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Volle Fracht voraus! Für Kreuzfahrer ungewohnte Ausblicke ergeben sich auf einem Containerschiff. Hier schiebt sich die „Conger“ durch den Nord-Ostsee-Kanal.

© Berd Ellerbrock

Urlaub auf dem Frachtschiff: Jeden Tag Captain’s Dinner

Frachtschiffreisen unterliegen besonderen Regeln. Für Einsteiger eignen sich „Schnupperfahrten“. Etwa in die Ostsee.

Die Gangway ist an Bord. Der Hafenlotse auch. Selbst die Passagiere sind bereits alle da. Diesmal – drei. Mehr, sagt der Sicherheitsoffizier, seien nicht zulässig. Denn in das einzige orangefarbene Freifall-Rettungsboot passen nur 15 Mann: die zehn Besatzungsmitglieder, die beiden Kadetten und eben drei Gäste. Dann kann es ja losgehen. Übrigens, da sind dann noch 370 bunte Container an Bord, die die „Conger“ nach Schweden bringen soll.

Kaum ist die letzte Stahlkiste an Deck gehievt und festgelascht, das laute und schrille Warnfiepen der Verladebrücken endlich verstummt, die schweren Schiffsdieselmotoren angeworfen, fahren auch schon die Festmacher vor und lassen die „Conger“ von der Leine. Platsch. Während die triefend nassen Schiffstaue noch eingeholt werden, legt das Schiff bereits langsam ab, drückt sich vorsichtig von der Kaje, schiebt sich hinein ins Hafenbecken, um schließlich Fahrt Richtung Elbe aufzunehmen.

Es ist später Nachmittag, die Sonne steht hoch über einer der modernsten Verladeanlagen der Welt, dem fast voll automatisierten Containerterminal Altenwerder. Statt Traumschiff-Auslaufmelodie ertönt nur kurz das Schiffstyphon. Ahoi! Vor den Passagieren liegen jetzt sieben Tage Schnupperfahrt auf einem Frachtschiff, das im Linienverkehr den Hamburger Hafen mit kleinen Häfen in Schweden verbindet.

Die paar Stunden Wartezeit am Terminal nach der Einschiffung waren gar nicht langweilig. Als Erstes: rauf auf die Brücke, Vorstellung bei Kapitän Piotr Adamczyk. So gehört sich das eben auf einem Frachter. Eiserne Regel: zuerst zum Käpt’n. Der freundliche Pole in Jeans und Polohemd gibt ein paar Hinweise zu Verhaltensregeln, zum voraussichtlichen Verlauf der Reise und zu Essenszeiten. Und, sagt der 53-Jährige, bei ihm dürften die Passagiere jederzeit auf der Brücke dabei sein.

Seefahrt hautnah ist das Angebot, keine besondere Großzügigkeit, sondern selbstverständlich. Dazu gehört freilich auch, dass die Betten selbst bezogen und die Kammern nach eigenem Gusto in Ordnung gehalten werden. Stewards? Fehlanzeige. Passagiere gehören quasi zur Crew, allerdings mit einem kleinen Unterschied: Sie müssen, nein, sie dürfen nicht arbeiten. Wollen sie auch nicht. Die Zeiten von „Hand gegen Koje“ sind lange vorbei, Reisen auf Frachtschiffen ist eben Urlaub.

Auch die obligatorische Sicherheitseinweisung durch den zuständigen Offizier Lucian Draghici erfolgt noch im Hafen und vorm Auslaufen. Rettungsinseln, Rettungswesten, Rettungsboot, Rettungsringe: Erst beim fünften Absaufen, so könnte man unken, sind alle Möglichkeiten erschöpft. Wo ist der Sammelpunkt im Notfall? Wo hängen die Feuerlöscher? Wie setzt man den Blinker an den „Life Jackets“ in Gang? Wann müssen die Neonwesten angelegt werden? Der Weg zum Sanitätsraum? Akribisch arbeitet der smarte 24-jährige Rumäne aus Constanta seine Checkliste ab: „Any questions?“ Noch Fragen? „No, Sir.“ Dann bitte hier unterschreiben.

Außer zwei Kadetten und den Passagieren ist hier niemand Deutscher

Kapitän Piotr Adamczyk, der freundliche Pole als erster Mann einer Multikulti-Crew
Kapitän Piotr Adamczyk, der freundliche Pole als erster Mann einer Multikulti-Crew

© Bernd Ellerbrock

Die „Conger“ läuft bei Ebbe aus. Als kleines „Feederschiff“ ist es nicht wie die dicken Pötte mit Tausenden von Containern an Bord auf die Flutwelle angewiesen, um die obligatorische Handbreit Elbwasser unterm Kiel zu haben. Schnell hat es das geschäftige und hektische Treiben des Hamburger Hafens hinter sich gelassen, stampft fast mutterseelenallein stromabwärts, ab und zu begleitet von ein paar Motorbooten, Jachten oder gemächlich dahinziehenden Binnenschiffen, immer der Abendsonne entgegen, die das Wasser im Wellengang glänzen und funkeln lässt.

Die Gäste können es sich auf bereitstehenden Plastikstühlen bequem machen: mal in der Sonne, mal im Schatten, mal mit und mal ohne lauem Windzug, mal auf dem D-Deck, mal auf dem Poopdeck, also dem obersten Deck hinten. Große Freiheit Nummer 7. Man platziert sich, wo’s beliebt. Badetücher mit eingewobenem Schriftzug „Reserviert“ braucht man hier nicht. Oder der Seemann auf Zeit begibt sich auf die Brücke, schaut dem Wachhabenden über die Schulter oder nutzt die seitlichen Sitzbänke – eine Wand von Containern fest im Blick. Das recht überschaubare Urlaubsdomizil heißt Decksturm, doch die paar Quadratmeter auf sechs „Etagen“ bieten, was viele Reisende auf Frachtern suchen: allein sein, frei sein, in Ruhe gelassen werden.

Der schwimmende Aussichtsturm „Conger“ zieht durch die Kulturlandschaft Unterelbe. Zu gucken, und zwar von oben, gibt es immer was. Die schicken Villen von Blankenese genauso wie die hässlichen Kaianlagen des Hafens Stade-Bützfleth. Dann wieder weites, sattgrünes Marschenland, schmucke Jachthäfen, die Obstplantagen des Alten Landes, Deiche, Schafe, Windräder und, natürlich, die Kernkraftwerke. Als die „Conger“ das Schulauer Willkomm Höft und die Schiffsbegrüßungsanlage passiert, dröhnt die deutsche Nationalhymne herüber.

Da hat der wachhabende „Kapitän“ wohl nicht aufgepasst, denn die „Conger“ wurde zwar auf der deutschen Sietas-Werft gebaut, aber längst nach Antigua und Barbuda ausgeflaggt, Heimathafen: St. John’s. Außer den beiden Kadetten von der Seefahrtschule Elsfleth und den Passagieren ist hier auch niemand Deutscher. Ein Pole als Kapitän, der 1. Offizier aus der Ukraine, der 2. Offizier aus Rumänien, ein Bootsmann aus Ghana und ein weiterer von den Kapverdischen Inseln. „Chief“, also Chefingenieur, und Koch sind Filipinos. Multikulti auf 101 mal 18 Metern Schiff, Bordsprache Englisch.

Noch vor Sonnenuntergang erreicht die „Conger“ die Schleusenanlagen von Brunsbüttel zur Einfahrt in den Nord-Ostsee-Kanal, der nun mit einem Lotsen und einem Kanalsteuerer an Bord in der Nacht durchfahren wird. Aufregend war der erste Tag und voller neuer Eindrücke. Da muss das eintönige Brummen und Vibrieren des Schiffsmotors gar nicht nachhelfen, um einen in den verdienten Schlaf zu wiegen. Die erneute Schleusung in Kiel sechs Stunden später erfolgt im Tiefschlaf; und dass der Kapitän dort seine Vorräte an Zigaretten, Bier und härteren Sachen für seinen „Bordshop“, den er außerhalb der 12-Meilen-Zone betreibt, aufgefrischt hat, haben nur die Wachhabenden mitbekommen.

Auf der „Conger“ kann keiner die Zeit vertreiben, denn sie ist immer da

„Smutje“ Bagcatin Prian Forel – der Filipino kocht deftig und originell.
„Smutje“ Bagcatin Prian Forel – der Filipino kocht deftig und originell.

© Bernd Ellerbrock

Seetag. So heißt das auf Kreuzfahrten, und auf „richtigen“ Kreuzfahrtschiffen meint man, den Passagieren nun etwas bieten zu müssen, damit ihnen nicht langweilig wird. Doch auch das etwas andere Programm auf der „Conger“ ist nicht zu verachten. Zum Beispiel kann aufs Meer geschaut werden. Auf die Wellen und den Horizont. Auf die Gischt am Heck. Vielleicht taucht ja auch ein Schiff auf. Nur was für eins? Ein Bulker? Ein Tanker? Eine Fähre? Jetzt könnte man schätzen, wie lange es braucht, um das Schiff einzuholen oder selber eingeholt zu werden. Alle halbe Stunde müsste der Laie seine Schätzung wohl anpassen. Aber dann geht es auf einmal ganz schnell und das Schiff ist wieder verschwunden.

Oder man schaut sich auf der Brücke um, inspiziert die vielen Instrumente, ohne zu wissen, wozu genau sie gut sind. Schaut auf die Monitore und lauscht dem krächzenden Bordfunk. Die überall herumhängenden Dokumente wollen entschlüsselt werden: technische Anweisungen, Staupläne, Reports, Listen. Wird das alles gebraucht? Dazu könnte der Interessierte den wachhabenden Offizier befragen und zugleich die eigenen Englischkenntnisse überprüfen.

Oder er schaut der Crew beim ewigen Ausbessern, Deckschrubben, Einfetten und Pinseln zu, bahnt freundlich ein Gespräch an und lernt so manches über das Leben in fernen Ländern. Man könnte das Schiff auf der Gangbord umrunden und dabei fast mit der Hand ins aufgeschäumte, zischende Meer fassen, so nah sind hier die Elemente. Vorne am Bug ein Plätzchen in der Sonne suchen und nur dem Toben von Wind und Meer zuhören. Oder einen Blick durch die Klüsen wagen auf den die Wellen durchschneidenden Wulstbug. Tief durchatmen.

Auf der „Conger“ kann keiner die Zeit vertreiben, denn sie ist immer da. Zum Lesen, Sudoku-Lösen, Nachdenken, Dösen, Gucken, Ausruhen. Nur die festen Mahlzeiten in der Offiziersmesse geben dem Tagesablauf eine Struktur; aber wer morgens um 7 Uhr 30 nicht frühstücken möchte – schon gar nicht Bratwürste, Spiegeleier oder gebackene Bohnen – kann in seiner Koje auch ausschlafen und sich später einen Toast bereiten. Kaffee und Tee stehen eh immer bereit.

Mittags und abends signalisiert ein Blick in die Kombüse und ein kurzes „Hello“ zu Koch Bagcatin Prian Forel, dass die warme Mahlzeit serviert werden kann. Die ist abwechslungsreich, deftig und in der Zusammenstellung ab und zu, sagen wir mal: originell. Der Filipino ist 21 Jahre jung, hat das Kochen in einem dreimonatigen Schnellkurs gelernt und macht seine Sache erstaunlich gut, versucht sich in einer Küche mit leicht italienischem Einschlag. Alle werden satt und es schmeckt. Und der Kapitän sitzt mit am Tisch, erklärt, erzählt oder diskutiert mit seinem Chief Engineer Wilfredo Asistio irgendwelche Probleme mit Pumpen und Ballasttanks. Auf der „Conger“ ist jeden Abend Captain’s Dinner. Jeden!

Nach eineinhalb Tagen Ostsee-Überfahrt tauchen die ersten verstreuten Felsinselchen auf: Die schwedische Schärenküste ist erreicht. Von einem Lotsen muss Kapitän Adamczyk sich nicht assistieren lassen, denn er verfügt für dieses Gebiet über eine Lotsenbefreiung. Sie zu erwerben, hatte er seiner Reederei versprochen. Nun darf und muss er sein Schiff selber steuern und zeigen, was er kann. Die Revierfahrt verlangt höchstes nautisches Können, die Anspannung ist auf der Brücke zu spüren.

Jetzt keine Fragen, bitte! Während die Gäste sich an der pittoresken Insellandschaft, Felsen, Wald und Wiesen mit eingestreuten bunt angemalten Holzhäuschen, kreuzenden Fähren und Unmengen von Segelbooten erfreuen, bugsiert Kapitän Adamczyk seine „Conger“ mittels Joystick behutsam gen Södertälje, seinem Zielhafen vor den Toren Stockholms. Die Fahrrinne sei hier manchmal so eng, dass nur wenige Zentimeter Platz zwischen Schiffsrumpf und felsigem Untergrund verblieben, erläutert der 1. Offizier Oleg Miendelutsa. Wer hier ein Richtfeuer nicht millimetergenau ansteuere, könne schnell auch mal unliebsame Bekanntschaft mit Granit machen.

Windstärke 7– das Schiff rollt und stampft: Das ist Seefahrt

Von wegen Kabine! Kammer heißt es hier für Schiffsbesatzung und Passagiere.
Von wegen Kabine! Kammer heißt es hier für Schiffsbesatzung und Passagiere.

© Bernd Ellerbrock

In Södertälje angekommen, erfährt Adamczyk vom Disponenten, dass er den nächsten vorgesehenen Hafen gar nicht erst anlaufen muss, weil Fracht storniert worden sei. Das passt dem Kapitän gar nicht, wittert er doch schon die nächste Krise heraufziehen: „No cargo, no traffic, crisis will come back!“, ruft er aus. Den Seeleuten sitzt die letzte Krise tief in den Knochen: keine Charter, keine Heuer – bitte nicht noch eine Krise.

Doch der Kapitän weiß die gewonnene Zeit zu nutzen, ganz zur Freude der Gäste, die dafür sogar die Stippvisite nach Stockholm ausfallen lassen: Eine zünftige Barbecue-Party für Crew und Passagiere wird ausgerichtet. Während Koch Bagcatin kiloweise Fleisch mariniert und Berge von Salaten vorbereitet, Kapitän und Kadett Lars in den nahe gelegenen Wald zum Pilzesammeln entschwinden, kümmert sich die übrige Crew um das rustikale Ambiente.

Da wird ein provisorischer Tisch aus Holzplanken zusammengezimmert, eine Art Getränkebar mit Dosenbier auf der Kiste mit den Rettungswesten eingerichtet, Blümchentischdecken aus den 60ern hervorgekramt und wenig dekorativ, aber garantiert windfest mit braunem Klebeband befestigt. Fertig. Die Party verläuft in ausgelassener Stimmung und erstaunlicherweise gänzlich ohne die auf Frachtschiffen üblichen Karaoke-Vorführungen ganz nach dem Geschmack aller Teilnehmer. Nur Kapitän und Chief diskutieren exzessiv ihr Lieblingsthema: irgendwelche Probleme mit Pumpen und Ballasttanks …

Als müsse den Passagieren partout etwas geboten werden, löst Sicherheitsoffizier Draghici im Hafen von Ahus, den die „Conger“ am nächsten Tag ansteuert, falschen Alarm aus. Die Passagiere, die er rechtzeitig mit klarem „Not for you!“ informiert hatte, werden nun Zeuge eines „Drills“, also einer Sicherheitsübung, bei der es zunächst gilt, einen Brand zu löschen und anschließend in vorgegebener Zeit das Freifallrettungsboot zu besetzen. Die Crew macht ihre Sache ordentlich, auch wenn das „Wasser marsch!“ vielleicht etwas zu lange dauert und Bootsmann Francis nur umständlich und nach zwei Anläufen in seinen feuerfesten Alu-Anzug hineingezwängt wird. „Francis: too lazy!“, mahnt Draghici mit einem Lächeln auf den Lippen. Im Ernstfall hätte das wohl deutlich anders geklungen.

Nach so viel Aufregung ist noch Zeit genug für eine kurze Stadtbesichtigung, denn das historische Zentrum und der kleine Jachthafen von Ahus sind gut zu Fuß erreichbar. Doch am Spätnachmittag heißt es schon wieder „Leinen los“ und die „Conger“ tritt die eineinhalbtägige Rückreise an über eine mittlerweile leicht aufgewühlte Ostsee mit Windstärken über 7 Beaufort, aber bei strahlend blauem Himmel. Kein Grund, seekrank zu werden, auch wenn das Schiff mal etwas stampft oder rollt. Denn der Wind habe noch nicht genügend Zeit gehabt, die See so richtig aufzuwühlen, erklärt Kadett Lars mit seinen paar Monaten Seebär-Erfahrung zur Beruhigung der Gäste. Deshalb werde die Überfahrt halbwegs freundlich verlaufen – auch ohne Stabilisatoren.

Der Junge wird recht behalten. Keinem wird schlecht, ganz im Gegenteil. Das Pfeifen des Windes, das Tanzen der Schaumkronen auf den Wellen und das Stampfen des Schiffes lassen die Passagiere jetzt zum Ende der Reise spüren: Jawoll, das ist Seefahrt! Kernig, knackig, frei wie der Wind. Weiter Horizont, stahlblauer Himmel, glutroter Sonnenuntergang. Klare Luft, klare Kante. Herrlich, dabei sein zu können. Wie schade eigentlich, dass der letzte Tag dann „nur“ noch aus dem erneuten Durchfahren des Nord-Ostsee-Kanals und aus der Revierfahrt die Elbe hinauf besteht. Aber das ist schließlich auch immer ein Erlebnis.

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