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Jetzt bloß nicht seekrank werden! - In der Spitze fährt die Sea Cloud 13 Knoten...

© Reinhart Bünger

Reisetagebuch Tag 15: Das Ende naht

Zum Abschied gibt es Baracuda-Rücken unter Querseen und Französische Wildente auf Sherrykraut. Die große Transatlantikfahrt auf der Sea Cloud nähert sich ihrem Ende.

3:00 Uhr

Die Uhren werden wieder um eine Stunde zurück gestellt. Herrlich: schon wieder eine Stunde länger schlafen. Uns schwant: Nach dem Rückflug wird es ein schweres Erwachen geben.

7:32 Uhr

Das Duschwasser ist mit einem Schlag heiß. Das muss daran liegen, dass jetzt alle duschen. Selbst was aus dem Kaltwasserhahn kommt, hat eine angenehme Betriebstemperatur. Da das Frischwasser aus Meerwasser erzeugt ist, kann das auch nicht anders sein: Die Wassereintrittstemperatur in die Osmoseröhren der „Sea Cloud“ liegt heute bei 27 Grad Celsius.

8:00 Uhr

Die Segel sind wieder gesetzt. Sie wurden über Steuerbord gebrasst. Endlich! Dem Schwerölqualm in der Luft konnte man ja keiner an Bord entkommen. Er wurde richtig schön in jede Ecke und Nische verteilt. Im Zusammenspiel mit den unbesegelten Masten leistet der Wind leistete ganze Arbeit. Er kam allerdings aus der falschen Richtung und deshalb liefen beide Maschinen in der vergangenen Nacht „Volle Kraft“ voraus. Bei strahlendem Sonnenschein ist es am Morgen unheimlich windig.

8:10 Uhr

Zwei unserer Ex-Seefahrer unter den Passagieren sitzen schon am Frühstückstisch. Günter isst allerdings nichts. Der 86-Jährige hält sich mit frühmorgendlichen Umrundungen der Viermast-Bark  fit. Dabei nascht er am Frühstückstisch für Frühaufsteher und Anbeter des Sonnenaufgangs.

„Das duftet da immer so, da muss ich zulangen“, erzählt er. Nils und Günter reden über das Starten der Maschinen am Mittwochnachmittag. „Ich fand das nicht schön, dass das Geschaukel anfing“, sagt Niels. Unter Segeln ist nämlich der leichte Seegang besser zu ertragen.

Da der Wind anders auf die „Sea Cloud“ steht, treffen uns jetzt auch Kreuzseen, die ziemlich unangenehm werden können, wenn sie höher werden. Sie schütteln das Schiff etwas durch. „Ich fand das Geschaukel richtig schön“, sagt Günter. Niels versteht sofort, in Günters Augen hatte es so geblitzt. „Ach, so meinst Du das.“

Am anderen Nachbartisch unterhalten zwei männliche Passagiere über die Trinkgelder. „Bei uns ist ein Knabe“, sagt der eine und meint das Personal für die Kabinen, „dem gebe ich beim Ende der Reise 20 Euro. Du dachtest natürlich, Du hast eine Kammerzofe, nicht wahr?“ - „Habe ich“, sagt der andere, „sie bekommt auch 20 Euro.“

Kleiner Tipp: Das Trinkgeld am Anfang verteilen – dann hat man als Passagier besonders viel von diesem Leistungsanreiz. Das Personal der Sea Cloud erreicht indes auch ohne Trinkgelder die volle Reinigungskraft. Die Reederei empfiehlt als Obolus für die gesamte Mannschaft den Richtwert von 14 Euro pro Tag und Person. Schaun 'mer mal, was dabei herauskommt.

Was sogar den Ersten Offizier sprachlos macht

8:30 Uhr

Die dafür eingeteilten Crew-Mitglieder haben wieder angefangen, das Messing an Bord zu polieren. Heute sind die Tankdeckel zum Einfüllen von Wasser und Schweröl dran. Sie werden erst einmal mit einer feinen Drahtbürste bearbeitet. Dann mit Putz-Paste behandelt und schließlich mit Klarlack gestrichen.

Das hält dann eine Weile. Petra, die mit uns reist, hat einen „Deckhand“ länger zur Reinigungsprozedur befragt. Jetzt ist sie glücklich. Petra weiß nun, wie Messing gereinigt wird. Die Tuben mit der Polierpaste gibt es schließlich auch in Deutschland. Der Witz dabei: Messing-Polierpaste lange genug einwirken lassen und vorher ruhig dick  auftragen

9:30 Uhr

Blaues Wasser, Wind, Wärme – typisches karibisches Wetter. Dem Ersten Offizier Christian Haas fehlen zum täglichen Wetter- und Positionsbriefing fast die Worte. Er sagt nur das Wesentliche, denn der tückische Wind hat ihm fast die Stimme geraubt. „Der Wind steht fast in Nord“, stößt er noch hervor, „zwischen dem zweiten und dritten Quadranten Steuerbord, achtern raus, querab, also im Winkel von 90 Grad.“

Wenn er weiter in Nord-Nordost drehe sei das für einen Rahsegler wie die „Sea Cloud“ optimal. Die Besansegel sind nicht gesetzt – sie würden unsere Fahrt nicht wesentlich unterstützen. „Genießen Sie den letzten Tag und weitere 17 Stunden an Bord“, kiekst Haas noch. Irgendwelche Fragen?. Ja, unsere Lektorin und Weltumseglerin Pam Wall (USA) hat noch eine: „Können wir den Kurs in Richtung Panama ändern?“

10:12Uhr

Sergio, „Deckhand“ aus den Philippinen ist auf dem Weg nach oben. Er scheint über dem Sonnendeck im vorderen Teil des Schiffes auf so etwas wie einer Schaukel zu schweben,. Das Sonnendeck liegt über dem Steuerhaus und wird auch „Monkey Deck“ oder auch „Peildeck“ genannt.

Über dem Großsegel verlaufen hier zwei miteinander verbundene Stahlseile. Die Verbindung -ein so genanntes „Kuhmaul“ - hatte Geräusche verursacht.  Das konnte der Kapitän Vladimir so nicht länger dulden. Er schläft unmittelbar unter dem Seil, wenn er schläft. Und so wurde das Kuhmaul wieder „kraftschlüssig“ - also ganz fest – angezogen.

.12:30 Uhr

Der „Chef de Cuisine“Mathias Leischnig hat zum dritten Mal ein Käsewagenrad aus dem Kühlraum an Deck rollen lassen. Wenn dieer Parmesankäse auf den Tisch kommt, steht jedes Mal ein Fest an. Denn dann gibt es Nudeln, die heiß in den aufgeschnittenen Parmesankäse kommen, der sich durch die heißen Nudel erweichen und mit einem scharfen Löffel auskratzen lässt.

Vor einigen Tagen wurden Käse und Parmesam noch mit einer Trüffelsoße veredelt: da mourire, wie der Italiener sagen würde. Zum Niederknien, wenn nicht zum Sterben. Das Käse-Wagenrad wird nach dem Essen mit Meerwasser ausgespült und schließlich „gedeckelt“ mit einer etwa 10 cm hohen oberen Scheibe. So kann er dann wieder jederzeit frisch auf den Tisch kommen – soll so drei Wochen halten.

15:00 Uhr

Auf dem Lido-Deck werden die Werke präsentiert, die Passagiere der „Sea Cloud“ unter Anleitung von Lektorin Heidemarie Übelacker-Bröring geschaffen haben. Einige haben künstlerischen Anspruch, andere sind künstlerisch – gelungen sind sie alle.

Droht Skorbut?

18:00 Uhr

Wir laufen wieder unter Maschinenkraft dem Hafen St. John's/Antigua entgegen.Dabei wäre eine Flaute auf See für uns Passagiere jetzt  das Richtige. Auf frisch gepressten Orangensaft könnten wir verzichten. Drei bis vier Liter werden täglich verbraucht. Täglich wird nämlich eine Stiege verbraucht und Orangen sind die ersten Artikel an Bord, die demnächst Mangelware werden könnten. Skorbut droht uns indessen trotzdem nicht. Noch keine Zähne ausgefallen.

19:00 Uhr

Der Kapitän Vladimir Pushkarew lädt auf dem Lido-Deck zum Champagner ein und bittet anschließend im Restaurant zum Abschiedsdinner. Die Stimmung ist heiter-gefasst, die Bekleidung dem Bekleidungsvorschlag folgend: elegant. Jeder Transatlantikfahrer wird mit Handschlag vom Kapitän, Hoteldirektor Simon Kwinta und Kreuzfahrtdirektorin Gabi Eidamer begrüßt.

Mit einigen der Passagiere wird es im kommenden Jahr ein Wiedersehen geben, vorausgesetzt alle bleiben gesund und die „Sea Cloud“ hat weiterhin stets eine Handbreit Wasser unter dem Kiel. Niels und Günter werden wieder dabei sein, wie auch Jens und Susanne.

Gilbert und Katherine haben einfach schon mal die legendäre Eigner-Kabine Nr. 1 bis zum Jahr 2015 durchgebucht. Ihnen kann nur ein saudischer Scheich mit einer besseren Offerte einen Strich durch die nächste Crossing machen. Bar-Pianistin Gaynor Trammer greift auf dem Lido-Deck schon mal in die Tasten.

Sie hat eine CD mit Filmmusiken herausgebracht. Auf den Titel „What are you doing the rest of your life?“ freuen wir uns jetzt schon. Denn wir können uns durchaus vorstellen an Bord der „Sea Cloud“ zum „Wiederholungstäter“ (Repeater) zu werden. Schön, wenn wenigstens eine Zukunftsfrage schon einmal geklärt ist.

19:25 Uhr

Mal sehen, was es zu Kapitän Pushkarew's Abschiedsdinner zu essen gibt. Die Speisefolge: Gebackener Feta Käse mit Trüffelhonig, französische Wildente auf Sherrykraut mit Apfel, Tamarillo Sorbet, Hummerschwanz mit Spargelrisotto mit Sauce Chroron, Delice von Schololade und Passionsfrucht, dazu 2010 ConClass Sitios de Bodega Rueda D.O., Spanien und/oder 2009 Barbera d'alba D.O.C. Costa di Bussia Piemont, Italien.

19:30 Uhr

Das Abschiedsessen beginnt, Gott-sei-Dank in der Nähe von Niels und Günter. Dann wird es nicht so steif. Beide legen auch gleich wieder mit gegenseitigen Frotzeleien los. „Weiß jemand eigentlich, ob der Kapitän.auf der Kruzenshtern gefahren ist, der ehemaligen Padua?“, fragt Günter.

Dazu muss man wissen, dass Günter sich als „Trainee“ auch mit seinen weit über achtzig Jahren immer wieder in den Masten des russischen Rahseglers „Kruzenshtern“ ausbilden lässt. Das letzte Mal war er vor zwei Jahren, mit 84 Jahren, 55 Meter hoch oben auf den Rahen - „und ich hatte da zu tun“, betont Günter.

Wie wir aus einem Privatissium mit dem aktuellen „Sea Cloud“-Kapitän wissen, ist unser Gastgeber tatsächlich auf dem Schiff gefahren – als Deckoffizier in den Jahren 1992 bis 1999. Gleich anschließend musterte er als dritter Offizier auf der „Sea Cloud“ an. Pushkarew hat sich hochgedient, auf russischen Großseglern hochgedient.

Vor seiner Zeit auf der „Kruzenshtern“ begann er seine Offizierslaufbahn als Kadett auf der „Sedov“. Seitdem hat Pushkarew etwas gegen Quereinsteiger, so hört man an Bord der „Sea Cloud“. Auch die „Sedov“ ist eine Viermast-Bark. - der größte noch segelnde Rahsegler der Welt mit einer Verdrängung von 5300 Tonnen. 1921 in Kiel für die Bremer Reederei Vinnen vom Stapel gelaufen gelaufen und 1936 an den Norddeutschen Lloyd verkauft, kam sie 1949 unter sowjetische Flagge.

An diesem „Windjammer der Superlative“ hängt das Herz des Kapitäns, der einen russischen Pass hat: 75 Mann Besatzung und 100 Kadetten. Damit kann man auf den Rahen richtig Betrieb machen. Mit Schiffen wie der „Sedov“ und der „Kruzenshtern“ lassen sich viel mehr und anspruchsvollere Manöver fahren als mit der „Sea Cloud“, weil mehr Personal an Bord ist.

Auf den Lastenseglern kann man sich ins Zeug legen und muss keine Rücksicht nehmen auf mögliche Empfindlichkeiten von Luxus-Passagieren . Auf der Segelmotoryacht sei er eigentlich nur „der Busfahrer“, stapelt Pushkarew tief. Gut dennoch, einen wie ihn auf der Brücke zu wissen – er war schon mit ganz anderen „Oldtimern“ unterwegs und hat viel Erfahrung.

Doch zurück zu Günter und Niels. Der sagt, nachdem er von der bisherigen Berufslaufbahn Pushkarews gehört hat: „Siehste Günter, da pass' mal schön auf, dass Du nicht eine Schlagzeile in der BILD-Zeitung produziert: „90-jähriger stürzte in kurzen Hosen aus einem Mast der Kruzenshterrn“.

Günter, der 86 Jahre alte Seebär, geht darauf gar nicht ein und kehrt zum Essen zurück: „Der Erste ist inzwischen komplett ohne Stimme, der sollte sich mal Zwiebeln unters Bett legen.“ Dies wird das erste sein, was wir nach der Rückkehr in unserem Haushalt einführen.

Reisekoordinaten

Reisedaten SY „Sea Cloud“

Position um 8 Uhr morgens: Auf dem Baracuda Rücken, genauer gesagt:

18 Grad, 38 Minuten nördlicher Breite,

55 Grad, 55 Minuten westlicher Länge

Wassertiefe: zirka 5300 Meter

Außentemperatur: 27 Grad Celsius

Wassertemperatur: 27 Grad Celsius

Luftdruck 1006 Hektopascal

Durchschnittsgeschwindigkeit über Nacht: 10,2 Knoten

Um 8 Uhr Segel wieder gesetzt

Der Nord Äquatorial Strom sollte und mit 0,5 Knoten schieben, ist aber nicht spürbar.

Gesegelte Entfernung von Donnerstag, 15.12.2011 (8 Uhr)

bis Freitag, 16.12.2011 (8 Uhr): 246 Seemeilen

Windstärke 5 gedreht auf Nord-Nordwest

Entfernung bis zum Fahrtziel St. John's (Antigua): 363 Seemeilen (=Reststrecke).

Zurückgelegte Gesamtstrecke: 2948 Seemeilen

Kurs 275 Grad

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