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Reklamation 2.0: Beschweren in 140 Zeichen

Wer nach einer Reise unzufrieden ist, muss sich nicht länger durch den Dschungel der Hotlines quälen – oft ist es effektiver, sich in sozialen Netzwerken wie Twitter zu äußern. Der Fall Kevin Smith zeigt neue Möglichkeiten auf.

Flüge verspäten sich, Hotels sehen im Prospekt besser aus als am Urlaubsort, Reiseführer sind inkompetent und gebuchte Ausflüge werden abgesagt – wer verreist, muss damit rechnen, dass nicht alles glatt verläuft. Womit Reisende leider auch rechnen müssen: dass sie sich, wenn sie sich beschweren möchten, stundenlang in Telefonwarteschleifen von Für Elise betüdeln lassen müssen. Oder mit dem Satz "ich verbinde Sie weiter" von einer Stelle zur nächsten gereicht werden, bis ihnen die Energie ausgeht. Manchmal dürfen sie ihr Anliegen sogar vortragen, aber die Gegenseite schaltet auf stur. Doch es gibt direktere Wege als E-Mail und Telefon. Der US-amerikanische Regisseur und Drehbuchschreiber Kevin Smith, der mit Clerks – die Ladenhüter bekannt wurde, hat es in der vergangenen Woche vorgemacht: Er beschwerte sich auf Twitter.

In mehr als hundert Kurzmeldungen, sogenannten Tweets, kritisierte der Regisseur die Fluggesellschaft Southwest Airlines. Ein Pilot hatte ihn mit der Begründung, er sei zu dick, aus dem Flugzeuge geworfen. Smiths Twitter-Offensive hatte Erfolg. Der Schriftwechsel zwischen dem in Rage geratenen Filmemacher und der Fluglinie, sowie Kevin Smiths Podcast darüber, erzeugte eine derartige Aufmerksamkeit, dass es die Nachricht innerhalb von 24 Stunden sogar in die deutsche Presse schaffte. Am Ende gab Southwest Airlines nach: Im firmeneigenen Blog, in Anrufen und auf Twitter selbst, entschuldigte sich die Fluggesellschaft bei Kevin Smith.

Die eilige Reaktion der Fluglinie war durchaus berechtigt. Kunden wehren sich zunehmend öffentlichkeitswirksam im Internet und das kann unangenehme Folgen für ein Unternehmen haben. Bereits im vergangenen Sommer hatte der kanadische Countrymusiker Dave Carroll der US-amerikanischen Gesellschaft United Airlines auf ähnlichem Wege eine öffentliche Entschuldigung und Wiedergutmachung abgetrotzt, nachdem seine 3.500-Dollar-teure Gitarre von Gepäckarbeitern beschädigt worden war. United Airlines hatte zunächst wenig Kulanz erkennen lassen: Carroll musste sich mit Hotlines und wechselnden Ansprechpartnern herumschlagen, doch seine Beschwerde wurde abgewiesen. Bis er ein Musikvideo zu den Vorfällen aufnahm und es auf YouTube veröffentlichte. Das lustige Video verbreitete sich über Facebook und Twitter und sicherte dem Musiker jede Menge Sympathien. Für die Fluggesellschaft wurde es zu einem PR-Desaster. Am Ende musste sie nachgeben.

"Twitters Relevanz als schnelles und quasi-persönliches Medium zeigt sich beispielhaft an diesen Geschichten", sagt Thomas Praus von der Berliner Agentur Panorama 3000, die unter anderem Universal Music, Langenscheidt oder Constantin Film in Social-Media-Angelegenheiten berät. "Gerade die Vernetzung der Twitterati untereinander sorgt dafür, dass sich eine Nachricht sehr schnell verbreitet." Aber auch auf der Seite der Unternehmen ist man sich der neuen Kanäle und deren Bedeutung bewusst. Marco Dall’Asta, Leiter der Abteilung Online-Kommunikation der Lufthansa in Frankfurt bestätigt den gestiegenen Stellenwert von Twitter, Facebook und anderen Netzwerken: "Wir beobachten genau, was über Lufthansa gesagt wird, wo eventuell etwas aus dem Ruder läuft, wie man Beschwerden versachlichen und mit den Menschen in Kontakt treten kann."

Twitter ist in Deutschland als Kommunikationskanal noch nicht so beliebt wie in den USA. Während sich dort neben Hollywood-Schauspielern und Popstars auch der US-Präsident unter den prominenten Nutzern des Onlinedienstes tummelt, sind es hierzulande der Fußballfunktionär Reiner Calmund oder Comedians wie Dieter Nuhr und Michael Kessler. Hinzu kommt, dass viele Unternehmen Twitter zwar zur Verbreitung von Informationen und Meldungen nutzen, längst aber nicht als echten Kommunikationskanal. Die TUI beispielsweise meldet sich derzeit kaum häufiger als einmal am Tag, und fast ausschließlich mit PR-Texten. Thomas Cook Deutschland twittert zwar öfter, aber ausschließlich Marketingmeldungen. Entsprechend gering ist der Zuspruch von Reisenden in beiden Fällen.

Dennoch ist es die Mischung aus der Geschwindigkeit der Kommunikation einerseits, und der hohen Aufmerksamkeit der Unternehmen andererseits, die Twitter als Weg der Beschwerde für Kunden so interessant macht. Weil Meldungen im Sekundentakt hundertfach weitergeleitet werden, wachsen sich scheinbar kleine Fehltritte deutlich schneller und häufiger zu Kommunikationspannen aus, als noch vor Jahren. Und weil sich mehr Reiseunternehmen darüber im Klaren sind, bemühen sich diese, auch die auf den ersten Blick unwichtig oder ungerechtfertigt erscheinenden Beschwerden ernst zu nehmen. Nur so lässt sich einem Ausarten der Diskussion von vorneherein entgegenwirken. Vor allem, dass die Anfragen – anders als in E-Mails oder Telefonaten – automatisch vor einer grundsätzlich interessierten Öffentlichkeit gestellt werden, macht einen umsichtigen Umgang mit Kritik sehr wichtig.

Auch in dieser Hinsicht ist Twitter aus Kundensicht für Beschwerden geeignet: Letztlich zählt nur der Grad der Aufmerksamkeit, und der wird in Followern berechnet, den Abonnenten eines jeweiligen Autors. Aus dieser Perspektive stellt sich das Kraftverhältnis zwischen Kevin Smith und Southwest Airlines umgekehrt dar: Den Ausführungen des Regisseurs folgen auf Twitter fast 1,7 Millionen, der Fluggesellschaft dagegen etwas mehr als eine Million Menschen. Thomas Praus von Panorama 3000 sagt: "Ohne die Prominenz Kevin Smiths und seine Millionen Follower, die er sich durch aktive Nutzung erarbeitet hat, wäre die Geschichte wohl nie zu einem solchen Medienthema geworden." So pauschal möchte das Marco Dall'Asta von der Lufthansa nicht sagen: "Bei einer Kundenanfrage spielt die Followerzahl keine Rolle", sagt Dall'Asta. "Auch bei Prominenten sind wir bestrebt, den Status auszublenden und allen Kunden einen guten und zufrieden stellenden Service zu bieten. Allerdings wird man bei Beschwerden gut vernetzter oder prominenter User schneller auf die Angelegenheit aufmerksam."

Zum besonderen Charme von Twitter gehört allerdings, dass sich ein Mangel an Status oder Followern mit etwas Geschick einfach ausgleichen lässt. Wer taktisch vorgehen und seine Beschwerde wirksam platzieren will, sollte zunächst danach Ausschau halten, welchen Usern die Meinungsführer, vor allem aber das betreffende Unternehmen auf Twitter folgen und gegebenenfalls direkt mit diesen Kontakt aufnehmen. Wichtig ist auch die Wortwahl: Je eindringlicher, überzeugender und unterhaltender das eigene Anliegen formuliert wird, desto größer ist auch die folgende Aufmerksamkeit. Die Wahrscheinlichkeit, dass die geäußerte Kritik wahrgenommen wird, steigt mit jedem Unterstützer, der sich die persönliche Beschwerde durch eine Widerveröffentlichung – im Jargon Retweet genannt – zu Eigen macht.

Die Bereitschaft, sich wie Kevin Smith mit viel Verve aufzuregen, gehört allerdings auch dazu. Ob das Ergebnis – ein öffentlicher Kniefall der Fluggesellschaft und Zuspruch weit über die Twitter-Gemeinde hinaus – für ihn zufrieden stellend war, ist fraglich. Neben den vielen aufmunternden und bestätigenden Worten erntete er nämlich auch Spott und Beschimpfungen. Am Montag twitterte er: "Lasst uns morgen über etwas anderes reden." Bisher hat man bei Twitter nicht auf ihn gehört.

Quelle: ZEIT ONLINE

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