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Beach Boys and Girls, die sich offenbar freuen, dass sie die Strände von Sao Tomé und Príncipe heute und wohl auch künftig nicht mit den Ballermännern dieser Welt teilen müssen.

© picture alliance / AP Photo

Sao Tomé und Principe: Inseln der Illusionen

São Tomé und Príncipe vor Afrikas Westküste trumpfen auf mit Natur – und warten darauf, neu entdeckt zu werden.

Im Schneckentempo wankt der Geländewagen über die ausgewaschene Lehmpiste. Vorbei an anscheinend geräumigen Stelzenhütten, abwechselnd muschelweiß, bonbonrosa oder patinagrün gestrichen. Sie sind einfach, ganz offensichtlich. Doch Elend sieht anders aus. Und die tropische Vegetation entlang des Wegs explodiert geradezu. Mango-, Papaya-, Maracuja-, Guaven- und Jackfruchtbäume allüberall, dazu grandios wuchernde Bananenstauden, und Schlingpflanzen, die irgendwie alles umwickeln. Hinter den Gartenzäunen gedeihen üppig Blumen und Gemüse. An den Türen kleben Plaketten der Anti- Malaria-Kampagne, danke derer die Tropenkrankheit zurückgedrängt werden konnte. Nur Autos sind nicht bis selten zu sehen; kein Wunder, auf der Insel gibt es nur 30 Kraftwagen, wie unser Fahrer sagt. Die Insulaner gehen in der Regel zu Fuß. Und das stets hübsch langsam. Leve-leve, immer mit der Ruhe. Auf Príncipe, draußen im Atlantik vor der Küste Afrikas, balancieren Frauen nahezu alles, was es zu tragen gilt, auf dem Kopf: Wasserkanister, Geschirr, Fische, die im Fluss gewaschene Wäsche – und bei Regen schützende Bananenblätter. Ein Feldarbeiter bleibt stehen, versteckt vor den Fremden die scharfe Machete hinterm Rücken, und grüßt. Eine Frage des guten Stils eben.

Es gibt tatsächlich Fleckchen auf unserer Erde, von denen die Welt noch kaum etwas weiß. Sie sind einfach zu winzig. Oder sind irgendwie aus der Zeit gefallen. Wer mit dem Finger auf der Landkarte am Äquator entlang fährt, muss vor der Küste Westafrikas Halt machen. Dann findet er in der Bucht von Guinea so ein Minifleckchen – die Inselrepublik São Tomé und Príncipe. Übrigens das zweitkleinste Land Afrikas nach den Seychellen.

Príncipe ist noch siebenmal kleiner als São Tomé, die andere Hauptinsel des Archipels. Wer sich ihr etwa schön langsam in einer Propellermaschine nähert, sieht den schwarzgrünen Landflecken im Atlantik sehr genau: 128 Quadratkilometer groß, mit einem Kleingebirge aus erloschenen Vulkanen und tropischem Regenwald bis an die Küste. Je dichter, desto weniger Mensch. Lediglich 5000 Einwohner zählt das Eiland. Graziös geschwungene Buchten geben dem undurchdringlich scheinenden Grün einen hübschen Rahmen aus goldgelben Stränden. An der Flussmündung des Rio Papagaio sind die Häuser der etwa 1500 Einwohner zählenden Inselkapitale Santo António zu sehen.

Häuser aus der Kolonialzeit und bemerkenswerte Ruhe

An der Tagesordnung. Gelassenheit unter kolonialen Bögen.
An der Tagesordnung. Gelassenheit unter kolonialen Bögen.

© George Osodi, pa

Es ist, als wäre die Zeit stehengeblieben. Auf ganz Príncipe ist das so, selbst in Santo António gewinnt der Besucher diesen Eindruck. Es herrscht eine merkwürdige, oder vielleicht besser gesagt: bemerkenswerte Ruhe. Nur wenige Straßen sind angelegt, recht ansehnliche Häuser aus der Kolonialzeit, ein roséfarbener Gouverneurspalast, einige Kirchen (80 Prozent der ganz überwiegend afrikanischen Bevölkerung sind Katholiken), eine Radiostation, eine Post, zwei Banken, ein Markt und drei nette Restaurants, wie das „Rosa Pão“. In Nullkommanichts hat der Gast den Überblick. Die ausgesprochen schläfrige Hauptstadt São Tomé auf der Schwesterinsel ist im Vergleich dazu regelrecht eine quirlige Metropole. Nun, sie hat ja auch etwa 50 000 Einwohner.

Mit Beginn der portugiesischen Kolonisation gegen Ende des 15. Jahrhunderts dienten die bis dahin unbewohnten Inseln als wichtiger Umschlagplatz für den Sklavenhandel zwischen Afrika und Brasilien. Und schon bevor die Inseln 1572 der portugiesischen Krone unterstellt wurden, siedelte Lissabon von der Inquisition ausgewiesene portugiesische Juden und Strafgefangene hierher um. Die Plantagenwirtschaft florierte. Wie damals üblich in Kolonialreichen vor allem dank Sklaven und anderer Zwangsarbeiter. Zunächst setzten die „Herren“ auf Zuckerrohr, Anfang des 19. Jahrhunderts wurde auf Kaffee umgestellt und 100 Jahre später zählten São Tomé und Príncipe sogar zu den drei größten Kakaoproduzenten der Welt. Der damals angeblich weltbeste Kakao kam von hier. Eine Musterkolonie also. Die Sklaverei wurde 1869 abgeschafft, doch andere Formen der Zwangsarbeit blieben bis ins 20. Jahrhundert hinein bestehen. Das Land wurde 1975 in die Unabhängigkeit entlassen, die Plantagenwirtschaft kam zum Erliegen.

Auf Príncipe ist vor allem die Natur das größte Kapital bei dem Versuch, endlich auch im Tourismus Fuß zu fassen. Der Regenwald, der die Südhälfte überwuchert, ist wegen der ungewöhnlich großen Zahl an endemischen Pflanzen und Vogelarten soeben erst unter Unesco-Schutz gestellt worden. Ein Himmelreich für Wanderer, Botaniker, Vogelbeobachter. Vereinzelte touristische Anläufe gab es deshalb bereits, so richtig auf der touristischen Landkarte etablieren konnten sich die Inseln jedoch bisher nicht.

Das Bom Bom Island-Resort ist nur ein Beispiel. Es liegt auf einer schmalen Landzunge an der Nordspitze von Príncipe. Strand auf beiden Seiten. Außer Papageiengekrächze und Palmenrascheln ist hier nur fünf Mal pro Woche ein Propellerflugzeug zu hören. Um Affenbrotbäume, blühende Hibisken und den Pool in der Mitte gruppieren sich die 19 Bungalows, die durchaus ansprechenden Komfort bieten. Das türkisfarbene Meer und der „Schnorchelfelsen“, bei dem man unweigerlich auf Muscheln, Schildkröten, Zebra- und Papageienfische stößt, liegen quasi vor der eigenen Terrasse. Spuren im Sand können nur von den eigenen Füßen stammen. Oder vom allgegenwärtigen Personal.

Ziel: "Juwel des ökologischen Tourismus" bis 2030

Alles Kopfsache. Traditionell wird der Fisch in São Tomé zu Markte getragen.
Alles Kopfsache. Traditionell wird der Fisch in São Tomé zu Markte getragen.

© picture-alliance/ dpa

Ein kleines Vulkanriff, lediglich über einen langen Holzsteg zu erreichen, wo Gäste essen oder einen Drink nehmen können, hat auch bei Mark Shuttleworth romantische Gefühle geweckt. Die Bevölkerung nennt ihn den „Mann vom Mond“, weil der Südafrikaner 2002 als zweiter Weltraumtourist mit einem 20-Millionen-Dollar-Ticket zu den Sternen flog. Zurück auf dem Blauen Planeten fand der IT-Millionär den Himmel auf Erden: Príncipe. Er beschloss, dieses irdische „Paradies“ zu retten, wobei philanthropische Wallungen nicht die alleinigen Triebfedern sein dürften. Immerhin lässt sich Shuttleworth die Investition nun weit mehr kosten, als seine Spritztour ins All.

Für sein durchaus ambitioniertes Projekt hat er das Unternehmen HBD (Here be Dragons) gegründet. „Hier wohnen Drachen“, schrieben britische Seeleute früher angesichts unentdeckten Landes in ihre Seekarten. Príncipe ist so ein Drachenland, auf dem man garantiert bei Null anfangen kann. Unternehmungen anderer Investoren zuvor waren von jeweils kurzer Dauer, lokal begrenzt und ohne gestalterisches Konzept. Shuttleworth dagegen hat eine Vision: Tourismus als Entwicklungsmodell im Einklang mit der Natur, der Artenvielfalt und der Bevölkerung.

HBD hat bereits die Hälfte der Nordinsel gekauft oder gepachtet, darunter das Bom Bom Island-Resort, verlassene Strandhotels, ausgewählte „Traumstrände“ wie Macaco, Boi und Uba, an denen Vier- und Fünf-Sterne-Luxusherbergen entstehen sollen – umweltverträglich, nachhaltig, rückbaubar. So heißt es zumindest. Man darf gespannt sein, ob es gelingt.

Auch zwei brachliegende Plantagen gehören zum Projekt, Roça Paciência und Roça Sundy. „Wir werden bis 2020 mehr als 70 Millionen Euro investieren“, sagt Nuno Rodrigues aus Lissabon, Direktor von HBD. Bis 2030 soll die Umwandlung Príncipes in ein „Juwel des ökologischen Tourismus“ abgeschlossen sein. „Cocooning“ (das Zurückziehen in den eigenen Lebensraum) ist sein Schlüsselwort: Zielgruppe sind Menschen, die ihr Glück in der Natur, der Stille und der Zurückgezogenheit suchen. „Pauschaltourismus im üblichen Sinne wollen wir nicht“, sagt Rodrigues.

Auch für den Boss der Drachenfirma heißt das Motto Leve-leve, in seiner Interpretation: sanftes Vorgehen. Nur so könne man verändern, ohne zu zerstören. Auf den Plantagen sollen wie zu kolonialen Zeiten wieder Kakao, Kaffee, Vanille, Ingwer und Pfeffer wachsen. Mit selbst geschulten Mitarbeitern und eigenen Pflanzungen will er weitgehend autark werden. Der autonomen Regierung von Príncipe gegenüber hat HBD ein Jobversprechen abgegeben: 90 Prozent der Mitarbeiter sollen Einheimische sein.

Die Roça Sundy ist die einzige Plantage, die einigermaßen erhalten ist. Bis 2019 soll hier ein Boutiquehotel, ein botanischer Garten, ein Museum und eine Sterne-Observatorium entstehen. Noch immer wirkt die Anlage wie eine Kleinstadt mit Herrenhaus, langen Wohntrakten für mehr als 1000 Arbeiter, Krankenhaus, Kirche und einer Lorenbahn zum Hafen in Santo António. Senhor João, der Fahrer vom Bom Bom Island-Resort, ist auf Sundy aufgewachsen. Die Kolonialzeit hat der 60-Jährige als Kind erlebt, auch noch viel Unfreiheit, worüber er allerdings nicht gern spricht. Die herrschaftliche Residenz durfte er seinerzeit nur betreten, um die Messingknöpfe an den Esszimmerstühlen zu polieren.

Eine Kooperative ist von damals übriggeblieben, knapp 100 Familien. Alle leben von der Landarbeit, vom Fischfang – und von der Hoffnung auf einen neuen Anfang. Unterhalb der Roça Sundy liegt der hübsche Strand, an dem ein Luxushotel gebaut werden soll. Das Fischerdorf wird in diesem Jahr umgesiedelt, die Bewohner werden entschädigt. Offenbar muss auch eine Drachenfirma ans Geschäft denken…

Ein Anfang ist gemacht. Die Landepiste des kleinen Flugplatzes wird verlängert, so dass bald größere Maschinen landen können. Das Bom Bom Island-Resort ist bereits schick auf Vier- Sterne-Niveau poliert. Noch sind die Liegestühle leer, die Poolbar ist nicht geöffnet. Eine Riege von Gärtnern trimmt den Rasen, fegt unentwegt die Blätter. An der Rezeption werden Touren in den Regenwald, zu Vogel- und Walbeobachtungen oder den HBD-eigenen Schildkrötenprojekten angepriesen. Rund 500 Gäste kamen in 2012. Es werden mehr, davon ist Rodrigues überzeugt. Leve, leve ...

Tipps für die Inseln

Bom Bom Island-Resort
Bom Bom Island-Resort

© Beate Schümann

ALLGEMEIN

Das Land ist 1001 Quadratkilometer groß. Rund 90 Prozent sind bewaldet, 10 Prozent werden zum Anbau von Kakao, Ölpalmen, Bananen, Kaffee und Kokosnüssen genutzt. Die Inseln sind Teil einer Vulkankette, daher sehr gebirgig. Gesprochen werden Portugiesisch (Amtssprache) und Crioulo (Kreol).

ANREISE

Die TAP fliegt ab Berlin- Schönefeld über Lissabon dreimal pro Woche nach São Tomé. Preis ab 900 Euro. Telefon: 018 06 / 00 03 41 (20 Cent pro Anruf), Internet: flytap.com. Flug von São Tomé nach Príncipe: sechsmal pro Woche, Internet: africas-connection.com, Preis: etwa 100 Euro

EINREISE

Visumsantrag anzufordern bei der santomeischen Botschaft in Brüssel. Telefon: 00 32 / 27 / 34 89 66, E-Mail: ambassade@saoto meeprincipe.be; 30 Euro; Auskunft (mittwochs von 10 bis 12 Uhr) beim Honorarkonsulat Bremen, Telefon: 04 21 / 173 61 90

GESUNDHEIT

Eher geringes Malariarisiko; Gelbfieberimpfung: für EU-Bürger laut Auswärtigem Amt nicht mehr Pflicht

ÜBERNACHTEN

São Tomé: Omali Lodge (omalilodge.com); Doppelzimmer ab 185 Euro

Príncipe: Bom Bom Island- Resort (bombomprincipe.com); Doppelzimmer ab 250 Euro

VERANSTALTER

One World Reisen (reisenmitsinnen.de), 16 Tage ab 3690 Euro; Ivory Tours (ivory-tours.de); 16-tägige Reise São Tomé: 2870 Euro

Beate Schümann

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