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Hereinspaziert. Der schönste Weg führt über die Pont Neuf, die älteste Brücke von Toulouse. Die Altstadt besteht aus einem Labyrinth aus krummen, schmalen Straßen.

© imago/Danita Delimont

Toulouse entdecken: Eine Stadt macht Blau

Eine Pflanze hatte die Händler von Toulouse zur Zeit der Renaissance reich gemacht. Ihre prächtigen Häuser stehen noch – und die Tradition ist zurück.

Kaum schickt die Frühlingssonne ihre wärmenden Strahlen vom Himmel, füllen sich die Terrassen der zahlreichen Cafés. Tout Toulouse sitzt draußen. Wie hübsch viele der jungen Frauen sind. Aber keine ist so schön wie La Belle Paule. Im lilafarbenen Gewand steht sie auf dem Balkon des Capitole, anmutig ruht ihre rechte Hand auf dem Geländer. Und unten auf dem großen Platz steht eine Menschenmenge, die nur Augen hat für sie. So jedenfalls suggeriert es ein Gemälde, das in eben jenem Capitole (heute Rathaus) hängt. Geschaffen hat es der Künstler Henri Rachou (1518 – 1610) und darauf die Wirklichkeit im 16. Jahrhundert abgebildet. Einmal pro Woche soll sich La Belle Paule hier gezeigt haben, so dass das Volk ihre Schönheit bewundern konnte.

La Belle Paule, so hat Franz I. das junge Mädchen genannt. Der König war in die Stadt gekommen, um sich persönlich bei jenem Mann zu bedanken, der ihn aus spanischer Gefangenschaft frei gekauft hatte. Wie reich der Retter Jean de Bernuy gewesen sein muss, sieht man noch heute an seinem Haus. L'Hôtel de Bernuy in der Rue Gambetta ist eins der zahlreichen prachtvollen Patrizierhäuser der Stadt. 70 konnten erhalten werden. Immer gehörte ein Turm dazu, und jeder Eigentümer wünschte ihn so hoch wie möglich. „28 Meter waren erlaubt“, erklärt Stadtführerin Céline. „Achten Sie auf die reich geschmückten Natursteinfassaden“, sagt sie. „Normalerweise baute man in Toulouse mit Backstein, aber damit konnte man seinen Reichtum nicht zeigen.“

Für die Patrizierfamilien jener Zeit war das Beste gerade gut genug. Woher aber hatten sie das ganze Geld? Eine Pflanze hat es ihnen beschert: Pastel, zu Deutsch Färberwaid.

Dass man mit Pastel einen wunderschönen Blauton färben konnte, hatte man vermutlich zufällig herausgefunden. Denn bis man die Pigmente gewinnen kann, vergeht einige Zeit. „Im ersten Jahr ist die Pflanze grün und sieht aus wie Salat“, erklärt Annette Hardouin in ihrem Atelier Creation Bleu de Pastel. „Im zweiten Jahr blüht sie gelb, ähnlich wie Raps.“ Aus den zerstoßenen getrockneten Blättern wurden Kugeln, die Coques, geformt. Nur so konnte man sie transportieren. „Zwei Tonnen Blätter ergeben zwei Kilo Farbstoff", weiß Annette.

Man hatte sie einfach vergessen

Die Gegend zwischen Albi, Carcassonne und Toulouse, das „Goldene Dreieck“, bot den besten Boden und das perfekte Klima für den Anbau von Pastel. Immer mehr wurde geerntet – und zunehmend ins Ausland exportiert. Ein knappes Jahrhundert florierte das Geschäft. Dann kam das billigere Indigo aus Indien auf den Markt. Annette Harduin mag es nicht. „Indigo hat immer einen Rotstich und wirkt dadurch kalt und aggressiv“, findet sie. Pastel aber, das vielleicht am besten mit taubenblau beschrieben ist, beruhige und passe zu allem. Sie selbst ist ganz in diese Farbe gehüllt. Bluse und Schal sind in Pastel, sie hat blauen Lidschatten aufgetragen und sogar ihre Fingernägel glänzen blau lackiert.

Immer neue Kreationen in Pastel denkt sich die Modedesignerin Harduin aus und verhilft – mit einigen anderen Toulousaines – der Pflanze zu einer Art Wiedergeburt. Denn man hatte sie einfach vergessen. Die Wirtschaftskrise infolge der Religionskriege (1562 – 1598) und das Indigo hatten ihr den Garaus gemacht.

Erst in den 1990er Jahren wurde das Taubenblau gleichsam wiederentdeckt. Das Ehepaar Lambert, sie Amerikanerin, er Belgier, fanden Pastel im Konservatorium der Heilpflanzen und recherchierten zu den Färbeeigenschaften der Pflanzen. Pastel kam zurück nach Toulouse. Sandrine Banessy etwa hat ihr ein kleines Museum gewidmet. Auch eine luxuriöse Kosmetiklinie wurde aus Pastel entwickelt, denn in den Samen, so heißt es, stecken auch wertvolle Öle.

Noch eine zweite Farbe dominiert in den liebevoll dekorierten Souvenirgeschäften der Stadt: violett. Sie stammt von dem Winterveilchen, das ein Soldat aus Italien um 1850 herum einer Toulousaine mitgebracht haben soll. „Damals“, so erklärt Melanie Vié, „gab es im Winter keine Blumen.“ Das Winterveilchen war eine Ausnahme: Es wächst zwischen Januar und März. „Es war très chic, diese Blumen im Sträußchen zu verschenken.“ Aber auch diese Pflanze geriet in Vergessenheit, weil bald Blumen aus aller Welt ganzjährig zu haben waren.

Warum sind die Wege in der Altstadt so krumm?

Nun ist das Lila zurück, in der Stadt, vor allem aber auf dem „Veilchenboot“ von Melanie Vié. In der Nähe des Bahnhofs hat es auf dem Canal du Midi festgemacht. Zwischen lilafarbenen Bonbons, Kerzen oder Handtüchern entdeckt man ein Foto von Queen Elizabeth II. Freundlich lächelt die Königin Umstehende an, ihr Hut und Mantel sind in sattem Violett. „Sie kam 2004 zu Besuch und ihre Kleidung war eine Referenz an die Tradition der Stadt", erklärt Melanie.

Vermutlich hatte die Queen kaum Zeit, durch Toulouse zu spazieren. Dabei macht das so ungeheuren Spaß. Ein Labyrinth aus schmalen, gebogenen Straßen durchzieht die Altstadt. Warum sind die Wege so krumm? „So wollte man den Wind fernhalten, der hier oft ziemlich stark weht“, sagt Marine Esch vom örtlichen Fremdenverkehrsbüro. Heute macht er Pause. Kaum ein Auto stört das unbeschwerte Schlendern. Nur mit Genehmigung darf man in die Altstadt fahren. Immer wieder möchte man stehen bleiben, um die Auslagen der zahlreichen kleinen Läden zu betrachten. „Wir haben viele individuelle Geschäfte und nicht so viele Ketten“, sagt Marine Esch.

Ihre Kunst haben sie in besonders schönen Orten untergebracht. Im ehemaligen Augustinerkloster zum Beispiel, wo Gemälde und Plastiken vom frühen Mittelalter bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts auf Besucher warten. Bis unter die Decken hängen riesige Bilder auf weinrotem Grund. Frappierend ist die Inszenierung römischer Säulen, Kapitelle und Friese von Jorge Pardo. In einer großen Halle hat der amerikanisch-kubanische Künstler die alte Kunst auf bunte Säulen gestellt, von farbigen Hängeleuchten illuminiert. Eine Installation der Moderne, die im Kontrast zum Kreuzgang und den ihn umgebenden uralten Mauern fantastisch wirkt.

Toulouse ist ein guter Ort für Feinschmecker

Ton in Ton. Melanie Vié verkauft ausschließlich Dinge in Lila auf dem "Veilchenboot".
Ton in Ton. Melanie Vié verkauft ausschließlich Dinge in Lila auf dem "Veilchenboot".

© Hella Kaiser

Gedränge herrscht hier selten. Ausländische Touristen sind (noch) rar. „Die meisten Leute denken bei Toulouse nur an Airbus“, sagt Marine Esch. Und deshalb glaubten sie, dass Toulouse nur eine Industriestadt ist.

Kaum jemand weiß, dass hier einer der schönsten romanischen Bauten steht: die Basilika St. Sernin. Die himmelhohe Decke wird von mächtigen Säulen gestützt. Wenn die Sonne durch die bunten Fenster scheint, taucht sie das schlichte Innere in Regenbogenfarben. Und die Sonne scheint oft im Südwesten Frankreich.

Ein Wetter, wie geschaffen, um sich durch die Altstadt treiben zu lassen. Irgendwann landet man an der Garonne, die behäbig in ihrem breiten Bett fließt. Zahlreich sitzen die Menschen auf dem grünen Uferstreifen. Vor allem junge Leute, ein Viertel der Bevölkerung sind Studenten, legen hier bevorzugt eine Sonnenpause ein. Sie sind es auch, die Toulouse das internationale Flair geben. Auf den Straßen, in Cafés und Restaurants auf den zahlreichen charmanten Plätzen hört man viele Sprachen.

Mehrere Brücken überqueren die Garonne. Die schönste ist die Pont Neuf, die älteste Brücke aus dem 16. Jahrhundert. Auf der anderen Seite, der Rive Gauche, ist die Stadt weniger prunkvoll. Hier arbeiteten und wohnten früher die einfachen Leute. Das Schlachthaus war noch bis 1988 in Betrieb und stand dann verwaist als Industriedenkmal. Ende der 1990er Jahre hat es wiedereröffnet als Museum für Moderne Kunst. Eins der größten gezeigten Werke ist jener Bühnenvorhang, den Pablo Picasso 1936 kreierte. 2000 Zeichnungen, Gemälde, Fotos und Reliefs kann das Museum präsentieren, etliches stammt aus dem Fundus des Centre Pompidou in Paris.

"Wir haben natürlich viel frischen Fisch"

Toulouse ist ein guter Ort für Feinschmecker. Und wo kaufen die Köche am liebsten ein? In den Markthallen der Stadt. Die größte ist der Marché Victor Hugo, in dem 88 verschiedene Stände Platz finden. „Wir sind nur eine Stunde vom Mittelmeer entfernt, da haben wir natürlich viel frischen Fisch“, sagt Marine Esch angesichts all der Schuppen- und Schalentiere. Im Inneren der Markthalle vergisst man, welchen Frevel man dem ehrwürdigen Bau außen angetan hat. 1959 wurde einfach ein vielstöckiges Parkhaus aufgesetzt.

Solch eine Rücksichtslosigkeit wäre heute undenkbar. Wirklich? 2018 will die Kette Primark in einem vormals leerstehenden Kaufhaus eröffnen. „Innen gab es noch die Einrichtung aus dem frühen 20. Jahrhundert", sagt Marine Esch und fügt hinzu: „Nun haben wir Angst, dass sie alles rausreißen.“ Das Gebäude stand nicht auf der Denkmalliste.

Beim Patrizierhaus von Pierre d’ Assézat ist das natürlich anders. Es wird bleiben wie es immer war. Im 16. Jahrhundert ist der Patron oft die Stufen zu seinem Turm hinaufgestiegen. Von oben konnte er zum Hafen an der Garonne schauen. „So hatte er im Blick, ob sein Pastel ordentlich aufs Schiff verladen wurde“, sagt Stadtführerin Céline. Sie hält mir ein Tütchen mit blauen Kugeln hin. Pastel kann man sogar lutschen.

Reisetipps für Toulouse

Niemals Indigo. Annette Harduin färbt ausschließlich mit Pastel.
Niemals Indigo. Annette Harduin färbt ausschließlich mit Pastel.

© Hella Kaiser

ANREISE

In rund zwei Stunden nonstop von Berlin-Schönefeld mit Easyjet oder Ryanair.

ÜBERNACHTUNG

Nahe der Place du Capitole logiert man im Grand Hotel de l'Opéra, einem ehemaligen Kloster aus dem 17. Jahrhundert. DZ ab 139 Euro, EZ 105 Euro. (grand-hotel-opera.com)

RESTAURANTS

Toulouse ist eine Stadt für Gourmets. Die Spezialität Cassoulet, ein raffinierter Eintopf aus weißen Bohnen, schmeckt hervorragend im Restaurant Emile. Mittags kosten Menüs ab 22 Euro, abends ab 42 Euro. (13, Place St. Georges, restaurant-emile.com).

Viel Ambiente genießt man im Le Bibent, einer Brasserie von 1861.(5, Place du Capitole, maisonconstant.com).

Wer abends mit (hervorragenden) Tapas auskommt und dazu beste Weine probieren will, ist in der Wine Bar Nr. 5 gut aufgehoben. 300 verschiedene Weine werden offen ausgeschenkt. Viel junges Publikum. (n5winebar.com).

Nur mittags geöffnet hat das Lokal „Le Vélo Sentimental“ gegenüber vom Bahnhof. Unten ist eine große Fahrradwerkstatt, auch Mieträder, oben das rustikal-charmante Restaurant. Sehr gute Küche zu günstigen Preisen. (13, Boulevard Bonrepos, Telefonnummer am Ort: 05 34 /42 92 51)

AUSKUNFT

toulouse-tourismus.de

Frankreich auf der ITB in Halle 1.1.

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