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Fachwerk vom Feinsten. 400 Häuser stehen in Einbeck unter Denkmalschutz.

© Hella Kaiser

Städtetrip in Niedersachsen: Einbeck brummt

Das Fachwerkstädtchen ist ein Hotspot für Oldtimerfans. Automobile Geschichte im historischen Kornspeicher, Industriedesign im Hotel Freigeist

Luther hatte Geschmack. Als man ihm 1521 auf dem Reichstag zu Worms ein Bockbier servierte, reimte er genießerisch: „Der beste Trank, den einer kennt, der wird Einbecker Bier genennt.“ Der in Einbeck erfundene süffige Gerstensaft, seit dem Mittelalter bis in ferne Metropolen exportiert, hatte die Stadt reich gemacht. Die Bürger ließen sich bunt und aufwendig verzierte Häuser in der damals üblichen Ständerbauweise errichten. 400 dieser Schmuckstücke mit verblüffend großen Toren (für die Bierwagen) sind erhalten.

Zahlreich auf Balken gepinselte Sprüche wurden restauriert, und so lassen sich Weisheiten wie diese bestaunen: „Dulce bellum inexpartis“ (Süß ist der Krieg für die, die ihn nicht erfahren haben). Das propere Städtchen in Südniedersachsen kann sich seit Langem sehen lassen. Doch mittlerweile ist es zum Hotspot für Oldtimerfans geworden. In einem historischen, pfiffig umgebauten Kornspeicher wird auf sechs Etagen die „Geschichte der Mobilität“ zelebriert. 350 Exponate zum Staunen – und in manche darf man sogar einsteigen.

Mercedes mit Heckflosse

Zahlreiche Besucher des „PS.Speicher“ fahren gleich selbst in museumsreifen Schätzchen vor. Auf dem Parkplatz drängeln sich Schönheiten gepflegten Blechs: Ein lindgrünes Käfer Cabrio, ein blassgelber Opel Kadett, ein burgunderfarbener Mercedes mit der gediegenen Heckflosse, und oh, da hinten glänzt ein knallroter Roadster, der legendäre Triumph TR3. Dazwischen parken etliche Motorräder, deren Chromteile blitzblank geputzt sind. Drinnen blicken ihre kernigen Fahrer verträumt auf eine schlichte „Victoria“, Baujahr 1938.

Das erste „Motorfahrzeug“, das Karl-Heinz Rehkopf erworben hatte. Nun ist es Teil einer Sammlung von mehr als 2000 historischen Zwei-Drei- und Vierrädern, die der heute 79-jährige Unternehmer im Lauf der Zeit zusammengetragen hat. Wohin damit? Die Raritäten sollten nicht länger in dunklen Hallen verstauben, sondern vielen Betrachtern Freude machen. 2009 gründete Rehkopf die gemeinnützige Stiftung Kornhaus und brachte seine Fahrzeuge als Stiftungskapital ein. Fünf Jahre später konnte der umgebaute, denkmalgeschützte Kornspeicher eröffnen.

Der Kaiser schimpfte auf die Stinkkarren

Die Geschichte der Mobilität begann zunächst nur mit eigener Muskelkraft. Das Fahrrad, oder besser eine Art Laufmaschine wurde erfunden. 1870 eröffneten erste Fahrradschulen, in England flanierten junge Männer mit dem „Hobby Horse“ durch die Badeorte. Doch Ingenieure tüftelten längst an bequemeren Fortbewegungsmitteln. 1893 brachte Carl Benz den Motorwagen Benz-Victoria auf den Markt. „Stinkkarren“ schimpfte Kaiser Wilhelm II. über die Fahrzeuge, denen auch andere lange misstrauten.

Schätzchen der Wirtschaftswunderzeit.
Schätzchen der Wirtschaftswunderzeit.

© PS.Speicher

Bei einer zünftigen Pferdekutsche wusste man doch zumindest, wo man dran war. Der forsche Nähgarnfabrikant Alexander Gütermann indes bestellte sich schon 1895 seine „Victoria“. So schnell soll er damit durch Denzlingen gebraust sein, „dass in einer Wirtschaft die Vorhänge flatterten“. Ein Vergehen, maßregelte die Polizei – und stellte den vermeintlich ersten Strafzettel aus. Er ist im Museum zumindest abgetippt zu betrachten, vor allem aber steht am Ort auch die eilige „Victoria Nr. 99“. Sie ist, so heißt es stolz auf der Infotafel, „bis auf die Sitzpolster unrestauriert erhalten“.  

Milchbar im Stil der fünfziger Jahre

Und die Jukebox spielt dazu. Milchbar im Stil der fünfziger Jahre.
Und die Jukebox spielt dazu. Milchbar im Stil der fünfziger Jahre.

© PS.Speicher

Die folgenden Jahrzehnte gehörten den Pionieren im Fahrzeugbau. Der 1871 geborene Ernst Neumann-Neander, Künstler und Erfinder, konstruierte vor allem Motorräder. Und warb genial für seine rollenden Produkte. „Der Gipfel der Motorfahrkultur besteht in dem Luftbad“, rühmte er 1950.  Drei Tage „in dem Gebläse“ ersetzten eine Badereise von sechs Wochen.

Der zweite Weltkrieg stoppt die deutschen Erfindungsgeister. Den dunklen Jahren können die Besucher, auf Zeitreise im Museum, nicht entrinnen. Ein Raum voller Trümmer muss durchquert werden, erst im Anschluss ist die Milchbar im Stil der Fünfziger zu erreichen. Die Musik kommt aus der Jukebox – und kann vom Besucher selbst gewählt werden.

Zu Orten wie diesen fuhr man im wahren Leben im Osten mit dem Trabant, im Westen mit dem Lloyd Alexander, in Kleinwagen meist, wie etwa im Goggomobil oder im Kleinschnittger-Cabriolet. Komfort spielte noch keine Rolle. „Man war froh, unterwegs sein zu können“ erinnert sich ein älterer Besucher. Das änderte sich schnell, doch die Faszination an der mobilen Fortbewegung ist geblieben. Davon zeugen die Exponate – und die andächtig davor verweilenden Besucher. Das Gästebuch des PS.Speicher strotzt vor Komplimenten. „Super Ausstellung“, hat einer hineingeschrieben und - man hört förmlich das Seufzen -  „ich werde wohl wiederkommen müssen.“  

Hotel für echte Kerle

Für Enthusiasten und solche, die anderntags noch im Rennsimulator in einem aufgestellten Porsche 911 Cabrio, den Nürburgring oder die Silverstone-Strecke entlangrasen wollen, bietet sich ein ideales Hotel, gleich am Museum. Das „Freigeist“ ist praktisch Teil der großen Räderwelt – und eine Verbeugung vorm Industriedesign. Geölte Eichenholzdielen, Backstein, Stahl und bodentiefe Fenster. Das eine oder andere Motorrad ist senkrecht an der Wand verankert, eine Isetta ist zum Eiswagen mutiert, und  Kinderspielzeug kann in bunten Autoreifen für den mitgereisten Nachwuchs ausgeliehen werden.

Coole Nächte im Hotel Freigeist
Coole Nächte im Hotel Freigeist

© promo

Gin gibt’s an der Bar, aber man kann ihn auch in die „Garage“ bestellen, die andere Art eines Herrenzimmers, ausstaffiert mit soliden Werkzeugen wie Hammer, Schraubschlüssel und Zange. Das Hotel hat zwar eine Sauna und Loungesäcke zum Lümmeln auf der Dachterrasse, aber als Wellnesstempel will es sich nicht hervortun. Jeglicher Schnickschnack fehlt. Wer im Bett liegt, schaut auf die rohe Betondecke, wer noch lesen will, knipst eine originale Industrielampe an, Shampoo und Duschgel duften nach Schwarzem Pfeffer, Koriander und Zitronengras. Echten Kerlen gefällt das. Und die bestellen in der zum Areal gehörenden „Genusswerkstatt“ ihr Steak natürlich „rare“, mit knackfrischem Gemüse dazu.   

Wem das alles zu modern oder zu speziell ist, der spaziert einfach über die Brücke – ins historische Einbeck. Die Wege sind kurz in einer Stadt mit nur 33 000 Einwohnern. Auch wer einen Oldtimer fährt, steuert ihn gern ins Mittelalter. So ein Fahrzeug sieht einfach gut aus in einer Fachwerkkulisse.  

Reisetipps für Einbeck

Anreise

Mit dem Auto über die A7 (Göttingen-Hannover), Ausfahrt Northeim-Nord. Von dort zehn Kilometer in nordwestlicher Richtung auf der Bundesstraße 3 nach Einbeck.

Hotel

Freigeist Einbeck, Tiexeder Tor 5, Telefon: 05561/3199970,  Internet: www.freigeist-einbeck.de

Das Hotel verfügt über 63 Doppelzimmer. Kleiner Fitnessbereich mit Sauna. Das schnelle Wlan ist gratis. Eine Übernachtung für zwei Personen im Doppelzimmer ab 144 Euro inklusive Frühstück. Diverse Arrangements.  Zum Hotel gehört das Restaurant „Genusswerkstatt“, das regionale Spezialitäten und viel vom Grill anbietet. . 

Museum

PS Speicher, Tiedexer Tor 3, Öffnungszeiten: 10 bis 18 Uhr, Telefon: 05561/ 923200, Internet: www.ps-speicher.de, Eintritt:  Erwachsene 12,50 Euro, Ermäßigungen, Fünf Minuten Fahrt im Porsche-Simulator kosten fünf Euro

Auskunft

Tourist-Information Einbeck, Eickesches Haus, Marktstraße 13
37574 Einbeck, Telefon: 05561/313 19 10, Internet: www.einbeck-marketing.de

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