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Die Hexe Baba ist der Liebling russischer Kinder. Jetzt wartet sie in Kukoboj im Gebiet Jaroslawl auf Väterchen Frost. Foto: mauritius images

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Reise: Russland im Märchen

Sagen- und Mythengestalten sollen mehr Touristen in die Dörfer locken.

Väterchen Frost, Hexe Baba Jaga, die schöne Wassilissa und Ilja Muromez sind in Deutschland längst keine Fremden mehr. Viele Kinder kennen die russischen Märchengestalten auch aus Spielfilmen der früheren Sowjetunion. In Russland kommen die Mythen- und Sagengestalten nun zu neuen Ehren – als Touristenattraktion. Das Riesenreich setzt auf „märchenhafte Orte“, in Abgrenzung etwa zum westlichen Disneyland.

Rund ein Dutzend dieser Orte versucht, der oft trostlosen russischen Provinz mit zauberhaften Geschichten und Erlebnistourismus mehr Leben einzuhauchen. „Viele Städte haben noch nicht verstanden, dass sich mit dem Märchentourismus gutes Geld verdienen lässt“, sagt der Moskauer Marketing-Experte Alexej Koslowski.

Am bekanntesten ist der Ort Weliki Ustjug im Norden des Riesenreichs als Heimat des russischen Weihnachtsmanns Ded Moros – zu Deutsch: Väterchen Frost. Die Behörden dort versuchen, dem verbreiteten Bild von schlechter Infrastruktur und miesem Service wie zu kommunistischen Zeiten etwas entgegenzusetzen.

Die wahre Identität des imposanten Ded-Moros-Darstellers hüten die Behörden wie ein Staatsgeheimnis. Und die Kinder haben ihren Spaß. Auch Moskau pumpte in das rund 900 Kilometer von der Hauptstadt entfernte Weliki Ustjug große Summen für den Freizeitpark von Ded Moros mit Hotels, Museum, Zauberwald und Märchenzoo mit Bären und Elchen. Mehr als 200 000 Touristen sollen inzwischen jedes Jahr in die urige Handelsstadt aus dem 12. Jahrhundert pilgern.

Das Potenzial solcher Initiativen sei riesig und schaffe Arbeitsplätze, meint Koslowski. Die russischen Märchenstädte und -dörfer berufen sich in ihrem Marketing auf ihre mythologische Verwandtschaft zu den sagenumwobenen Protagonisten der Märchen von Alexander Afanasjew, dem russischen Gegenstück zu den Gebrüdern Grimm, und von Alexander Puschkin. Der „zauberhafte Tourismus“, wie die Zeitung „Moskowskije Nowosti“ schrieb, soll auch die Kassen der meist verarmten Regionen füllen.

Während manche Orte ihren „Ehrenbürgern“ ein Denkmal errichten, wie die Stadt Murom der Heldengestalt Ilja Muromez, schreiben andere neue Märchengeschichte. Ein Beispiel: Kikimora, die urslawische Gottheit. Im Sommer lud sie – halb Mensch, halb Huhn – zur Hochzeit mit dem Hausgeist Domowoi ein. Beide setzten damit ihrer „1000-jährigen wilden Ehe“ ein Ende. In dem Dorf Wjatka nahmen mehr als 2500 Touristen an dem Spektakel teil.

Im Gebiet Jaroslawl lebt die Hexe Baba Jaga im Dorf Kukoboj. Die buckelige Alte mit der Hakennase und Warzen im Gesicht in ihrem Häuschen auf zwei Hühnerbeinen gehört zu den Klassikern russischer Märchen. Böse sei ihre Baba Jaga gar nicht, sondern gastfreundlich und gutmütig, betonen die Dorfbewohner. „13 Arbeitsplätze sind entstanden, wir konnten Wege und Straßen erneuern“, erzählt Tourismuschefin Lilia Pletnjowa.

Doch der Märchenzauber löst nicht nur Begeisterung aus. Die russisch-orthodoxe Kirche, eine gesellschaftliche Kraft mit Einfluss, ärgerte sich zunächst über die „Verherrlichung des Bösen“. Nun verkaufen Gläubige an Wegrändern in dem Hexenort Weihwasser und Heiligenbildchen – für das Seelenheil der Märchenpilgerer.

Julia Katharina Brand

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