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TIPPS FÜR GEORGIA: Der Frühling hat Töne

In Savannah spiegelt sich die Geschichte des schwarzen Amerika. Hier trifft kolonialer Stil auf Art Déco – doch vor allem geht es um Musik

Eine frische Brise weht durch die Straßen. Sie ist mild, würzig und geheimnisvoll zugleich, Seeluft trägt sie in sich und den Duft uralter Eichenbäume. Sanft fährt sie durch das graue Moos, das in langen Fäden von den Ästen der Eichen herunterhängt wie das Haar weiser Frauen. Es ist bereits ein Hauch Frühling, der durch Savannah fegt und dazu angetan ist, die Geister des Winters zu vertreiben. Und er bringt Musik mit sich. Auf dem Wright Square steht ein alter Mann mit prachtvollem weißem Rauschebart und spielt Querflöte, in seiner Schüssel liegen ein paar Münzen. Ein anderer sitzt auf dem Johnson Square und singt Gospels. Kaum sind wärmende Sonnenstrahlen zu spüren, verwandeln sich die historischen Plätze Savannahs in kleine Bühnen des Alltags.

Es gibt 22 Plätze in dieser Stadt, und sie geben ihr ein unverwechselbares Gesicht. Jonathan Stalcup verdient sein Geld damit, ihre Geschichte zu erzählen. Ausgerüstet mit Karten und historischen Fotos, führt der 26-jährige Absolvent der Savannah School of Arts and Design (Scad) Besucher auf architektonischen Pfaden durch die Straßen. Und während er Epochen schildert und Fassaden erklärt, breitet sich wie von selbst das Panorama der Stadtgeschichte vor den Zuhörern aus: Wie General James Edward Oglethorpe, nach dem heute eine Hauptstraße benannt ist, die Kolonie Georgia und die Stadt Savannah 1732 auf Befehl von König George II. gründete, um einen strategischen Puffer zwischen den britischen Kolonien im Norden und den Spaniern in Florida zu schaffen. Wie die Bebauung am Savannah River begann und sich in südlicher Richtung genau nach dem Plan weiterentwickelte, den Oglethorpe einst entworfen hatte. Und wie Baumwolle und Sklavenhandel die Stadt später groß gemacht haben.

Savannah hat eine dunkle Vergangenheit. Es war ein bedeutender Einfuhrhafen – so muss man das wohl nennen – für unzählige Sklaven aus Afrika, die hier sprichwörtlich entladen wurden, um auf den Baumwollfeldern Georgias zu arbeiten. Heute erinnert nicht mehr viel an dieses Drama, an die zerbrochenen Familien, die Tränen, die ruinierten Lebensgeschichten. Aber an der River Street, gleich hinter dem Rathaus, steht ein Denkmal: eine schwarze Familie, Mutter und Kinder in moderner Kleidung, der Vater im Businessanzug, zu ihren Füßen zerbrochene Ketten. Sie blicken den Fluss hinab nach Osten, zum Atlantischen Ozean, zu ihren Vorfahren. Ihre Gesichter sind nüchtern, stolz, auch bitter, sie wissen, was man ihren Urgroßvätern angetan hat. Doch jetzt, im Bewusstsein ihrer Herkunft, stehen sie aufrecht: ein eindringliches Bild der Geschichte des schwarzen Amerika, zur Skulptur erstarrt.

Die prachtvollen Fassaden erzählen wenig von den Bedingungen, unter denen sie entstanden. Dafür berichtet Jonathan auf seiner Tour umso mehr. Natürlich kann er zu jedem Haus die passende Architekturepoche nennen: Colonial, Georgian, Federal Style, Greek Revival, Victorian, Art déco. Die ganze Stadt ist ein offenes Buch der amerikanischen Kunstgeschichte. Sogar ein vom Geist des Bauhauses inspiriertes ehemaliges Hotel, das die Scad heute als Studentenwohnheim nutzt, gibt es hier. Jonathan ist nicht der Einzige, der in Savannah eine Tour anbietet. Die Stadt hat eine Marketingoffensive gestartet, es werden Führungen zur Geschichte Savannahs als Filmkulisse angeboten (eine Szene aus „Forrest Gump“ wurde hier gedreht), außerdem „African American Tours“ oder eine nächtliche „Ghost Talk Tour“. Da muss man schon Profil zeigen, wenn man auffallen will: Jonathan ist der Einzige, der in die reiche Architekturgeschichte einführt (www.architecturaltoursavannah.com). „Ich lebe wahnsinnig gern in Savannah“, sagt er, „die Stadt ist ein Juwel.“

Das hat die Regierung schon 1966 erkannt. Damals stellte sie das komplette Zentrum als sogenannten National Historic Landmark District unter Denkmalschutz – spektakulär zu einer Zeit, als die meisten amerikanischen Städte den entgegengesetzten Weg gingen und sich komplett dem Automobil und riesigen raumverschlingenden Freeways auslieferten. Heute ist Savannah ein Sehnsuchtsort für viele Amerikaner, die nur davon träumen dürfen, wie ihre Städte heute aussehen könnten. Und so kann man sich jetzt unter die alten Bäume setzen und zum Beispiel bei Mabel Francis Potter’s Cupcake Emporium (6 East State Street) einen Muffin schmecken lassen, der so cremig auf der Zunge zergeht, dass man meint, die Großmutter des Besitzers hätte ihn persönlich gebacken. Oder im kalifornisch-entspannten Wright Square Café (21 West York Street) einen schaumigen Kaffee genießen und sich den Frühlingswind um die Nase wehen lassen. Das Frühjahr ist die angenehmste Jahreszeit, um Savannah zu besuchen. Die Sommer sind heiß in Savannah.

Außerdem hält mit dem Frühling auch professionelle Musik Einzug in der Stadt. Während des Savannah Music Festivals treten hochkarätige Musiker aller Genres hier auf, 2010 waren zum Beispiel das Duo She & Him oder die Rockband Wilco aus Chicago zu Gast. Der Leiter des Festivals, Rob Gibson, war früher Chef des legendären New Yorker Jazz at Lincoln Center Orchestra. Jetzt holt er Jazzmusiker hierher – und Crossover-Künstler wie den Kontrabass-Spezialisten Renaud Garcia-Fons, der seinem Instrument eine fünfte Saite hinzugefügt hat und ihm so unerhörte Klänge entlockt. Programmatischer Kern des Festivals sind die Kammermusikkonzerte in der Telfair Academy, die der Geiger Daniel Hope als künstlerischer Leiter konzipiert und bei denen er natürlich auch selbst auftritt – meistens gemeinsam mit befreundeten Musikern, die er nach Savannah einlädt. In diesem Jahr will er den Geiger, Komponisten und Brahms-Freund Joseph Joachim in den Mittelpunkt stellen. Ein Programm mit Berlinbezug, hat Joachim doch die Musikhochschule gegründet, aus der später die Universität der Künste hervorging (www.savannahmusicfestival.org).

Die Telfair Academy, in der die Konzerte stattfinden, ist ein prachtvolles großbürgerliches Wohnhaus aus dem 19. Jahrhundert, das heute als Gemäldegalerie genutzt wird. Vor jedem Konzert dankt Rob Gibson in einer einleitenden Rede den Sponsoren, denn ohne die geht in den USA künstlerisch gar nichts. Und wenn dann Yefim Bronfman Beethovens 32 Variationen für Klavier in c-Moll spielt oder Gautier Capucon am Cello mit Gabriela Montero am Klavier auftritt, während an den Wänden die großen Werke amerikanischer und europäischer Maler im Scheinwerferlicht erstrahlen, scheinen zwei Kunstformen regelrecht ineinander zu verschwimmen.

Es kommt noch eine dritte hinzu: die Literatur. Geht man in den ersten Stock der Telfair Academy, um die Musik für einen Moment zu vergessen, steht man einer wundersamen kleinen Skulptur gegenüber: ein Mädchen mit leicht geneigtem Kopf, das in jeder Hand eine Vogelschale hält. Die Figur wurde zu einer Ikone Savannahs, seit sie Jack Leigh fotografiert hat für den Umschlag von John Berendts Romans „Midnight in the Garden of Good and Evil“ (erhältlich in der wunderbaren, auf lokale Literatur spezialisierten Buchhandlung E. Shaver, 326 Bull Street). Ursprünglich stand sie auf dem Bonaventure Cemetery, doch um sie zu schützen, wurde sie hierhergebracht.

Bonaventure ist auch ohne sie der berühmteste Friedhof der Stadt – und man übertreibt wohl nicht, wenn man sagt: einer der schönsten Friedhöfe der Welt. Eine wundersame Vermählung von Natur und Kultur. Die weißen Grabsteine ruhen zwischen großen alten Bäumen. Das im Süden der USA allgegenwärtige Spanische Moos hängt von den Ästen und verleiht dem Friedhof genau die richtige Aura aus Grusel und Grandeur. In Berendts weltweit erfolgreichem Roman, der einer der Hauptgründe dafür ist, warum viele Touristen nach Savannah kommen, spielt Bonaventure Cemetery eine wichtige Rolle – doch noch wichtiger ist das Mercer Williams House (430 Whitaker Street). Der Protagonist des Romans, Jim Williams, hat es in den 60er Jahren restaurieren lassen und dort seinen 21-jährigen Freund erschossen, wofür er viermal verurteilt und beim letzten Mal freigesprochen wurde – übrigens eine wahre Geschichte. Erbaut hat das Haus einhundert Jahre zuvor General Hugh W. Mercer. Der wiederum war Urgroßvater des in Savannah geborenen Johnny Mercer, Schöpfer des unsterblichen Songs „Moonriver“. Ja, letztlich geht es in Savannah eben doch immer um Musik.

ANREISE

Mit Continental ab Tegel über Newark für weniger als 600 Euro.

UNTERKUNFT

Mulberry Inn (601 East Bay Street; Telefon: 001 / 912 / 238 12 00, Internet: www.savannahhotel.com); eines der elegantesten Hotels der Stadt mit Südstaatencharme, nahe Innenstadt am Fluss. Doppelzimmer ab 110 Euro.

Staybridge Suites (301 East Bay Street; Telefon: 001 / 912 / 721 90 00, Internet: ); ebenfalls im Savannah Historic District, doch näher an Zentrum und Rathaus. Doppelzimmer ab 150 Euro.

ESSEN UND TRINKEN

B. Matthews (325 East Bay Street, www.matthewseatery.com), populäres Café mit Frühstücks- und Mittagsangebot. Es führt eine Tradition fort: In dem Gebäude befand sich einst die älteste Kneipe Savannahs.

FESTIVAL

Savannah Music Festival, vom 24. März bis 9. April; Programm unter

www.savannahmusicfestival.org

AUSKUNFT

Georgia Tourism in Deutschland, Telefon: 05 21 / 986 04 25

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