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Noch leben die Menschen auf dem vietnamesischen Archipel Con Dao davon, dem Meer ihr täglich Brot abzuringen. Mit dem Einzug des Tourismus könnte sich das ändern.

© Stephen Bures / Shutterstock.com

Paradies auf der "Teufelsinsel": Aufbruch am Außenposten

Con Dao liegt weit vor Vietnams Küste. Wo die Kolonialmächte Straflager unterhielten, zieht nun Luxus ein.

Das ist selten geworden auf unserem Planeten: unberührte Sandstrände auf einsamen Inseln, gesäumt von dschungelbewachsenen Bergen. Doch es gibt sie noch. Sogar im heute viel besuchten Vietnam, jenseits der überlaufenen Badestrände von rasch wachsenden Städten wie Nha Trang oder Danang. Der abgeschiedene Con-Dao-Archipel im Südchinesischen Meer, knapp 200 Kilometer vor der Südostküste, ist das bestgehütete Naturschutzgebiet des Landes. Schon 1993 wurden 80 Prozent der 16 tropischen Inseln des Archipels zum Nationalpark erklärt.

Bis vor kurzem reisten allenfalls vereinzelte Rucksacktouristen zu den exotischen Naturschönheiten. Auf der einzigen bewohnten Insel Con Son gab es bislang nur ein paar einfache Unterkünfte und ein größeres, von der Regierung betriebenes Hotel, hauptsächlich besucht von Einheimischen. Und die kommen nicht zum Schnorcheln oder Dschungelwandern, sondern pilgern zum Grab von Vo Thi Sau, Vietnams berühmtester Revolutionsheldin, auf dem Hang-Duong-Friedhof der Verbannten.

Con Son war 113 Jahre lang ein Synonym für die Hölle auf Erden. Es begann 1862, als die französische Kolonialmacht die traumschöne Insel in ein riesiges Gefängnis verwandelte, wo nur noch Inhaftierte, ihre Wächter, Soldaten und ein paar Verwaltungsbeamte lebten. Es gab genaue Anweisungen, wie die deportierten vietnamesischen Widerstandskämpfer zu behandeln waren: Schläge, Folter, Eisenketten, Sklavenarbeit. Zu essen gab es Reis, vermischt mit Sand, Kies und Porzellanstückchen sowie bitterem Trockenfisch, der gemeinhin als Dünger verwendet wird. Bis 1954 waren nacheinander 30 französische Gouverneure für die Torturen verantwortlich, danach gingen die Grausamkeiten nahtlos weiter unter südvietnamesischen Diktatoren und amerikanischen Invasoren bis zur Befreiung 1975.

Nun soll es mehr als drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung Vietnams und der Schließung der Gefängnisse auf der „Insel des Teufels“ einen Neubeginn geben. Mit der Eröffnung des ersten Luxushotels auf Con Son in einer einsamen Bucht, ausgerechnet mitten im Naturreservat, soll eine zahlungskräftige Klientel des globalen Jetset angesprochen werden. An dem makellosen Sandstrand der weitläufigen Anlage sind nun 50 luxuriöse Villen entstanden, die sich jedoch einigermaßen harmonisch an einen grünen Bergrücken schmiegen.

Gebaut wurde unter den strikten Bedingungen des Nationalparks. „Wir durften die Boote mit dem Bauholz und all den Dingen, die wir benötigten, nicht zum Strand bringen“, erzählt Susan Noonan, General Managerin des Ökoresorts Six Senses. Im Hafen des Hauptortes gibt es keine Kräne, keine Container. So musste alles in Kolonnen kleiner Boote herangeschafft und dann mit Fahrzeugen hierher transportiert werden. Susan lacht. „Als wir ankamen, gab es auf der Insel nur ein Auto – das gehörte uns. Aber die Armee hatte Lastwagen und Leute. Also haben wir die Armee beschäftigt und einen Lastwagen gekauft. Auch die Inselverwaltung zeigte sich erstaunlich hilfsbereit. Es war eine enorme Herausforderung, aber wir haben es nach mehr als vier Jahren Bauzeit geschafft.“

Die Gefangenen lagen nackt auf dem feuchten Fußboden

Mein Strand, mein Pool, meine Villa. Luxus auf der Insel Con Son.
Mein Strand, mein Pool, meine Villa. Luxus auf der Insel Con Son.

© Lottemi Doormann

Gepflegt und wohlhabend wirkt der einzige größere Küstenort von Con Son, acht Kilometer vom Resort entfernt. Busse gibt es nicht, keine Taxis, nur wenige Autos. Etwa die Hälfte der 5500 Einwohner sind Militärs mit ihren Familien, neben Fischern, Händlern und Verwaltungsangestellten. „Diese Insel ist der letzte Außenposten Vietnams“, sagt Pham Van Du, der in Leipzig studiert hat und in Saigon eine Reiseagentur betreibt. „Sie hat eine Schutzfunktion für die hiesigen Gewässer, auf die China, unser unberechenbarer Nachbar, und die Philippinen Ansprüche erheben. Deshalb ist die Armee hier.“

Eine doppelspurige Uferstraße, geteilt durch einen üppig mit Palmen und Büschen bewachsenen breiten Grünstreifen, zieht sich am Meer entlang und mündet in parkähnliche Verkehrsinseln. Schmucke Verwaltungsgebäude und hübsch renovierte Kolonialhäuser säumen den Boulevard, und die blitzsauber gefegten asphaltierten Nebenstraßen haben, obwohl schmal und kaum befahren, einen weißen Mittelstreifen. Im kleinen Fischerhafen, wo nun die Boote des neuen Resorts Six Senses zu den Korallenriffs der unbewohnten Inseln ablegen, erinnert ein Schild am Pier 914 daran, dass hier 914 Häftlinge beim Bau des Piers ums Leben kamen.

Wenige Schritte weiter an der Uferpromenade steht noch die verwitterte Stadtvilla der früheren Inselgouverneure. Dort erinnert ein kleines Museum an das unvorstellbare Leid von 200 000 auf der Insel Inhaftierten. An den Wänden hängen vergilbte Fotos von ausgemergelten, nackten Gefangenen in entsetzlichen Folterszenen. Dazwischen das gerahmte Notenblatt eines Liedes, das für die Partisanin Vo Thi Sau komponiert wurde. „Sie war die erste Frau, die von den Franzosen erschossen wurde“, sagt Phan Du, „gleich in der ersten Nacht ihrer Verbannung.“ Nur 18 Jahre alt sei sie geworden. Die Vietnamesen verehren sie wie eine Heilige, bringen um Mitternacht weiße Blumen, Shampoo, Kämmchen und Spiegel zu ihrem Grabmal aus Marmor. Auf dem verwunschenen stockfinsteren Friedhof, wo die Überreste von 2000 Toten begraben sind – nur wenige mit Namen – zünden sie Räucherstäbchen an und beten.

Sie sind noch da, die Kerker der „Teufelsinsel“, und können in Begleitung eines Führers besichtigt werden. Wir betreten das älteste Gefängnis Trai Phu Hai durch ein Tor in einer hohen Mauer. Auch für den 52-jährigen Van Du, der als Kind im nördlichen Haiphong seine ersten Schuljahre zum Schutz vor amerikanischen Bomben in einem Tunnel unter der Erde verbracht hat, ist es jedes Mal eine emotionale Achterbahnfahrt. Die Gefangenen waren hier angekettet und lagen nackt auf dem dreckig-feuchten Betonfußboden dicht nebeneinander. Manche Fußfesseln waren so eng und scharf, dass sie die Haut blutig scheuerten und die Gefangenen sich nicht bewegen konnten. Lebensgroße Gipsfiguren demonstrieren schockierend echt das Martyrium der Verbannten.

Der Archipel hat auch seine heiteren Seiten

Phang Hoang ist einer der wenigen "Tigerkäfig"-Überlebenden.
Phang Hoang ist einer der wenigen "Tigerkäfig"-Überlebenden.

© Lottemi Doormann

Phan Hoang Oanh, ein Mann von 67 Jahren, hat als einer von Wenigen die Torturen in einem der von der US-Armee eingeführten „Tigerkäfige“ überlebt. Er stammt aus einem Dorf im Mekong-Delta. Als junger Bauer schloss er sich 1964 der Nationalen Befreiungsfront an. 1970 wurde der damals 25-Jährige bei einem Kampf schwer verletzt, gefangen genommen und nach Con Son verbannt. Er saß mit vier anderen Leidensgenossen in einem der „Tigerkäfige“. Die waren eng, es war heiß. „Nachts haben wir Schichten eingeteilt. Vier legten sich hin, einer stand und fächelte Wind.“ So haben sie überlebt. Nach der Befreiung, nach fünf langen Jahren Gefangenschaft und Torturen, ist Hoang Oanh auf der Insel geblieben. Heute betreibt er ein kleines Café nahe dem Museum.

Schließlich hat der Archipel heute seine heiteren Seiten. Um Con Dao herum schwimmen zur Freude der Besucher etwa auch Dagong-Seekühe. Ähnlich den Manitis, die besonders an Floridas Golfküste zu finden sind, stehen sie unter Schutz. Allerdings schwimmen die archaisch anmutenden Schwergewichtler selten direkt vor Touristenobjektive. Die Vegetarier lieben es eher, unter Wasser zu grasen. Und können dabei schon mal 20 Minuten abtauchen, bevor sie wieder Luft schöpfen müssen. Doch wer als Urlauber nach Con Dao kommt, bringt vermutlich mehr Geduld mit als andere.

Nicht mit Geduld, sondern mit unbeugsamem Willen haben die Vietnamesen in ihrer Geschichte gegen Unterdrückung gekämpft. Doch die Schatten der Vergangenheit treten in den Hintergrund, wenn es ums Geschäft geht. So stellen sich die Tourismusplaner vor, mit umweltschonenden Luxushotels wie dem Six Senses und weiteren ehrgeizigen Ökoprojekten den lukrativen Tourismus auf dem Con-Dao- Archipelago kräftig anzuheizen. Die Einwohnerzahl auf Con Son soll sich in den kommenden Jahren verdoppeln. Vielleicht ist es schlau, Luxusreisende aus Asien, Europa und den USA in noblen Hotels und Residenzen zur Kasse zu bitten, um den einzigartigen Nationalpark mit seinen wundervollen Stränden und Wäldern zu erhalten. Was allerdings dann aus dem verschlafenen Städtchen Con Son mit seiner bitteren Geschichte werden soll, das wissen vermutlich auch die Planer nicht.

Lottemi Doormann

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