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Reisetagebuch Tag 16: Von Hand gesegelt, von Hand geregelt: Die Sea Cloud ist fast am Ziel

Abschiedsklänge an Bord, Sorgen eines Küchenchefs, Henkersmahlzeit und der unwiderruflich letzte Tag auf See.

Sonntag, 18. Dezember 2011

0:45 Uhr
Zwei Ehepaare – eines aus Finnland, eines aus Deutschland – verabschieden sich nach einem letzten Drink in die Nachtruhe. Auf dem Lidodeck sagt Barpianistin Gaynor Trammer beiden musikalisch „Guten Abend, gute Nacht.“ Beide Paare drehen sich noch einmal um und singen gemeinsam mit den letzten Gästen, die noch an der Bar beim Gin sitzen.

„Morgen früh, wenn Gott will, sind wir wieder an Deck“. Bartender Bebot und Bartenderin Marlene klatschen ihren Gästen begeistert Applaus. Plötzlich hatten zwei unvermutete Sopranstimmen ihre magische Wirkung an Bord entfaltet.

05:02 Uhr
Der Lotse, der uns in den Hafen von St. John’s bringen soll, ist nirgends zu sehen. Doch halt, da ist ein Motorgeräusch zu hören. Ein Boot der Küstenwache nähert sich unauffällig und kommt steuerbord längsseits. Es ist gänzlich unbeleuchtet, hat noch nicht einmal Positionslampen gesetzt. Der 2. Offizier schüttelt den Kopf. „So etwas habe ich überhaupt noch nicht gesehen. Willkommen in der Karibik.“

07:30 Uhr
Niels kommt zu Frühstück. Er wirkt leicht benommen. Ob der letzte Gin am Vorabend nicht ganz in Ordnung war? „Ich wird’ mal nach Libanon fahren. Soll ja so schön sein“, sagt er. Frühstückspartner Günter hält davon wenig. „Ich fahre lieber in die Südsee, wegen der Schönheiten.“ – „Warum, sind die da nackt?“, will Niels wissen.

„Nein, das nicht“, sagt Günter, „noch angezogen. Die Mädels haben da so Kokosschalen vor der Brust und machen Musik. Außerdem setzen die sich jeden Tag einen frischen Blumenkranz auf. Jeden Tag.“ Niels interessiert eine Reise durch die Südsee nicht wirklich und er wendet sich unserer Lektorin Heidemarie Übelacker-Bröring zu, die mit am Tisch sitzt: „Mal sehen, ob der Weihnachtsmann Deinem Mann Erich neue Schuhe bringt.“

Erich Übelacker, langjähriger Leiter des Planetariums in Hamburg, läuft seit einigen Tagen mit grauen Gartenclogs über Deck – obwohl weit und breit kein Lehmboden zu sehen ist. Wahrscheinlich sind sie nur sehr bequem.

09:30 Uhr
Wieder wird an Bord von den Gästen Musikalisches geboten. Dieses Mal geht es um den 1. Offizier, der heute sein 62. Lebensjahr vollendet. Die Passagiere freuen sich mit Christian Haas über seine spät begonnene Karriere als Berufsseemann mit der Spezialisierung Rahsegler. „Happy birthday to you“! Günter (86) hat angestimmt.

Beim Wetter- und Positionsbriefing versagt dem Ersten allerdings wie gestern schon die Stimme. Das liegt heute jedoch anscheinend nicht an der leichten Erkältung. „Heute, am letzten Tag auf See, darf ich das so formulieren“, sagt Haas: „Es ist der Seemannskunst des Kapitäns zu verdanken, dass das Tiefdruckgebiet, das so lange vor uns lag, uns so lange – fünf volle Tage – mitgezogen hat.

Wir haben eine traumhafte Überfahrt gehabt, sowohl vom seemännischen als auch vom menschlichen Standpunkt aus gesehen. Für morgen früh um 5 Uhr ist die Aufnahme des Lotsen zur Einfahrt in den Hafen von St. John’s geplant, soweit ist alles im Zeitplan. Danke Ihnen!“ Wie benommen bleiben die Passagiere noch ein paar Minuten sitzen. Das war unser letztes Wetter- und Positionsbriefing auf dieser Fahrt? Ja, das war’s.

Henkersmahlzeit

10:46 Uhr
An Deck wird geschmirgelt, gehämmert, geklopft und geknüpft. Zwei Mann haben das Innenleben der Winden inspiziert und klopfen nun Rost. Auf dem Vordeck ist ein Matrose mit dem Knüpfen einer Strickleiter beschäftigt, eine neue Lotsentreppe ist bereits fertig. Sie wird morgen früh ins Wasser gelassen, spätestens um 5 Uhr.

11:52 Uhr
Der Bootsmann ist mit seiner kleinen mobilen Eingreiftruppe wieder auf dem Weg nach hinten, nach achtern. Ein Passagier hatte sich beschwert, dass unmittelbar an der kleinen Treppe zum Achterdeck – sie hat nur zwei oder drei Stufen – kein Handlauf angebracht ist.

Wird sofort im Auftrag der Schiffsleitung erledigt. Der Bootsmann muss über die beiden Endstücke zur Befestigung des Rundholzes lachen: Falsch angeschraubt sähen sie wie zwei Eierbecher an der Reling aus.

12:00 Uhr
In einer halben Stunde gibt es das letzte Mittagessen für uns an Bord. Eine Art Henkersmahlzeit: Morgen früh müssen wir leider von Bord. Vorher wollen wir aber noch mit dem Hotelchef Simon Kwinta sprechen. Wie bereitet er das Schiff auf eine derartige Reise logistisch vor?

„Im Prinzip kommt alle sechs Wochen ein Container mit neuer Ware für uns“, sagt Simon. Darin sind Wein, Champagner, Kaffee, außerdem Geschirr, Mehl, Reis und alles weitere, was Simon beim Schiffsausrüster Schoemaker in Bremen bestellt hat. Für den Karibik-Törn musste alles einen Monat vorab geordert werden.

Die Bestellung für einen so langen Törn ohne Hafenkontakt ist natürlich besonders wichtig. Für die Transatlantikfahrt wurden allein 2000 Literflaschen Mineralwasser geladen. Solange das Schiff in Europa unterwegs ist, kann immer in Häfen nachgekauft werden. Besonders Frischware. Die wird gegebenenfalls auch eingefroren, insbesondere Fisch.

Maximal drei Wochen kann die „Sea Cloud“ mit Besatzung und Passagieren unterwegs sein, ohne einen Hafen anlaufen zu müssen – dann geht der frische Proviant an Bord zur Neige. Ohnehin sind die Lagermöglichkeiten begrenzt: Die „Sea Cloud“ ist schließlich eine Segelmotorjacht, die 1931 als Privatjacht für maximal 12 Passagiere und 60 Besatzungsmitglieder ausgelegt wurde.

Heute fahren hier 60 Besatzungsmitglieder und 60 Passagiere mit. Den letzten Container hatte die „Sea Cloud“ in Portimao (Portugal) aufgenommen, der nächste steht in St. John’s (Antigua), unserem Zielhafen. Kleinere Dinge, wie empfindliches technisches Gerät werden von den Offizieren selbst mitgebracht. Im neuen Jahr sind die nächsten Container dann Ende Januar und im März zu erwarten, letzterer wird nach Barbados bestellt.

16:00
Zeit für die Tee- und Kaffeetafel auf dem Promenadendeck. Alles wird vom Küchenpersonal aus dem Bauch des Schiffes mühsam herbeigeschafft. Besonders weit sind die Wege auf das Lidodeck. Hier geht es auch noch treppauf, treppab. Muss das sein? Ein Küchenaufzug könnte doch den Ablauf beschleunigen und unkomplizierter machen. Der Hotelmanager will davon nichts wissen.

Das Schiff werde von Hand gesegelt, da bleibe die Handarbeit auch beim Service. „Auf der ,Sea Cloud II’ muss der Küchenaufzug sehr oft repariert werden, weil das Küchenpersonal ungeduldig ist, ständig die Knöpfe drückt und dadurch die Elektronik ruiniert.“ Damit wolle man auf der „Sea Cloud“ gar nicht erst anfangen. Es gebe schon genügend Ärger mit der elektrischen Orangensaftpresse.

Let it be...

16:20 Uhr
Zum letzten Mal werden auf unserem Törn die Segel eingeholt. Alle Passagiere sind noch einmal an Deck gekommen, um zuzuschauen – und zu fotografieren oder Filmaufnahmen zu machen. Der Tag war bisher bedeckt, jetzt klart es gottlob noch einmal auf.

16:45 Uhr
Der beiden Musikkanäle an Bord sind ganz auf Gefühl programmiert. Im Wissen um die Abschiedsstimmung laufen im „Middle of the Road“-Kanal Titel wie „Suzanne“ von Leonard Cohen und „Let it be“ von den Beatles. Wir fügen uns in unser Schicksal und packen die Koffer.

Im Klassikprogramm sind sehnsuchtsvolle Geigenschluchzer zu hören. Um die Zusammenstellung der Titel für beide Programme kümmern sich die Bordpianisten. Arbeitsauftrag: „Let the good times role – when you’re dead you’re gone“.

17:15 Uhr
Jeder vertreibt sich auf seine Weise die letzten Stunden an Bord und dabei wird noch so manch Überraschendes entdeckt. Die Toilette neben dem Restaurant auf dem Promenadendeck übt offenbar auf Manche einen besonderen Reiz aus. Das liegt nicht am Porzellan oder einer besonders guten Aussicht.

Caren hat bereits bei ihrem ersten Besuch der Bordtoilette etwas anderes aus dem Häuschen gebracht: ein beigefarbener Leinensack. Der ist unter dem Waschbecken für die benutzten Handtücher angebracht. In den Rand sind Ösen eingenäht, damit man ihn einhängen kann.

In gleicher Machart gibt es eine Aufbewahrungsgelegenheit für Toilettenpapier. „Haben wollen!“, hat Caren sofort gedacht. Sie hat sich auf der Reise gleich zwei Behältnisse von Besatzungsmitgliedern nähen lassen. So nimmt sie auch ganz handfeste Erinnerungen an die „Sea Cloud“ mit von Bord nach Hause.

19:30 Uhr
Es gibt zum Abschluss der Reise ein „Karibisches Büfett unter den Sternen“. Der deutsche Chefkoch Matthias Leischnig hat jetzt alle Hände voll zu tun. Wir nehmen ihn trotzdem kurz zur Seite, denn er macht seine erste Atlantikfahrt als „Chef de Cuisine“, das wird doch eine besondere Herausforderung für ihn gewesen sein.

„Ja, man muss sehr genau planen. Ordentliches Gemüse beispielsweise auch noch zum Ende einer solch langen Reise zu haben, ist das Wichtigste. Immer mehr Frisches geht mit den Tagen kaputt. Deshalb servieren wir jetzt mehr lagerfähiges Kohl- und Wurzelgemüse“, erzählt Leischnig.

All my bags are packed...

Gurken etwa hielten sich nun mal keine zwei Wochen. Auf den kommenden Einkauf in der Karibik freut er sich zwar, aber das sei zugleich ein schwieriges Unterfangen. Orangen, Papayas & Co seien zwar geschmacklich erstklassig, doch Farben, Formen und Größe seien oft nicht mit der 1A-Ware vergleichbar, die Erste-Klasse-Gäste gewohnt seien.

Hier müsse man im wahrsten Sinne des Wortes erst mal sehen. Neben dem deutschen Container mit Trockenprodukten für die „Sea Cloud“ wird deshalb auch noch Frischware in einem Container aus Miami erwartet.

Die Verpflegung der Crew bereitet da weniger Probleme. Für sie gibt es einen eigenen Koch, einen Philippiner. Seine Landsleute machen auch einen großen Teil der Mannschaft aus. „Philippiner sind mit Schweineohren zufrieden, die wollen gar keinen Schweinerücken.“

Frischen Fisch zu bekommen, sei in der Karibik natürlich kein Thema, sagt Leischnig: Dorade, Wolfsbarsch und Meerbarbe, der Chefkoch freut sich schon. Wenn er mehr Platz hätte auf der „Sea Cloud“, was wäre dann sein Wunsch? „Eine Tageskühlzelle hinter dem Restaurant“, sagt er.

Zwar mache jeder Gang schlank, doch für die Küchencrew sei es schon mühsam, alles Gekühlte aus einem tiefer gelegenen Deck nach oben zu holen. Wie kalkuliert er denn für die Küche? Leischnig denkt nach und nennt diese Parameter: 20 Prozent der angelieferten Ware muss im Laufe der Reise entsorgt werden, weil sie verdirbt.

An Flaschenweinen werden auf der „Sea Cloud“ bis zu 40 Flaschen pro Tag konsumiert, der Mehlverbrauch liegt bei 200 Kilogramm für 16 Tage und außerdem werden täglich 10 Kilogramm Reis gegessen – vornehmlich von den Philippinern.

21:45 Uhr
Der Koffer ist längst gepackt. Na, mal sehen, ob noch etwas vom Karibischen Büfett übrig ist – sonst wird es in der Lido-Bar ja sicher noch einen Absacker geben.

23:30 Uhr

Noch einmal an Deck in den tropischen Sternenhimmel schauen – das wäre schön gewesen. Stattdessen gibt’s einen tropischer Regenschauer, der sich gewaschen hat.  Caren fürchtet, ihr Mann könne sich nackt ausziehen, um den Schauer zu genießen. Es wäre nicht das erste Mal.

Doch das bleibt ihr und den anderen Gästen erspart. Jetzt ist es Zeit, mit Gedanken von Bernhard schlafen zu gehen: „So etwas wie hier an Bord“, sagt der Ex-Microsoft-Mann, „das Zusammenwachsen einer Gruppe wird die Ausnahme werden – die Menschen werden zunehmend nur noch mit sich selbst beschäftigt sein.“

Reisekoordinaten

Reisedaten SY „Sea Cloud“

Position um 8 Uhr morgens: Immer noch über dem Barracuda-Rücken,

17 Grad, 35 Minuten nördlicher Breite,

59 Grad, 06 Minuten westlicher Länge

Wassertiefe: zirka 6200 Meter

Außentemperatur: 27 Grad Celsius

Wassertemperatur: 27 Grad Celsius

Luftdruck 1006 Hektopascal

Durchschnittsgeschwindigkeit über Nacht: 10,2 Knoten

In der Nacht: beide Maschinen gehen volle Kraft voraus

8 Uhr Segel wieder in der Ausgangsposition (nicht mehr gebrasst)

Zurückgelegte Entfernung von Freitag, 16.12.2011 (8 Uhr)

bis Sonnabend, 17.12.2011 (8 Uhr): 200 Seemeilen

Windstärke 4-5 gedreht auf Nord-Nordwest

Entfernung bis zum Fahrtziel St. John's (Antigua): 170 Seemeilen (=Reststrecke).

Zurückgelegte Gesamtstrecke: 3150 Seemeilen

Kurs 270 Grad

Insgesamt haben wir eine Distanz von 1550 Seemeilen unter Segeln zurückgelegt, das entspricht einem Anteil von 46,7 Prozent an der Gesamtstrecke von 3317 Seemeilen.

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