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Gesegnet mit sattem Grün. 50 000 Menschen und 70 000 Schafe leben auf den Färöern. An den ziemlich oft niedergehenden Sprühregen sind Zwei- und Vierbeiner gleichermaßen gewöhnt.

© Gerald Morand-Grahame/laif

Skandinavien: Inseln der offenen Türen

Die Färöer mögen ihre karge Landschaft – und lieben Fußball. Am Dienstag kommt Jogis Elf zum Kicken.

Ob die Fußball-Nationalspieler des FC Bayern München Schafkopf spielen können, ist nicht gesichert überliefert. Doch immerhin gilt dieses Kartenspiel als bayerisches Kulturgut und eine Partie würde kaum irgendwo angemessener sein als während des bevorstehenden Besuchs von Jogis Kickern auf den Färöern, den „Schafsinseln“ weit draußen im Atlantik. Auf dem rund dreistündigen Flug von München aus mag sich eine Möglichkeit bieten, am Ziel wohl kaum. Da haben die Jungs am kommenden Montag und Dienstag vor dem Spiel die übliche Pflicht zu absolvieren: Joggen, Massage, Abschlusstraining, wieder Massage. Ein touristisches Programm müssen die Teilnehmer des DFB-Familienausflugs später nachholen – sollte es sie noch einmal auf die Färöer verschlagen. Zumindest einen realistischen Eindruck vom ortsüblichen Wetter wird es laut Vorhersage jedoch geben: „leichter Sprühregen, elf Grad“. Wir haben uns nicht schrecken lassen und schon einmal geschaut, was Besucher auf den Färöern so erwartet.

Kein Zweifel, das muss das Regierungsviertel sein. Jedenfalls überragen die zweistöckigen Häuser hinter ihren Holzfassaden im typischen Rostrot Skandinaviens die sonst fast überall einstöckigen Holzbauten deutlich. Auf einem der Gebäude reckt sich ein Fahnenmast in die Höhe. Eine Flagge weht zwar nicht, doch dort, im Fensterglas an der Holztür prangt das Staatswappen: ein Widder mit mächtigem Gehörn und roter Zunge. Das Tier prangt auf blauem Grund, darunter steht auch gleich, wer hier amtiert. „Løgmansskrivstovan“ heißt es da, was man aus dieser altnordischen Sprache vielleicht als „Schreibstube des Gesetzesmannes“ übersetzen könnte. Der junge Mann, der drinnen am späten Freitagnachmittag noch eifrig auf einer Tastatur hämmert, ist allerdings kein Richter oder Rechtsanwalt, sondern ein Bediensteter der Staatskanzlei der Färöer. In diesem zweistöckigen Gebäude werden also die Geschicke der Mini-Republik gesteuert, die ziemlich genau in der Mitte zwischen Schottland, Südnorwegen und Island liegt.

Es ist also durchaus möglich, dass der junge Mann an der Tastatur des Computers etwas Vergleichbares wie der Chef des deutschen Bundeskanzleramtes ist. Das würde dann auch sein etwas hektisch wirkendes Tippen erklären. Vielleicht schreibt er ja gerade eine diplomatische Note, die sein Chef, „Løgman“ oder besser: Premierminister, Kaj Leo Johannesen noch unterzeichnen will, bevor er sich auf das Weltmeisterschaftsqualifikationsspiel seiner Nationalmannschaft gegen Deutschland einstimmt. Immerhin stand der 49-jährige Premier 1991 und 1992 viermal im Tor des Teams. Und in der ersten Liga des Landes hütete er beim Hauptstadtverein HB Tórshavn sagenhafte 299-mal das Tor. Da dieser Verein auf den Färöern eine ähnliche Rolle wie Bayern München in Deutschland spielt, konnte Johannesen in seiner Laufbahn immerhin viermal den Meistertitel und sogar siebenmal den Pokalsieg feiern. Diese beispiellose Karriere beendete er 2007 in der zweiten Mannschaft, nur weil er am 24. September 2008 zum Ministerpräsidenten der Färöer gewählt wurde.

Kai Johannesen
Kai Johannesen

© M. Froederberg/norden.org

Kaum 50 000 Menschen mit ihren etwa 70 000 Schafen leben auf den 18 schroffen Inseln im Nordatlantik. Unter dem Dach Dänemarks sind die Färöer weitgehend autonom und haben alle Insignien eines Staates: von der Flagge mit dem rotblauen Kreuz auf weißem Grund über eine eigene Währung, der Färöer-Krone, bis zum eigenen Autokennzeichen, dem Staatswappen mit dem Schafbock – und eben einer eigenen Nationalmannschaft. Dazu kommt noch eine eigene Sprache und ein putziges Regierungsviertel, das, wie eigentlich alles auf diesen Inseln, recht überschaubar ist. Auch die Landschaft sei auf „das Wesentliche reduziert“, hatten uns frühere Besucher durchaus begeistert berichtet.

Von der felsigen Halbinsel Tinganes, die wie ein dicker Daumen in den Hafen von Tórshavn sticht, sind überwiegend die kleinen Holzhäuser mit den traditionellen Grasdächern zu sehen. Am Anfang der Landzunge sind die Häuser – mal abgesehen von der weiß gestrichenen Domkirche mit ihrem grauen Schieferdach – fast alle einstöckig. Enge Pflaster-, Asphalt- und manchmal auch Schottergassen winden sich zwischen den schwarz geteerten oder rostrot gestrichenen Fassaden hinunter zur Spitze der Halbinsel.

Dort fühlt sich der Besucher zunächst einmal wie in einem skandinavischen Museumsdorf. Nur, dass eben das Wappen mit dem zornigen Schafbock an den Türen prangt, hinter denen eifrig Regierungsarbeit geleistet wird. „Innlendismálaráðið“ steht auf einer der Haustüren. Das muss das Innenministerium sein. Irgendwie hat der Besucher das Gefühl, er könne einfach anklopfen, und der Innenminister würde im dicken gemusterten Wollpullover die Tür öffnen. Kaum jemand schließt hier ab. Vielleicht würde der Politiker dann von der uralten Tradition der Regierung hier auf der Halbinsel Tinganes erzählen. Schließlich versammelten sich die freien Männer der Färöer bereits um das Jahr 900 und entschieden über die Politik ihrer überschaubaren Welt. Nicht lange vorher hatten die ersten Siedler der Wikinger um das Jahr 825 die Färöer erreicht.

Ist das tatsächlich Holz?

Ein Haus wie das andere. Dunkles Holz, rote Fensterrahmen, Grasdach
Ein Haus wie das andere. Dunkles Holz, rote Fensterrahmen, Grasdach

© Roland Knauer

Wer ein wenig mehr über die Kulturgeschichte und über das Leben in dieser kleinen Welt weit draußen im Nordatlantik erfahren möchte, der sollte einmal um den meist nebelverhangenen Berg herumfahren, an dessen Fuß Tórshavn liegt. Ein roter Stadtbus der Linie 5 bringt uns kostenlos in den Ort Kirkjubøur, der rund zwölf Kilometer entfernt liegt.

Genau wie es die Einwohner von Tórshavn immer behaupten, ist das Wetter in Kirkjubøur tatsächlich besser. Während die Hauptstadt für ihren Nebel und den häufigen Nieselregen berüchtigt ist, reißen die tief am dahinter liegenden 351 Meter hohen Berg hängenden Wolken im Nachbarort hin und wieder auf. Der Sprühregen legt ab und zu eine Pause ein. Dann sind die wenigen an einem grünen Hang unter einer schroffen Felswand verstreuten schwarz geteerten Holzhäuser ein wenig genauer zu sehen. Die Gelegenheit ist gut, die völlig verwitterten und von bizarren Flechten überzogenen Grabsteine auf dem Friedhof um die Olavskirche zu fotografieren. Die Liste der Familiennamen dort ist überschaubar wie der 80-Einwohner-Ort selbst: Mehr als fünf unterschiedliche Namen können wir nicht entziffern.

Gleich hinter der soliden Friedhofsmauer erhebt sich eines dieser wuchtigen Bauernhäuser, die aus schwarz geteerten Baumstämmen gezimmert wurden. Ist das tatsächlich Holz? Und wo kommt das dann her? Schließlich wächst auf den Färöern wohl seit den Zeiten der Wikinger kein Wald mehr. Holz ist hier so wertvoll wie andernorts Edelmetall.

Wappenwidder
Wappenwidder

© promo

So genau ist die Herkunft des Blockhauses tatsächlich nicht bekannt. Der Legende nach sollen die Stämme vor mehr als 700 Jahren von der weiter als 600 Kilometer entfernten Küste Norwegens angeschwemmt worden sein. Die mächtigen Fundamente aus Blocksteinen stammen wohl aus der gleichen Zeit wie die Olavskirche gleich daneben. Schließlich brauchte der Bischof ja auch ein privates Zuhause. Heute bewirtschaftet die Familie Patursson den Hof, der gleichzeitig ein Museum ist. Seit 1550 bereits existiert es, in der 17. Generation. Schließlich ging der gesamte Besitz der katholischen Kirche nach der Reformation 1538 an das Land. Und kurz danach hielt die Familie Patursson den ersten Pachtbrief für den Hof in Händen.

Eine wuchtige neue Dachkonstruktion gleich neben dem Hof überspannt mächtige Steinruinen. Im Jahr 1300 hatte Bischof Erlendur hier den Grundstein für die Magnus-Kathedrale gelegt. 26 Meter lang, 11 Meter breit und 9 Meter hoch stehen die eineinhalb Meter dicken Bruchsteinmauern aus dem Färinger Basalt heute auf der Wiese. Wind und Wetter haben dem wohl wichtigsten Kulturdenkmal der Färöer erheblich zugesetzt. Die Regierung beschloss zu handeln und ließ das schützende Dach bauen.

Drinnen, vor riesigen gotischen Fenstern, ist ein Baugerüst befestigt. Darauf steht der Polier, der die gesamte Renovierungsmannschaft in Personalunion darstellt. Mithilfe von Lehm und Gras versucht er, die Mauern vor der rauen Witterung zu schützen. Da er keine Hilfe hat, wird die Arbeit den Mann, 1956 geboren, wohl bis an sein Lebensende beschäftigen. Vielleicht wird die Ruine der Magnus-Kathedrale bis dahin auch zum einsamsten Weltkulturerbe. Auf der Warteliste der Unesco steht das Gebäude jedenfalls schon.

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