „Regenbogenwasser“, sagt Skip, das heilende Kräfte besitze. „Zu kalt für Krokodile“, beruhigt er, und ohnehin machten die vielen Felsen das Flussbett als Habitat untauglich für diese Tiere. Dafür gebe es hier Süßwasseraale, so groß, dass sie für 20 oder 30 Mahlzeiten reichten, zudem Flusskrebse und Schildkröten. Skip erzählt von dem babylonischen Sprachgewirr der Regenwaldvölker. Vier große Gruppen gibt es zwischen Port Douglas und Cooktown im Norden; in jeder werden bis zu 150 verschiedene Dialekte gesprochen.

Je weiter man nach Norden fährt, desto näher rückt das Great Barrier Reef an die Küste heran. James Cook segelte 1770 mit wachsender Verzweiflung in diese Richtung, wie die Namen bezeugen, die er verteilte: Mount Sorrow, Desparation Point, Cape Tribulation. Hier erreichte seine Trübsal ihren Höhepunkt, als er nach Wochen des Hoffens, dass die endlose Kette tückischer Riffe irgendwann enden würde, mit der „Endeavour“ auf Grund lief.

Heute ist Cape Tribulation die nördlichste Stadt, die ohne allradbetriebenes Fahrzeug zu erreichen ist. 1988 erklärte die Unesco den Daintree Forest zum Weltnaturerbe. Es war ein Sieg des Umweltschutzes in letzter Minute, nachdem das Land zuvor immer schneller erschlossen worden war.

Viele sind auf der Flucht, die meisten vor der Polizei

Jenseits des Daintree River ist die Natur noch fast unberührt. Der Fluss ohne jede Brücke und vor allem die in ihm heimischen Krokodile sorgten dafür, dass niemand auf die Idee kam, hier Zuckerrohr anzubauen. Auch heute noch, da Urlauber herkommen, um beim „Jungle Surfing“ angegurtet an Seilen von einer Baumkrone zur nächsten zu schweben, ist das Leben hier ein anderes als südlich des Flusses.

Strom gibt es nur, wo ihn Generatoren oder Solarzellen erzeugen, Geschäfte und Tankstellen sind rar, das Mobiltelefon taugt allenfalls als Taschenuhr. „Es ist eine besondere Art Menschen, die hier lebt“, sagt Glenn. Viele von ihnen seien auf der Flucht vor irgendetwas, die meisten vor der Polizei. Das glaube man zumindest im mit 4000 Einwohnern höchstens gefühlt urbanen Port Douglas.

In den Sprengeln Cow Bay und Cape Tribulation lachen die Menschen darüber. Doch während der Regenzeit, wenn hier alles verriegelt wird, keine Gäste kommen und nichts weiter zu tun ist, als das Boot aus dem Wasser zu ziehen und dem Regen zu lauschen, kann die Landschaft tatsächlich eine eigentümliche grüne Tristesse verströmen.

Nicht zu nah ans Ufer gehen

Nur die Autofähre führt in das Land jenseits des Flusses. Schilder mahnen, sich nach Möglichkeit vom Ufer fernzuhalten. Die gefürchteten Salzwasserkrokodile kommen bis zu 70 Kilometer von der Mündung des Flusses ins Meer entfernt vor. Es ist eine der von Australiern gerne bemühten Regeln, von denen man hofft, dass auch die Tiere sie kennen.

In Küstennähe ist ein großzügiger Sicherheitsabstand zum Fluss jedenfalls unbedingt geboten, wie Glenn beweist, als einer seiner Gäste beim Warten auf die Fähre ans Ufer tritt und sinnend ins Wasser blickt. Seine von heftigem Winken begleiteten, lautstarken Mahnungen lassen erkennen, dass auch die sonst so entspannten Australier nicht an die Umgänglichkeit dieser Tiere glauben.

Auf dunkelgrünen Bergrücken sacken Wolken, an der Küste erstrecken sich breite Sandstrände von geradezu unwirklicher Schönheit. Heute kauft die Regierung hier Häuser auf und ersetzt Bananenplantagen durch einheimische Pflanzen. Ziel ist es, den Regenwald wieder zu vergrößern. So soll auch der Cassowary vor dem Aussterben gerettet werden. Andere, die ihm tagelang nachgespürt sind, hatten schon eine Begegnung mit ihm, wir hingegen sehen ihn erst im Zoo in Cairns.

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