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Schritt für Schritt zur Ruhe auf der Nordseeinsel Spiekeroog.

© imago/Jochen Track

Slow Tourism: Das Erlebnis der Langsamkeit

Slow Tourism ist Trend. Immer mehr Ferienziele locken mit Entschleunigung. Dabei war Muße schon in der Antike ein hohes Gut.

Caspar David Friedrich war ein überzeugter Slow Traveller – er wusste es nur noch nicht. Wenn der berühmte Maler der Romantik nach Rügen reiste, setzte er gemächlich mit dem Segelboot auf die Ostseeinsel über und ging dann zu Fuß weiter – mit häufigen Stopps für seine Skizzen. Fahrten mit der Kutsche waren ihm schon zu schnell. Dan Kieran ist eine Art moderner Geistesverwandter. Kieran fliegt nicht, selbst wenn er von England aus nach Warschau möchte oder nach Marrakesch, sondern nimmt den Zug. Das hat mit seiner Flugangst zu tun, aber mehr noch mit seiner Abneigung gegen hektische, flüchtige Eindrücke. Pauschalurlaub ist nicht sein Ding. Kieran ist überzeugter Anhänger des bewussten, langsamen Reisens.

Sein erst vor wenigen Monaten auf Deutsch erschienenes Buch „Slow Travel“ ist ein Loblied auf die Langsamkeit. Wobei damit nicht nur die Geschwindigkeit beim Reisen gemeint ist, sondern vielmehr die Haltung, die dahintersteht: die Offenheit, Eindrücke nicht nur ganz flüchtig vorüberhuschen zu lassen. In der modernen Reiseindustrie sieht Kieran dafür wenig Chancen. Dabei ist Slow Tourism nicht nur etwas für Pauschalreise-Totalverweigerer.

Das Motto „Nun mal schön langsam und alles ganz sachte“ klingt zugegebenermaßen nicht aufregend. Also: Wer findet das sexy? „Slow Tourism hat Potenzial und passt perfekt in unsere Zeit“, argumentiert Professor Ulrich Reinhardt. „Da sind zum einen die Vielbeschäftigten, die sonst immer mit Smartphone und iPad durch die Gegend laufen und im Urlaub runterkommen wollen“, erklärt der Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen in Hamburg. Es sei genauso interessant für Ältere, die alles etwas ruhiger angehen möchten und vielleicht nicht mehr so gerne in den Flieger steigen. „Insgesamt ist die Zielgruppe sowohl reisefreudig als auch finanziell besser gestellt.“

Ich bin platt, ich muss runterfahren

Das Bedürfnis nach Ruhe und Entschleunigung findet Susanne Leder mehr als verständlich: „Es gibt in unserer Leistungs- und Erlebnisgesellschaft einfach eine gewachsene Sehnsucht nach Entschleunigung“, sagt die Professorin für Tourismusmanagement an der Fachhochschule Südwestfalen in Meschede. „Die zunehmende Komplexität und Geschwindigkeit in der Arbeitswelt macht mental erschöpft“, erläutert die Wissenschaftlerin. „Ich bin heute nicht mehr durch Feldarbeit ausgelaugt wie meine Urgroßeltern, aber mein Gehirn ist nicht darauf ausgelegt, was ich ihm alles zumute.“

So mancher würde da am liebsten sein Leben komplett ändern – das ist allerdings schon psychologisch meist eine Nummer zu groß. „Beim Reisen probiere ich aus, wie das geht. Da darf ich mich trauen, etwas zu machen, was ich mich sonst nicht trauen würde“, erläutert die Wissenschaftlerin. „Ich kann zum Beispiel sagen ,Ich bin platt, ich muss runterfahren, ich gehe für eine Woche ins Kloster’.“

Wie Slow-Tourism-Angebote im Einzelfall aussehen, könne sehr unterschiedlich sein: „Das reicht vom Almurlaub über das Meditationsseminar bis zur Wüstenwanderung“, sagt Professor Leder. „Und von asketisch bis luxuriös.“ Viele Trends im Tourismus haben damit zu tun: der zu Wellness genauso wie der zur Pilgerreise. Dass die Schweiz das Netz an Winterwanderwegen ausbaut, hängt genauso damit zusammen wie das Bemühen mancher Ferienorte wie den Alpine Pearls, das Autofahren im Urlaub verzichtbar zu machen.

Slow Citys gibt es längst auch in Portugal oder Polen

Der neue Trend zur Entschleunigung wurzelt in Italien und nahm um die Jahrtausendwende so richtig an Fahrt auf, berichtet Professor Reinhardt: Inspiriert durch die Slow-Food-Bewegung gab es eine Reihe kleinerer italienischer Städte, die sich darauf besannen, dass beim Reisen Genuss und nicht Tempo im Vordergrund stehen sollte. Greve in der Toskana war die erste „Cittàslow“. Das war 1999 – bald folgten weitere „langsame Städte“ wie Orvieto oder Positano.

„Sie haben die Langsamkeit als Alleinstellungsmerkmal für sich entdeckt“, sagt Reinhardt. „Und von Italien aus ist diese Welle dann über ganz Europa geschwappt.“ Slow Citys gibt es längst auch in Ländern wie Portugal oder Polen – und selbst in Australien. „In Deutschland ist der Trend mit Verspätung angekommen, das hatte viel damit zu tun, dass sich der Städtetourismus hier lange auf die Metropolen konzentriert hat“, sagt Reinhardt. Inzwischen gehören Deidesheim dazu, Nördlingen, Überlingen, Waldkirch und etliche solcher Tourismusorte aus der zweiten Reihe. Sie können mit etwas punkten, was Metropolen von New York bis Schanghai nicht haben: Langsamkeit.

Slow Tourism erschöpft sich dabei nicht darin, möglichst gemächlich anzureisen – auch wenn das ein wichtiger Gesichtspunkt sein kann: Gerade solche Ziele sind dafür besonders geeignet, die man nicht per Flugzeug erreichen muss und in deren Altstadt Autos am besten gar nicht rein dürfen. Slow Tourism hat aber auch mit Entschleunigung im weiteren Sinn zu tun: „Mit dem Bedürfnis, sich Zeit für sich zu nehmen“, sagt Reinhardt – und auch der Wunsch, Natur und Umwelt zu erleben, die Landschaft zu erkunden, spielt mit rein. „Das ist ein Trend, der mehr und mehr Anhänger findet.“

Alter Wein in neuen Schläuchen

Dass Urlauber einen Gang runterschalten und zur Ruhe kommen wollen, das ist nichts Neues, sagt Professor Martin Lohmann. Sein Institut in Kiel ermittelt jährlich für die „Reiseanalyse“ unter anderem, warum die Menschen in den Urlaub wollen: „Abstand zum Alltag und Frische tanken gehören zu den wichtigsten Motiven überhaupt.“ Aber ist Slow Tourism vielleicht nur ein Hype? „Es gibt jedenfalls inzwischen viel mehr Regionen, Ferienorte und Veranstalter, die entsprechende Angebote machen, als wir anfangs gedacht haben“, sagt Susanne Leder. „Auch Tui wirbt inzwischen mit dem Slogan ,Zeit für Gefühle’.“ Grundsätzlich besteht die Gefahr, dass die Branche das Label nun allzu großzügig einsetzt. „Man kann aber nicht jedes Angebot als Slow Travel verkaufen, bei dem es nur darum geht, in Dithmarschen entspannt durch Kohlfelder zu wandern“, sagt Martin Lohmann.

„Der Begriff wird sicher bereits inflationär verwendet“, ergänzt Professor Reinhardt. „Genau wie Wellness. Und es ist sicher zum Teil nur alter Wein in neuen Schläuchen.“ Das sieht auch Susanne Leder so: „Muße galt auch schon in der Antike als hohes Gut.“ Aber der Trend zur Entschleunigung im Urlaub sei eben doch eine Gegenbewegung zu Entwicklungen davor: „In den 80ern war Urlaub für viele vor allem eine Imagefrage“, sagt Professorin Leder – man prahlte mit den Urlaubszielen, die man gesehen hatte.

„Und die Leute wollten etwas erleben, sich inszenieren.“ Das gibt es heute immer noch, ist aber weniger angesagt. Und wer im Urlaub nur wandern und meditieren geht, blamiert sich damit nicht mehr. Andererseits sei Slow Tourism nichts, was den kompletten Reisemarkt umkrempeln wird: „Das ist eine Nische, und die Partytouristen und Eventreisen wird es auch künftig immer geben.“ (dpa)

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